Wohnungsvergabe in Potsdam

Einheimische künftig bevorzugt?

09:04 Minuten
Gerüste stehen an den Rohbauten der Häuser an der Peter-Huchel-Straße. Die ProPotsdam GmbH baut auf dem Grundstück am Volkspark sieben Gebäude mit 117 Wohnungen und neun Gewerbeeinheiten. Mehr als drei Viertel der Wohnungen sollen Haushalten mit geringem Einkommen zur Verfügung stehen. Neben den Wohnungen sollen Angebote im Sozial- und Pflegebereich geschaffen werden. ProPotsdam will bis zum Jahr 2027 insgesamt 2500 Wohnungen in der Landeshauptstadt bauen.
Obwohl viel gebaut wird, wird auch in Potsdamer der Wohnraum knapp. © picture alliance / dpa / Soeren Stache
Von Christoph Richter · 20.10.2021
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Wohnen wird immer teurer, auch in Potsdam. Damit auch Normal- und Geringverdiener eine Bleibe finden, will die Stadt einen Teil der kommunalen Wohnungen nach einem Punktesystem vergeben. Dabei geht es auch darum, wie lange man schon in Potsdam lebt.
"Um eine bezahlbare Wohnung zu finden, muss man sehr weit nach draußen ziehen." Das erzählt eine Frau, die schon lange eine Wohnung sucht. Sie steht vor dem Vermietungsbüro eines Potsdamer Wohnungsunternehmens.
Eine Wohnung zu einem erschwinglichen Preis zu bekommen, für normale Arbeitnehmer ist das fast unmöglich, sagt ein Anfang 50-Jähriger. Es werde in Potsdam ja gebaut, aber alles sei hochwertig und teuer: "Ich sehe die Menschen stehen, wenn eine Wohnung zu vermieten ist. Da stehen dann 20 Leute, und es geht nur darum, wer zahlt am besten."

Die Mieten in Potsdam explodieren

Potsdam boomt, was auch mit der Nähe zu Berlin zu tun hat. Die Mieten explodieren. "Immoscout24 hat kürzlich Wohnungen untersucht, die auf dem Portal angeboten werden", berichtet Anwalt Holger Catenhusen vom Mieterverein Potsdam: "Und da war Potsdam die Stadt mit der höchsten Mietsteigerung. Das ist nicht zu verwechseln mit Mietniveau. Aber man sieht, dass es hier sehr angezogen hat, dass sich hier was zusammenbraut."
Die durchschnittliche Nettokaltmiete belaufe sich demnach auf monatlich knapp elf Euro pro Quadratmeter. Das Onlineportal "Miete-Aktuell" spricht gar von 12,32 Euro Kaltmiete. Dazu kommen durchschnittliche Nebenkosten von knapp drei Euro, was am Ende eine Warmmiete von gut 15 Euro je Quadratmeter und Monat ergeben würde.
Damit aber Normalverdiener – die Polizistin, der Verkäufer – sich künftig eine Wohnung noch leisten können, soll es demnächst in Brandenburgs Landeshauptstadt einen sogenannten "Potsdam-Bonus" geben. Das heißt: Bei der Vermietung von Wohnungen im städtischen Besitz sollen in Potsdam lebende Menschen mit kleinem Geldbeutel bevorzugt werden.

Ehrenamtliches Engagement als Kriterium

"Das kann schon ein Baustein sein, um den Menschen, die in der Kommune leben, weiterzuhelfen", sagt Catenhusen. "Es geht darum, die Menschen, die hier leben, etwas besser zum Zuge kommen zu lassen. Das halten wir vom Mieterverein für eine sinnvolle Maßnahme."
Der "Potsdam-Bonus" soll im kommenden Jahr mit einem Pilotversuch starten. Noch wird die Idee diskutiert, im November wollen die Stadtverordneten darüber debattieren.
Die angedachten Kriterien: Man muss länger als fünf Jahre in Potsdam leben, dort auch arbeiten beziehungsweise die Ausbildung in der Stadt machen. Hinzu kämen sozio-demografische Kriterien wie etwa das Einkommen, die Anzahl der Kinder, die Pflege naher Angehöriger oder ehrenamtliches Engagement.
Genau der letzte Punkt, das ehrenamtliche Engagement, sei doch problematisch, kritisiert Lu Yen Roloff, Neu-Potsdamerin. Sie war kürzlich als unabhängige Kandidatin zur Bundestagswahl angetreten. "Ich finde es hochfragwürdig, dass der Zugang zu günstigem Wohnraum jetzt gekoppelt werden soll an gutes soziales Engagement in der Gesellschaft. Wohnen ist ein Grundrecht, das steht uns doch allen zu. Es sollte selbstverständlich sein, dass jeder guten Wohnraum bekommt."

