Xavier-Marie Bonnot: "Der erste Mensch"

Abtauchen in die Urgründe

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Zu sehen ist das Cover des Buchs "Der erste Mensch" von Xavier-Marie Bonnot vor einem grafischen Hintergrund.
Der Tote in "Der erste Mensch" war Teil eines Teams, das urgeschichtliche Zeichnungen in einer Höhe untersuchte. © Unionsverlag
Von Ulrich Noller · 27.03.2020
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Ein Fall mit mythischer Dimension: Xavier-Marie Bonnots "Der erste Mensch" ist ein opulenter Krimi vor einer überwältigenden Kulisse im Süden Frankreichs – und auch eine Verbeugung vor George Simenons "Maigret"-Romanen.
Fast alles schon mal da gewesen: In Zeiten der großen Krimischwemme haben wirklich originelle, ungewöhnliche Schauplätze zunehmend Seltenheitswert. Der Roman "Der erste Mensch" von Xavier-Marie Bonnot hat nicht nur, aber allein schon in der Hinsicht, einiges zu bieten.
Die Tat, der die Handlung dieses Kriminalromans in Gang bringt, ereignet sich in einer Höhle nahe Marseille, und zwar unter Wasser: Ein Taucher ist gestorben, und das war nicht, wie es zunächst scheint, die Folge eines Tauchunfalls.
Der Tote war Teil eines Teams, das urgeschichtliche Zeichnungen in der Höhe untersuchte: Möglicherweise sogar die allerersten Zeugnisse menschlicher Kunst, zumindest nach derzeitigem Forschungsstand.

Von einer Höhle in die fernste Vergangenheit

Davon ausgehend entwickelt sich nun ein spektakulärer Krimiplot - und zwar mit einem Serienmörder, mit verrückten Professoren und vertrackten Familienverhältnissen. Und natürlich mit: einem charismatischen Ermittler.
Die Geschichte führt in die fernste Vergangenheit, in menschliche Urgründe also, ebenso wie in die Abgründe der Gegenwart: Irgendjemand hat ein Interesse daran, dass die Zeugnisse aus der Frühzeit nicht oder zumindest nicht ganz ans Licht kommen. Eine Rolle spielt dabei auch ein kultischer Gegenstand, der gefunden wurde, eine Kreuzung aus Mensch und Hirsch.
Offenbar hat der Fall auch eine mythische Dimension, und es gibt wohl jemanden, der diese Nuance des Ganzen auch für die Gegenwart ausgesprochen relevant findet.

Krimi ist ja oft schwarz-weiß schattiert, ganz bewusst, als Variation der Kunst des Noir. "Der erste Mensch" dagegen ist ein bunter Roman, nicht nur wegen seiner faszinierenden Unterwasserwelten, sondern vor allem wegen seiner thematischen Fülle: Die Urgeschichte spielt eine zentrale Rolle, die Archäologie, allerlei mystische Fragen eben, damit verbunden die Psychoanalyse, davon ausgehend wiederum werden auch noch einmal allerlei menschliche Abgründe durchmessen.

Vielschichtiges Figurentableau

Sehr interessant ist auch das so verschiedenartige wie vielschichtige Figurentableau von der taffen Unterwasserarchäologin bis zum besessenen Psychologieprofessor: Xavier-Marie Bonnot hat ein Händchen dafür, Figuren mit wenigen Strichen so zu zeichnen.
Da schwingen viele Reminiszenzen an diverse Klassiker der Genrekultur mit – und Michel de Palma, sein Ermittler, ist ein spannendes Gegengewicht zu all dieser Opulenz – eine reduzierte und konzentrierte Verneigung vor Simenons Maigret.
Genau die richtige Lektüre für Menschen, die in Zeiten der Coronakrise mal für ein paar Stunden im wahrsten Sinne des Wortes abtauchen wollen.

Xavier-Marie Bonnot: "Der erste Mensch"
Aus dem Französischen übersetzt von Gerhard Meier
Unionsverlag, Zürich 2020
352 Seiten, 19 Euro

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