Geflüchtete berichten an Schulen

"Ich wollte weiterschwimmen - nach Griechenland"

07:54 Minuten
Schüler sitzen in einem Klassenraum. Vorn steht ein Mann mit dunklen, kurzen Haaren, der die Gruppe anlacht.
In Workshops und an Schulen berichten Geflüchtete über ihr Leben und ihr Schicksal. © Getty Images / Maskot / Maskot
Von Alexandra Gerlach · 30.12.2022
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"Miteinander statt übereinander reden" ist das Prinzip des Dresdner Vereins "Zeugen der Flucht". Er leistet antirassistische Bildungsarbeit, etwa bei Workshops an Schulen. Geflüchtete wie der Syrer Saied Karabiy erzählen dabei ihre Geschichte.
Es ist ein Freitagvormittag, kurz vor Weihnachten. Im Werner-von-Siemens-Gymnasium in Großenhain, nahe Dresden, haben Ben Balsmeier, Amely Adams und der Syrer Saied Karabiy eine elfte Klasse vor sich. Der Workshop beginnt mit einem Quiz, abgestimmt wird per Handy, das Ergebnis digital auf die Tafel übertragen: „Wie teuer ist eine Flucht aus dem Mittleren Osten nach Deutschland durchschnittlich? 500 Euro, 7.000 Euro oder 12.000 Euro?" 7.000 Euro lautet die Antwort und viele haben die richtige Summe getippt: "Richtig, das ist sehr, sehr gut! Meistens schneiden die Schüler da nicht so gut ab, bei dieser Frage."

Ins Gefängnis - und nie wieder raus

"Warum glaubt ihr denn, dass das so teuer ist?“, fragt Saied. Er gibt den Schülern erste Informationen über sein untergegangenes erstes Leben: „Uns ging es sehr gut. Finanziell, wirtschaftlich, Sicherheit, aber wir durften nicht über Politik reden. Wenn eine Person über Politik redet, egal, wie alt diese Person ist, dann kommt sie ins Gefängnis, und kommt nie wieder raus."
Es folgen rund ein Dutzend weitere Fragen zu Fluchtgründen, Statusproblemen und zur Definition, wer nach deutschem Recht überhaupt ein Flüchtling ist und Anspruch auf Asyl hat. Der Dresdner Verein "Zeugen der Flucht e.V." will Schüler und Schülerinnen in einen Dialog mit Geflüchteten bringen. Das sei wichtig, sagt Initiator Ben Balsmeier: "Weil wir merken, dass es sehr wenig Kontakt und Austausch gibt zwischen Menschen, die Fluchterfahrung haben und Menschen, die keine haben." Allerdings gebe es viele Vorurteile, die geschürt worden seien in den letzten Jahren.

Als unbegleiteter Jugendlicher auf der Flucht

Nach dem Quiz geht es in einen großen Saal unter dem Dach des Schulgebäudes, hier treffen zwei Klassen zusammen, um den Zeitzeugenbericht des 28-jährigen Syrers Saied Karabiy zu hören, der sich im Jahr 2015 als unbegleiteter Jugendlicher auf die Flucht begeben musste. Er beginnt mit einer Frage an das jugendliche Publikum: „Was wisst ihr über Syrien? Wer kann mir irgendetwas erzählen über Syrien, warum gibt es Geflüchtete, die aus Syrien gekommen sind?"
Die Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufe 11 wissen wenig über Syrien und den Ursprung des inzwischen langen brutalen Krieges. Sie können es aber immerhin auf der Landkarte lokalisieren. Dann erzählt Said von der schwersten Entscheidung seines Lebens: "Die Entscheidung zu treffen, das Land zu verlassen - das war die schlimmste Erinnerung. Weil ich immer noch nicht weiß, ob das die richtige Entscheidung damals war." Damals - das war 2015.

Sofort das Land verlassen!

