Woran arbeiten Sie gerade, Frau Charpentier?

Superstar der Gentechnik

Die Forscherin Emmanuelle Charpentier steht am 19.05.2015 in einem Labor im Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig (Niedersachsen).
Die Forscherin Emmanuelle Charpentier in einem Labor im Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig (Niedersachsen). © picture alliance / dpa / Peter Steffen
Emmanuelle Charpentier im Gespräch mit Vladimir Balzer und Axel Rahmlow · 30.12.2016
Emmanuelle Charpentier arbeitet am Max-Planck-Institut in Berlin an einer revolutionären Methode der Genforschung. Mit hochpräzisen molekularen Genscheren, genannt Crispr, kann man eines Tages vielleicht den menschlichen Gencode umschreiben.
In der Genforschung gilt diese Methode als revolutionär. Mit Crispr wollen Forscher Menschen heilen, die Aids, Krebs oder genetische Erbkrankheiten haben. Die Biologin Emmanuelle Charpentier gehört zu den Forscherinnen, die diese Genschere entdeckte. Zusammen mit ihrer Kollegin Jennifer Doudna beschrieb sie, wie sich ein Abwehrsystem, das Bakterien gegen Viren einsetzen, als Allzweckwerkzeug in der Genombearbeitung verwenden lässt. Diese Erkenntnisse veränderten die Arbeit in den Laboren weltweit und Crispr kommt immer mehr zum Einsatz.
"Also, vielleicht muss man ganz wichtig hinzufügen, dass Crispr in der Medizin, im Bereich der Medizin schon sehr erfolgreich eingesetzt wird", sagte die Direktorin am Berliner Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie im Deutschlandradio Kultur. "Es ist sehr viel einfacher geworden, die Genome zu manipulieren in den menschlichen Zellen. Und da ist man schon sehr weit gekommen, auch was sogenannte Modellorganismen anbetrifft."
Emmanuelle Marie Charpentier ist eine französische Mikrobiologin, Genetikerin und Biochemikerin. Seit Oktober 2015 ist sie Direktorin am Berliner Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie.
Die Mikrobiologin, Genetikerin und Biochemikerin Emmanuelle Charpentier bei uns im Studio© Deutschlandradio / M. Hucht

Das Interview im Wortlaut:

Axel Rahmlow: Crispr. Das ist eines dieser Worte, das in diesem Jahr in die breitere Öffentlichkeit gekommen ist, obwohl der Prozess eigentlich schon seit längerer Zeit existiert. Cripspr, das heißt, wenn DNA-Bausteine im Erbgut verändert werden, und zwar ist das ein Prozess, der eigentlich von Bakterien benutzt wird, um sich vor Viren zu schützen. Aber wie wir alle in diesem Jahr gelernt haben, das funktioniert auch in nahezu allen lebenden Zellen und Organismen durch eine Art Schere.
Vladimir Balzer: Das heißt, das könnte auch beim Menschen angewendet werden. Wir könnten unseren eigenen DNA-Code umschreiben. Wir könnten Gott spielen. Also, im Moment ist es noch nicht so weit, aber die Chance zumindest besteht, dass man mit so einer Schere eben den menschlichen Gencode auch umschreiben kann, verändern kann, damit vielleicht auch Krankheiten bekämpfen kann, aber vielleicht auch einen perfekten Menschen produzieren kann. Also wie so oft bei der Gentechnik, da liegen Chancen und Risiken sehr nah beieinander. Und bei uns ist eine Frau, die als eine Pionierin der Gentechnik gilt, als ein Superstar, so kann man sie glaube ich auch bezeichnen, der Gentechnik. Nämlich Emmanuelle Charpentier. Sie ist Chefin des Max-Planck-Instituts für Infektionsbiologie in Berlin und jetzt bei uns. Schönen guten Tag, Frau Charpentier!
Emmanuelle Charpentier: Danke schön.
Balzer: Thanks for coming. Und wir haben es schon angesprochen, Crispr, also dieses Umschreiben vom genetischen Code durch eine Art Genschere, die auch Bakterien benutzen. Und jetzt geht es eben darum, diese Genschere auch für den Menschen nutzbar zu machen, um Gencodes zu verändern. Wir wissen grundsätzlich, wie es funktioniert, jetzt geht es vielleicht um die Bekämpfung von Krankheiten, von eigentlich unheilbaren Krankheiten. Können Sie uns vielleicht Hoffnungen machen für die Bekämpfung von Aids oder sogar Krebs?
Charpentier: Also, vielleicht muss man ganz wichtig hinzufügen, dass Crispr in der Medizin, im Bereich der Medizin schon sehr erfolgreich eingesetzt wird. Weil, es ist sehr viel einfacher geworden, die Genome zu manipulieren in den menschlichen Zellen. Und da ist man schon sehr weit gekommen, auch was sogenannte Modellorganismen anbetrifft. Und diese Erfolge, die die Medizin da bereits erreicht hat, da versucht man jetzt mit Crispr auch die Technologie bereitzustellen, dass man Crispr auch schon direkter einsetzen kann. Dass man es zum Beispiel bei gewissen Krebsarten einsetzen kann, dass man es bei Aids einsetzen kann oder eben auch bei genetischen Krankheiten, die im Erbgut vorliegen.

