Wolfgang Bauer: „Am Ende der Straße"

Foltern für die Demokratie

06:39 Minuten
Auf dem Cover ist ein Foto einer Straße aus der Vogelperspektive zu sehen. Die Straße liegt neben einem sandigen Berg und gleicht einer Schotterpiste. Auf der Straße läuft einsam ein Mann. Darüber Autorenname und Buchtitel.
© Suhrkamp Verlag

Wolfgang Bauer

Am Ende der Straße. Afghanistan zwischen Hoffnung und ScheiternSuhrkamp, Berlin 2022

399 Seiten

24,00 Euro

13.09.2022
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Wolfgang Bauer ist in den letzten 20 Jahren immer wieder durch Afghanistan gereist, seine Erfahrungen hat er jetzt zu einem erschreckenden, aber wichtigen Bericht zusammengefasst. Die im Buchtitel erwähnte „Hoffnung“ sucht man vergeblich.
Der Reisebericht des Journalisten Wolfgang Bauer orientiert sich an der afghanischen Ring Road, geografisch, aber auch inhaltlich. Die Ring Road ist ein ringförmiges Fernstraßennetz, das die wichtigsten Städte Afghanistans miteinander verbindet.
An dieser „Lebensader des Landes“ baute bisher jeder, der Afghanistan zu einem Nationalstaat machen wollte. Sie soll das Land verbinden und Versorgungssicherheit schaffen. Seit 2001 hat sich die internationale Gemeinschaft unter Führung der US-Amerikaner an den Weiterbau gemacht, ist jedoch gescheitert.
Die Ring Road als Symbolbild des Einsatzes zu nutzen, ist klug. Am Ende von Bauers Reise hat man eine klare Ahnung davon, was in Afghanistan schiefgelaufen ist.

Das afghanische Regime

Viele Punkte, die Bauer nennt, sind nicht neu. Wenn er über die Korruption schreibt, die den Taliban zum Sieg verhalf, greift er ein Thema auf, das sich in jedem besseren Text über Afghanistan findet. Was Bauers Buch lesenswert macht, sind die persönlichen Erfahrungen und klaren Einschätzungen.
Die demokratisch gewählte Regierung Afghanistans nennt er zurecht Regime, weil die Präsidenten Karzai und Ghani nur durch massiven Wahlbetrug an die Macht kamen.
Dann erklärt er das System der Korruption, das auch die Ring Road scheitern ließ. Weil die internationale Gemeinschaft Firmen beauftragte, die oft keine Erfahrung im Straßenbau hatten, floss das Entwicklungsgeld einfach ins Ausland.
Schließlich beschreibt er, wie der afghanische Vizepräsident und ehemalige Warlord Dostum, aber auch der Nachbarstaat Iran den Bau der Ring Road im Westen des Landes sabotierten, weil sie ihre Machtgebiete nicht an den Rest des Landes anbinden und dadurch Einfluss verlieren wollten.

Informationsbeschaffung durch Folter

Korruption und Sabotage haben viele Opfer gefordert, gerade unter den Schwächsten des Landes. Aber Bauer beschreibt nicht nur systemisches Versagen, sondern auch ganz eindeutige Verbrechen gegen die Menschenrechte.
Besonders eindrücklich sind dabei Szenen, in denen es um Folter geht. Viele der gefolterten Männer und Kinder sind keine Taliban, sondern dienen lediglich der Informationsbeschaffung. Bauer selbst wohnt einer Scheinexekution bei, ausgeübt durch afghanische und US-amerikanische Soldaten. Er erstattet Anzeige bei der US-Armee. Das Ergebnis ist ernüchternd.
„Es wurden Untersuchungen eingeleitet“, schreibt er, aber: „Niemand wurde verurteilt, obwohl wir die Vorwürfe durch Fotos lückenlos belegen konnten.“

Vom Regen in die Traufe?

Bauers Reportage verläuft nicht chronologisch, er springt zwischen der Zeit vor und nach August 2021 umher, markiert diese Sprünge aber durch eindeutige Überschriften. Bei allen kleinen und großen Katastrophen, die Bauer beschreibt, fragt man sich, ob die Machtübernahme der Taliban die Lage wirklich noch viel schlimmer machen kann.
Seine Bilanz ist bitter, besonders wenn er konstatiert, dass die angeblich demokratische Regierung, die 20 Jahre lang vom Westen unterstützt wurde, selbst Menschen folterte und exekutierte. Wozu also ein Einsatz, der ein Regime unterstützte, dessen Geheimdienst laut Bauer „nicht weniger grausam“ war als die Taliban?  
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