Itai Yanai/Martin Lercher: "Das geheime Leben im Menschen"

Wettstreit der Gene

DNA-Strang
Ein Gen ist ein Abschnitt auf einem DNA-Strang. © imago/stock&people/Science Photo Library
Von Michael Lange · 09.09.2016
Die Gene konkurrieren miteinander wie Handwerker, schreiben Itai Yanai und Martin Lercher in "Das geheime Leben im Menschen". Mit ihrem Sachbuch möchten die Wissenschaftler dem Leser das komplexe Thema "Gen-Gesellschaften" näherbringen.
Gene bestimmen unser Leben. Wir erben sie von unseren Eltern und geben sie weiter an unsere Kinder. Sie sind Teil jedes Menschen und gleichzeitig führen sie in uns eine Art Eigenleben. Wer seine Gene verstehen will, sollte sie aber nicht als egoistische Einzelgänger betrachten, sondern als Gen-Gesellschaft. Sie bilden Gemeinschaften, sie arbeiten zusammen, sie wetteifern, und sie können einander austricksen.
Lebendig und detailreich beschreiben zwei führende Wissenschaftler eine abstrakte Welt. Sie erleichtern den Einstieg mit anschaulichen Beispielen und Metaphern, einfachen Grafiken und kleinen Geschichten. Ideal für vorgebildete Leserinnen und Leser, die den aktuellen Forschungsstand der molekularen Biologie aus erster Hand kennen lernen möchten. Aber die beiden Autoren wollen mehr bieten als ein neues Lehrbuch. Sie bringen Evolution und Genforschung zusammen, so wie es bereits vor 40 Jahren der englische Evolutionsbiologe Richard Dawkins vorgemacht hat. Wie ihr Vorbild beschreiben Yanai und Lercher die Gene als kleinste Einheiten der Evolution. Aber sie belassen es nicht dabei, sondern spinnen die Idee weiter. Sie sehen den Wettstreit der Gene eingebettet in einen größeren Zusammenhang. Das Zusammenwirken gibt Regeln vor und verhindert die ungebremste Vermehrung einzelner auf Kosten der Gemeinschaft.

Spezialisten verdrängen nach und nach die Generalisten

In der Gen-Gesellschaft treffen verschiedene Varianten bestimmter Erbanlagen aufeinander. Sie konkurrieren miteinander, ähnlich wie Handwerker in einer Zunft, wo sich letztlich derjenige sich auf dem Markt durchsetzt, der zu einem akzeptablen Preis die besten Produkte herstellt. Aber auch die Zünfte sind Veränderungen unterworfen. So können Bäcker sich als Brotbäcker spezialisieren oder als Konditoren. Bei der Weiterentwicklung verdrängen die Spezialisten nach und nach die Generalisten. Das führt zu immer komplizierteren Gen-Gesellschaften. Mit diesem Bild können Yanai und Lercher auch erklären, warum Schimpansen und Menschen sich deutlich unterscheiden, obwohl ihre Erbanlagen sehr ähnlich sind. Nicht die Menge oder die Qualität der einzelnen Gene ist verantwortlich, sondern die Wechselwirkungen innerhalb der Gen-Gesellschaften. Erst sie ermöglichte kompliziertere Entwicklungen wie die des menschlichen Gehirns.
Beim Lesen spürt man den hohen Anspruch der beiden Autoren. Sie wollen interessierte Laien in ihr Spezialgebiet einführen. Gleichzeitig präsentieren sie wie einst Richard Dawkins eine neue Sichtweise der Evolution. Das ist an sich ist spannend. Dennoch braucht es trotz aller Hilfestellung ein gerütteltes Maß an Konzentration, um sich in diese fremde, abstrakte Welt zu vertiefen.

Itai Yanai/Martin Lercher: "Das geheime Leben im Menschen – Ein faszinierender Blick auf die Gesellschaft unserer Gene"
Übersetzung: Martin Lercher
Bastei-Lübbe (Quadriga), München 2016
304 Seiten, 24,00 Euro