Fragen der Sicherheit

Balzer: Und unsere Reihe heißt ja "Woran arbeiten Sie gerade". Also, wo sind Sie gerade dran im Moment?
Charpentier: Vielleicht sollte ich noch hinzufügen, dass es durchaus noch einige Jahre dauern wird, bis Wissenschaftler dann wirklich so weit sind, gewisse Krankheiten wirklich direkt zu bekämpfen. Weil, die Entwicklung von Crispr ist die eine Sache, aber man muss eben auch noch die Technologie erweitern. Und da stellen sich natürlich auch Fragen der Sicherheit, das muss ja alles eine sehr sichere Technik sein, bevor sie dann wirklich zum Einsatz kommt. Und da wird es noch jahrelanger Anstrengungen bedürfen.
Aber um jetzt Ihre Frage zu beantworten, was wir gerade machen: Crispr hat mein Interesse sofort geweckt, weil ich mich immer dafür interessiert habe, warum Bakterien gewisse Krankheiten verursachen und welche Mechanismen dahinter stehen, mit welchen Mitteln Bakterien arbeiten, um bei Menschen Krankheiten zu verursachen. Und da hat man fast zufällig – aber dann natürlich doch nicht so zufällig – Crispr eben entdeckt und nun frage wir uns natürlich: Gibt es vielleicht in Bakterien noch andere Mechanismen, die ähnlich wie Crispr auch positive Effekte haben könnten?
Und da hoffen wir natürlich, dass wir irgendwas entdecken können, was uns dann auch bei Genomen weiterhilft und vielleicht eben auch dazu führt, dass man neue Therapien machen kann, die dann gegen bakterielle Infektionen einsetzbar sind. Und wir stellen uns also ganz grundsätzliche biologische Fragen immer sofort, die mit Bakterien zu tun haben und die mit Genen zu tun haben.
Balzer: Wir sind ja als Journalisten immer relativ ungeduldig, sehen aber natürlich auch, dass wissenschaftliche Grundlagenforschung einfach Jahre dauert. Vielleicht können Sie uns ein Beispiel geben, wie eigentlich Ihre Forschung konkret aussieht, vielleicht irgendwie etwas herausgreifen! Sie kommen ins Institut und forschen also an der genetischen Funktionsweise von Bakterien. Wie sieht das konkret aus, kann man sich da Mikroskope vorstellen, wie viel Technik spielt da eine Rolle, wie oft kommt man da wirklich zu Entdeckungen im Laufe eines Jahres?
Charpentier: Nun, dazu muss ich sagen, dass ich leider zurzeit weit weniger als Wissenschaftlerin arbeite, seitdem ich hier in Deutschland bin. Und zurzeit bin ich eine Art Managerin, eine Art Leiterin, die Mitarbeiter anleitet, mit ihnen über ihre Experimente, über ihre Arbeitsweisen diskutiert, natürlich auch Daten auswertet.
Was jetzt unsere Technik angeht, das ist die, wie Sie sie in einem Labor dieser Größenordnung einfach finden werden. Wir beschäftigen uns sehr viel mit Molekularbiologie, mit den Zellen, bei Crispr noch die Recherche geführt hat, da war ich natürlich noch sehr viel aktiver auch als Wissenschaftlerin. Aber jetzt habe ich natürlich erst einmal ein Labor eingerichtet und auch so strukturiert, dass ich dann wieder auch mehr als Wissenschaftlerin tätig sein kann.

