Kalifornien

Zahnbehandlungen für Obdachlose

06:36 Minuten
Der Zahnarzt Dr. Jay Grossmann beugt sich über einen Behandlungsstuhl mit seinen Instrumenten zur Zahnbehandlung.
Jay Grossmann öffnet seine Praxis für Reich und Arm. © imago images / ZUMA Wire / imago stock&people
Von Katharina Wilhelm · 15.10.2022
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Im Hollywood-Staat Kalifornien gehört ein strahlendes Lächeln zum Statussymbol. Ob arm oder reich, lässt sich am Gebiss ablesen. Ein Prominenten-Zahnarzt öffnet seine Praxis regelmäßig für obdachlose Menschen, um ihnen ein wenig Würde zurückzugeben.
Wenn die Patienten und Patientinnen aus den Fenstern von Jay Grossmans Praxis schauen, blicken sie gen Hollywood Hills. Wer zu dem Zahnarzt kommt, muss einen Termin haben, schließlich nimmt sich Grossman viel Zeit, im Schnitt eine Stunde pro Patient oder Patientin. Und: Das Wartezimmer soll nicht zu voll werden. Schließlich ist eine Behandlung hier eine exklusive Sache.
An diesem Tag aber kommen Patientinnen und Patienten zu Grossman, die sich eine Behandlung eigentlich nicht leisten können. „Heute haben wir Patientinnen gehabt, die in Frauenhäusern leben, weil sie häusliche Gewalt erfahren haben“, sagt Grossman. „Denen fehlt ein Zahn, weil er ihnen ausgeschlagen wurde. Sie haben keinen Ort, wo sie wohnen, keine Zähne, ihre Würde ist ihnen genommen, sie können nicht reden, nicht essen.“

Mit Zahnlücke wird niemand eingestellt

Grossman selbst ist mit einem perfekten Hollywood-Lächeln ausgestattet. Nun behandelt er erst einmal schmerzende Zähne. Bei Patienten und Patientinnen, denen Front- oder Schneidezähne fehlen, lässt er auch schon mal Prothesen anfertigen. Denn in Kalifornien würde niemand eingestellt werden, dem ein Zahn fehlt, so Grossman.
Eigentlich war Jay Grossman mal Militärarzt und hat auf einer Army Base nahe Los Angeles gearbeitet. Nach seinem Militärdienst hat er in Santa Monica eine Praxis für das gehobene Klientel eröffnet. Doch dann seien ihm auf der Straße immer wieder Veteranen aufgefallen, die bettelten. Sie wollte er nachhaltig unterstützen. „Statt einem Dollar habe ich ihnen meine Visitenkarte gegeben und gesagt: Ich kann als Arzt mehr für dich tun. Ich kann dich vom Schmerz befreien, Prothesen machen, damit du wieder essen kannst, um auch wieder besser auszusehen – und damit du dich nicht betäuben musst.“

5000 mittellose Patienten pro Jahr

Einer dieser Patienten ist Robert. Zwei Jahre hat er in der Army gedient. Über die Zeit dort möchte er lieber nicht reden, aber die Behandlung von Jay Grossman findet er großartig. Robert fehlen ein paar Zähne im Mund, allerdings weiter hinten in der Zahnreihe. Nun soll er eine neue Teilprothese bekommen. Dafür wurden gerade erst die Zähne gereinigt, dann die Abdrücke genommen. „Mir wird als Veteran geholfen, weil ich eine Zeit lang obdachlos war“, sagt Robert. Er hat keine Krankenversicherung und könnte sich die Behandlung nicht leisten. Denn allein die Reinigung hätte um die hundert Dollar gekostet, die Prothese vermutlich einige tausend.
Etwa 5000 mittellose Patienten behandelt Grossman jedes Jahr. Dafür hat er die Organisation Homeless Not Toothless gegründet, bei der mittlerweile etwa 1000 andere Ärzte und Ärztinnen mitmachen. Grossman zeigt auf einen seiner Patienten. „Der Herr ist zum ersten Mal bei mir. Er sagt, sein Leben sei miserabel. Er hat keine Zähne, kann nichts Festes essen, kann nicht lachen, kauen, sich gut ernähren“, sagt Grossman. „Zähne sind essenziell für ein gesundes Leben.“
Fehlende Zähne verändern das komplette Gesicht. Auch bei diesem Patienten wirkt es eingefallen, der Mann sehr viel älter, als er ist. Aus Scham wollen nur wenige über ihre derzeitige Situation sprechen, auch wegen der schlechten Aussprache ohne Zähne. Gerade obdachlose Menschen haben nicht nur etwas Karies oder Parodontose, sagt Grossman, ihnen fehlen ganze Zähne. Sie seien weggefault, weil die Betroffenen kaum an Zahnbürsten oder Zahnpasta kommen.

Zahnbehandlung für Heimkinder

Aber nicht nur Erwachsene kommen zu Grossman, auch Kinder, die beispielsweise bei Pflegeeltern oder in Heimen aufwachsen. Darauf habe ihn die Schauspielerin Sharon Stone aufmerksam gemacht. Sie habe ihn angerufen. „Sie sagte: Was machst du mit Kindern in Pflegefamilien. Ich sagte: Was soll ich mit den machen? Die bekommen doch vom Staat Hilfe. Damals war Arnold Schwarzenegger Gouverneur und der hatte das Programm gestrichen, aus Kostengründen.“ Grossman beließ es nicht dabei. Er traf Schwarzenegger und fragte nach. „Denn das sind ja Kinder, die haben keinen Job, keine Stimme. Ja, aber sie wählen auch nicht, hieß es dann.“
Prominente Namen und Patienten wie Sharon Stone helfen natürlich, wenn es ums Sammeln von Spenden geht. Denn darüber finanziert sich die Organisation komplett. Mehr als 115.000 Patienten haben die Ärztinnen und Ärzte der Organisation seit 1992 behandelt, und wahrscheinlich werden es noch einige Tausende mehr. Denn an dem krassen Gegensatz von Arm und Reich, krankenversichert und mittellos wird sich wohl auch in den nächsten Jahren wenig ändern.
(lkn)
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