Yanick Lahens: "Sanfte Debakel"

Insel der Unglückseligen

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Buchcover "Sanfte Debakel" von Yanick Lahens.
In "Sanfte Debakel" schildert Yanick Lahens ihre Heimat als Netz aus Korruption und Gewalt. © Deutschlandradio / Litradukt
Von Victoria Eglau · 19.05.2021
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Eine Insel voller Elend, Gewalt und Korruption: So schildert Yanick Lahens ihre Heimat Haiti in „Sanfte Debakel“. In dieser desolaten Umgebung versuchen ihre Protagonisten, ihre Träume von Glück zu verwirklichen.
Yanick Lahens schreibt über Haiti, ihre Inselheimat in der Karibik, als einen Ort, der irgendwann zerfallen ist wie ein zurückgelassenes Auto am Straßenrand.
"Jeder bediente sich, wie er es brauchte. Wie er lustig war. Von dem Auto blieb nur ein ausgeweidetes Wrack. Aber es taugt noch als Illusion."
Yanick Lahens‘ Romanfiguren sind Menschen, die in einer desolaten Umgebung von Gewalt, Elend und Korruption ihre ganz unterschiedlichen Träume und Ziele verwirklichen wollen.

Karriere als Auftragskiller

Der ehrgeizige Cyprien, ein soeben examinierter Rechtsanwalt, strebt nach dem gesellschaftlichen und materiellen Aufstieg: Aus dem brodelnden Kessel hoch zum "Schaum", wie er es nennt.
Seine Freundin Brune will singen, auf internationalen Bühnen stehen, aber auch vergessen: Vergessen, wie ihr Vater, ein wegen seiner Unbestechlichkeit ermordeter Richter, gestorben ist.
Pierre dagegen, Brunes Onkel, träumt davon, endlich mutig zu sein und Licht in das Dunkel des Verbrechens zu bringen.
Ézéchiel und Joubert schließlich sind zwei junge Männer aus der haitianischen Armenschicht. Der eine ist hungrig und zornig, träumt von der Revolution und schreibt Gedichte. Der andere macht "Karriere" als Auftragskiller und zieht daraus – und aus dem Geld, das er mit dem Töten verdient – Befriedigung.

Oase der Gastfreundschaft

Der französische Originaltitel des Romans "Sanfte Debakel" lautet "Douces Déroutes". Und "Déroutes" bedeutet nicht nur "Debakel", sondern auch "Niederlagen" und "Fluchten". All das erleben Lahens‘ Protagonisten.
Einige von ihnen fliehen immer wieder gemeinsam vor der harten Realität Haitis, verbarrikadieren sich hinter einem Schutzwall aus Freundschaft, Solidarität, Liebe und Musik. Das Haus von Pierre, der wegen seiner Homosexualität ein gesellschaftlicher Außenseiter ist, wird zur Oase der Gastfreundschaft, der praktischen Hilfsbereitschaft, des guten Essens und des befreienden Lachens.

Stakkatohafte Sprache

Doch außerhalb dieser "Insel auf der Insel" herrscht das Recht des Stärkeren: "Wer keine Macht hat, existiert nicht. Und wer nicht existiert, spricht nicht. Und wenn er spricht, wird er dorthin geschickt, wo die Würmer seine Zunge fressen".
Yanick Lahens übt in einer bildreichen, poetischen, zum Teil stakkatohaften Sprache schonungslose Gesellschaftskritik: an den Verstrickungen von Justiz und Politik, an ihren schmutzigen Geschäften, an einer scheinheiligen Religiosität und dem Fußball als Opium fürs Volk. Horrende Verbrechen werden nicht aufgeklärt, Ermittlungen "gehen bis ans Ende der Zeiten weiter".

Illusion der Resilienz

"Sanfte Debakel" ist wie ein Choral, jede Figur singt mit einer anderen Stimme. Lahens widmet den einzelnen Protagonisten und ihrer jeweiligen Welt eigene Kapitel – kurz und pointiert. Mal beschreibt sie ihr Denken, Fühlen und Tun, mal lässt sie sie unvermittelt selbst zu Wort kommen.
Der Roman nimmt uns mit in Slums und Reichengettos, in Wohnungen von Mördern und Intellektuellen, in Stripperlokale und auf Kleinkunstbühnen: Haiti in seiner ganzen Vielschichtigkeit.
Die Illusion der Resilienz, die oft auf die verarmte Insel projiziert wird, raubt Yanick Lahens uns nicht. Aber sie fächert sie auf in ein komplexes, nuancenreiches Bild.

Yanick Lahens: "Sanfte Debakel"
Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Peter Trier
Verlag Litradukt LiteraturEditionen
160 Seiten. 14 Euro

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