Saied studierte damals Mechatronik in seiner Heimat Syrien und hatte den Bachelor schon in der Tasche. Daneben war der Sohn eines Lehrers und einer Friseurin politisch aktiv und organisierte Protestaktionen gegen das Assad-Regime. Bis zu dem Tag, als er für den Wehrdienst rekrutiert werden sollte: "Das war am Nachmittag. Sie kamen zu mir und sagten: Du sollst zum Wehrdienst. Und: Du darfst nicht für den Master studieren. Da habe ich gedacht: Okay, die beste Entscheidung ist es, sofort das Land zu verlassen. Mein Vater war dagegen."
Während Saied nicht allzu laut ohne Mikrofon spricht, ist es mucksmäuschenstill im Saal, gebannt hören alle zu. Es ist, als nehme er die Zuhörenden mit auf eine Zeitreise in seine eigene Vergangenheit. Saied flieht in die Türkei und nimmt seinen ein Jahr jüngeren Bruder gleich mit, ohne zu wissen, ob er die Eltern jemals wiedersehen wird. Von der Türkei geht es im Schlauchboot nach Griechenland. In der Nacht kommt es zur Havarie. Eine erschreckende Geschichte, die Saied nicht immer erzählt: „Das Schlauchboot ist untergegangen und wir sind fast ertrunken."

Ich wollte weiterschwimmen, nach Griechenland, aber ich wusste nicht, wo Griechenland ist, welche Richtung. Ich sah gar nichts, es war schon Nacht. Ich wusste nur, dass ich versuchen sollte zu überleben. Zwei Stunden später ist ein Boot gekommen. Sie haben uns rausgeholt, es war nur Glück.

Saied Karabiy

Flucht, Rettung, wieder Flucht

Nach der Rettung folgte die Fortsetzung der Flucht per Bus und zu Fuß bis nach Deutschland. Seit sieben Jahren ist Saied nun in Dresden, hat Deutsch gelernt und ist inzwischen fast fertig mit seinem Studium der Sozialen Arbeit. Im Verein ist er der zweite Vorsitzende.
Immer wieder erzählt er als Zeitzeuge in Workshops seine Fluchtgeschichte und beantwortet Fragen der Schülerinnen und Schüler.

- "Gibt es schon Fragen? - Ja!“
- "Wie haben Sie die Flucht damals finanziert?"
- "War das ein Problem für Sie als Student?"
- "Und hatten Sie auch wirklich schon ein Ziel im Kopf?"
- "Ich wollte erst in der Türkei bleiben, aber immer wurde mir erzählt, dass ich weiterziehen sollte."

Am Ende des sehr persönlichen Vortrages möchte ein Schüler wissen, wie der Syrer Saied in die Zukunft schaut und ob er irgendwann in seine Heimat zurückkehren möchte. "Ich habe alles in Syrien verloren, was ich damals hatte, die Freunde von mir existieren nicht mehr, unsere Wohnung ist zerstört."

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Saied ist inzwischen deutscher Staatsbürger mit allen Rechten und Pflichten. Seine Eltern leben seit kurzem auch in Dresden, hier habe er eine neue Heimat gefunden, sagt der junge Syrer: "Ich fühle mich hier zuhause, aber trotzdem habe ich Heimweh."

Der Vortrag lässt die Schüler nicht kalt

Sein persönlicher Vortrag rührt Emotionen, er lässt die Schülerinnen und Schüler der 11. Klasse nicht kalt.
- "Für mich war es eine gute Erfahrung, ich hatte am Anfang das Gefühl, dass es nicht so wirklich was bringen wird, aber jetzt, wo ich es mir angehört habe, hat es mich auf jeden Fall berührt, muss ich sagen."
- "Ich muss mich kurz sammeln."
- "Ich fand das wirklich sehr emotional und gut rübergebracht. Ich kann mir jetzt viel besser vorstellen, wie die Situation dort ist oder war, und wie die Flucht ablief."
- "Ich finde es vor allen Dingen gut, mit einem Zeugen zu reden, dass man einfach begreift, was ein Flüchtling so durchmacht und was ihm abverlangt wird."
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