Auf dem richtigen Weg

Rahmlow: Frau Charpentier, Sie haben gerade schon erwähnt, dass wir die Technik sicher machen müssen. Und da würde ich gerne wissen, auf einer rein technischen Ebene: Bei einem Nachbau dieser Genschere, sehen Sie die Gefahr, dass man auch tatsächlich mehr zerstören kann, als dass man eigentlich gesund macht oder aufbaut?
Charpentier: Sicherlich hat man da ein Handwerkszeug, was zu Beginn noch nicht 100 Prozent präzise war. Aber die Wissenschaftler haben doch sehr stark daran gearbeitet, das System so voranzutreiben, dass man noch sehr viel spezifischer eben die DNA auch korrigieren kann. Also, wir sind da auf dem richtigen Weg. Und es werden eben auch jetzt Technologien auf der Basis von Crispr entwickelt, die dann auch dafür sorgen, dass man auch die richtigen Zellen sozusagen trifft. Und da ist natürlich der Sicherheitsaspekt ein ganz wichtiger. Und das Problem bei der Gentherapie war ja immer, dass man nicht wirklich Mittel hatte, die sehr präzise und sehr genau waren. Und das hat sich jetzt mit Crispr doch sehr verändert, also, wir sind da wirklich auf einem sehr, sehr guten Weg.
Rahmlow: Das ist der wissenschaftliche Aspekt. Jetzt haben wir das vorhin schon mal erwähnt: Crispr hat dieses Jahr in der Öffentlichkeit seinen Durchbruch gehabt, es sind hunderte Artikel erschienen. Und es ging auch immer natürlich um die ethischen Bedenken: Was passiert eigentlich, wenn der Mensch sich dieses Werkzeugs ermächtigt? Spielt das für Sie eigentlich eine Rolle, auch für Sie als Wissenschaftlerin?
Charpentier: Ja, auch wenn ich gesagt habe, ich bin jetzt mehr Administratorin, dann bleibe ich natürlich Wissenschaftlerin. Und natürlich beteilige ich mich an diesen ethischen Diskussionen. Ob ich jetzt Gefahren sehe … Ich denke schon, dass die positiven Auswirkungen die negativen doch weitaus überstrahlen werden, also, davon bin ich relativ überzeugt. Aber natürlich ist es eine sehr mächtige Technik und das führt ganz natürlich zu Diskussionen, nicht nur unter Wissenschaftlern, unter Naturwissenschaftlern, sondern natürlich auch unter Ethikern, unter Politikern und ganz normal auch in der Gesellschaft. Und da ist es ganz wichtig, dass wir da neue Regularien eben ausarbeiten, die diese Technik dann auch kontrollieren.
Gerade wenn es um Gene geht, um Genome geht. Was man jedoch sagen muss: Diese neue Technik ist sehr viel präziser als alles andere, was wir bisher in diesem Bereich gekannt haben. Und wenn es um Genmanipulation geht, denke ich, sind wir in Europa eigentlich ganz gut aufgestellt. Da gibt es schon sehr große Sicherheitsvorkehrungen. Allerdings ist es schon so, dass man eben bei diesen Genomen auch Embryos schon manipulieren kann, und es gibt Länder wie Großbritannien oder Schweden, die da sehr viel offener mit diesen Manipulationen umgehen. Allerdings ist das auch stark kontrolliert zurzeit.

Für medizinische Zwecke erfunden

Rahmlow: Aber wenn man mal zum Beispiel in die Kunst schaut, im Film oder Literatur, da denkt man doch eigentlich sehr schnell an Manipulationen, auch an das Verändern von den Definitionen, was richtig ist, was normal ist, was gesund ist. Spielt das für Sie eine Rolle, spielt das eine Rolle für Ihr Verantwortungsempfinden?
Charpentier: Nun, das hängt natürlich immer davon ab. Aber im Prinzip ist das zwar eine sehr starke, eine sehr mächtige Technik, mit der man sehr viel machen kann, aber die lässt sich eigentlich erst einmal nur in der Medizin einsetzen. Sie ist natürlich nicht dafür gedacht, zum Beispiel den Menschen jetzt zu verbessern oder das Erbgut des Menschen zu verändern. Sondern es ist wirklich für medizinische Zwecke erfunden worden und es soll heilen. Und ganz ehrlich gesagt, dieser Missbrauch, den Sie jetzt angedeutet haben, das wäre noch ein sehr, sehr langer Weg, dass man da überhaupt Missbrauch mit treiben könnte, weil, zurzeit ist das wirklich nur eine Technologie, die sogenannte monogenetische Krankheiten heilen kann. Und deswegen ist das zurzeit nicht wirklich eine Gefahr.
Balzer: Emmanuelle Charpentier, eine der Chefinnen des Max-Planck-Instituts für Infektionsbiologie in Berlin, Pionierin der Gentechnik, eine der Frauen, die das Crispr mitentwickelt hat. Vielen Dank, dass Sie bei uns waren! Thanks for being with us!
Charpentier: Danke schön!
Rahmlow: Und herzlichen Dank auch an Jörg Taszman, der hat für uns übersetzt!
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