Wolfgang Fach: "Regieren"

Von Staatsfeindschaft und Regierungsunlust

Die (fast) leere Regierungsbank im Deutschen Bundestag.
Begeisterung am Regieren? Die sieht wohl anders aus. © picture alliance / dpa / Ralf Hirschberger
Von Michael Schornstheimer · 26.11.2016
Ist Regieren eine Kunst? Wenn ja, welche Fertigkeiten muss man dazu mitbringen? Der Politologe Wolfgang Fach unternimmt einen unterhaltsamen Streifzug durch die Geschichte des Herrschens. Seine Analyse etwa der Gegenwart fällt nicht positiv aus.
Bockt die Herde, kann der Hirte einpacken. Das gilt vor allem in der Politik. Ein Herrscher sollte deshalb seine Untertanen bei Laune halten. Diese Einsicht war in vordemokratischen Zeiten fast Allgemeingut. Bereits die aufständischen Bauern argumentierten im 16. Jahrhundert listig, dass Jagd und Fischfangverbot sei gegen das Gotteswort. Und Machiavelli resümierte, wer die Menschen nicht vernichten wolle, müsse sie für sich einnehmen. Wohlfahrt sorgt für sichere Verhältnisse. Berlins Polizeipräsident Karl Ludwig Friedrich von Hinckedey machte sich diese Devise clever zu eigen.
"Gerade darin", notiert er, "liegt meine Hauptstärke gegen die Demokratie in Berlin. Ich habe sehr viel von diesen Demokraten gelernt." Auf den guten Eindruck kommt es an – die Leute müssen das Gefühl haben, dass ihnen, wenn auch mit unzureichenden Mitteln, so doch nach besten Kräften geholfen wird."
Seinen unterhaltsamen Streifzug durch die Geschichte des Regierens beginnt Autor Wolfgang Fach in der Neuen Welt. Benjamin Franklin etwa erkannte: Die Zivilisation erzeugt unnütze Bedürfnisse, die nur um den Preis von harter Arbeit zu stillen sind. Wohingegen die Indianer ihre bescheidenen Ansprüche im Müßiggang befriedigen konnten. Und in der alten Welt? Ludwig XIV. praktizierte "Misstrauischen Paternalismus". Er sah sich als Vater seines Volkes. Sein Angebot lautete: Gelegentliche Güte gegen permanenten Gehorsam.

Seit Thatcher schwindet das Interesse am Staat

Und Friedrich der Große gewährte in Preußen den Hugenotten Asyl. Ein "königlicher Betriebswirt", so Fach:
"Die Religion, einst Schmiermittel des Herrschaftsbetriebs, ist nur noch für den privaten Gebrauch zugelassen. (…) 'Jeder soll nach seiner Façon selig werden.' Aber nicht deswegen, weil, wie gerne kolportiert wird, Indifferenz als Gebot der Toleranz gegolten hätte. Vielmehr war sie betriebswirtschaftlich insofern geboten, als sich Konfession und Kontrolle leicht in die Quere kommen."
Bei den Herrschenden setzte sich die Einsicht durch, dass das systemische Elend auf staatlich organisierte Unterstützung angewiesen sei. Diese Einsicht galt lang, bis 1987. Da befand die britische Premierministerin Margret Thatcher: "So etwas wie Gesellschaft gibt es gar nicht."
Cover des Buchs "Regieren. Die Geschichte einer Zumutung" von Wolfgang Fach
Cover des Buchs "Regieren. Die Geschichte einer Zumutung" von Wolfgang Fach© Transcript Verlag
"Wer das 'Ding' Gesellschaft aus der Welt schafft, bringt auf einen Schlag alle 'inneren' Probleme zum Verschwinden, deren sich das Regierungsgeschäft gemeinhin annimmt. (…) Das Interesse am Staat schwindet. (…) Verloren geht dieses Interesse, sobald erkennbar wird, dass Regierende nur noch um sich selbst kreisen und ihren Schutzbefohlenen nicht helfen können, ja nicht einmal wollen."
Seitdem schwindet das Interesse am Staat, stellt Fach fest. Rücksichtslosigkeit mache sich breit. Allerdings irritiert, warum er als Beleg dafür ausgerechnet zuerst die Protestbewegung "Occupy Wall Street" anführt. Diese hilflosen Akteure gehören doch weder zu den Regierenden noch zu den Mächtigen.

Bonapartismus als Endstadium des Populismus

Dass eine Partei des Systems dem System den Krieg erklärt, erörtert Fach dann an weiteren Beispielen, die viel eher einleuchten: Der US-amerikanischen Tea Party beispielsweise, die illegale Einwanderer pauschal als "Schmarotzer" diffamiert, die dem Staat auf der Tasche liegen, Inzwischen ist sie via Trump im Weißen Haus angekommen. Oder dem französischen "Front National", den Fach als Wiedergänger des Bonapartismus versteht:
"Man kann den Bonapartismus als perfektioniertes und pervertiertes Endstadium des Populismus verstehen: perfekt, weil an die Macht gekommen, pervers, weil nicht gegen den Staat das Land (zurück)erobert wird, sondern umgekehrt der Staat erbeutet worden ist, um im Land andere Verhältnisse zu schaffen, soll heißen: Gewalt wird in Geschenke für die Gefolgschaft verwandelt."
Eine radikale Form der Staatsfeindschaft pflegen nach Fach insbesondere die transnationalen Konzerne. Der Stromkonzern Vattenfall etwa klagt auf Milliardenentschädigung für die Stilllegung seiner Atomkraftwerke. Der Zigarettenkonzern Philip Morris sieht sich durch die strengen Rauchergesetze in Uruguay "indirekt enteignet" und verlangt ebenso Milliarden. Währenddessen zetern steinreiche Spekulanten, sie würden politisch verfolgt und womöglich physisch ausgerottet.
"Heute können sie es sich leisten, als gefährdete Art zu paradieren, weil ihnen niemand, auch keine Regierung, mehr Vernunft beibringen und Verantwortung abringen kann."
Und dass Regierungen und Ministerien inzwischen Gesetze von bezahlten Anwaltskanzleien entwerfen lassen, gilt dem Autor als krönendes Beispiel für weit verbreitete Regierungsunlust. Insgesamt ist das glänzend geschriebene Buch eine erhellende Lektüre. Auch für Regenten.

Wolfgang Fach: Regieren: Die Geschichte einer Zumutung
Transcript Verlag
168 Seiten, 22,99 Euro

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