Lu Yen Roloff muss raus aus ihrer Wohnung

Die frühere Greenpeace-Aktivistin versteht sich als progressiv-links, will in der Stadt – in einer Art One-Woman-Graswurzelbewegung – etwas verändern. Wir treffen die 44-Jährige in einem Café in der Potsdamer Innenstadt.
Sie kenne die Wohnungssituation in Potsdam, sagt die gebürtige Hamburgerin. Derzeit wohne sie zur Untermiete in einer Plattenbauwohnung, aus der sie bald raus müsse. Die Suche nach bezahlbarem Wohnraum sei eine Herkulesaufgabe. Aber statt eines Punktesystems bei der Vergabe bezahlbarer städtischer Wohnungen brauche es ganz andere Konzepte.
"Beispielsweise dürften keine weiteren kommunalen Flächen mehr verkauft werden, weil man sie dann nicht mehr unter Kontrolle hat. Dann kann man keine sozialen und ökologischen Standards mehr durchsetzen. Deswegen gibt es ja zum Beispiel Vorschläge, dass kommunale Flächen nur über Erbbaupacht vergeben werden. Daran kann man dann nämlich Bedingungen knüpfen: Ihr bekommt das Grundstück, wenn ihr dafür soundso viele Sozialwohnungen drauf baut. Das wäre der richtige Weg."
Lu Yen Roloff fordert die Wiedereinführung des Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetzes. Ein Fördersystem für den sozialen Wohnungsbau, das der Bundestag vor 30 Jahren abgeschafft hat.

Bestehende Sozialstrukturen stärken

Der Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen – kurz BBU – sieht das Einheimischen-Modell "Potsdam-Bonus" weniger skeptisch. Das sei eine Idee, über die es sich lohne, nachzudenken. Denn damit könne vermieden werden, ortsansässige Bevölkerung zu verdrängen, auch bestehende Sozialstrukturen könnten gestärkt werden.
"Der Potsdam-Bonus ist ein interessantes und gutes Modell. Man kann es ergänzend machen", sagt Immobilienspezialist und Betriebswirt Matthias Brauner, Leiter der Landesgeschäftsstelle Potsdam beim BBU. Das könne aber nicht ersetzen, Flächen für den weiteren Bau von Wohnungen zu finden.
Denn Potsdam hat mit deutlichem Zuzug zu rechnen. Laut einer Landesprognose gehen die Demografen bis 2030 von 218.000 Einwohnern aus, das wären 22.000 Einwohner mehr als heute. Deswegen favorisiert auch der Deutsche Städte- und Gemeindebund sogenannte "Einheimischen-Modelle" wie etwa den "Potsdam-Bonus".
Schon im April 2019 heißt es dazu in einem Positionspapier: "Zu unterstützen sind auch sogenannte 'Einheimischen-Modelle', über die sozial schwache und schon lange ortsansässige Bürger Baugrundstücke oder Mietwohnungen in einer Gemeinde preisgünstiger erhalten. Derartige Modelle sind insbesondere für ländlich geprägte Kommunen im Umland von attraktiven Großstädten wichtige Instrumente."

Grundsätzlich rechtmäßig

Der Europäische Gerichtshof und die EU-Kommission haben 2013 diese Modelle – wie das angedachte "Potsdam-Bonus"-System - für grundsätzlich rechtmäßig erklärt, unterstreicht Holger Catenhusen vom Mieterverein Potsdam.
"Der Europäische Gerichtshof sagt, dass Maßnahmen zur Erreichung des Ziels angemessen sein müssen. Und die Kriterien müssen im unmittelbaren Zusammenhang mit den sozio-ökonomischen Aspekten stehen. Alles muss objektiv und diskriminierungsfrei nach im Voraus bekannten Kriterien ablaufen."
Das heißt: Eine Vergabe nach Punktesystem muss ausgewogen formuliert sein. So darf die Frage des Wohnorts nicht alleine ausschlaggebend sein. Es brauche weitere – vorrangig soziale - Kriterien. Gerne hätten wir darüber auch mit der Potsdamer Stadtspitze gesprochen, doch mehrfache Anfragen sind im Sand verlaufen.

Die Potsdamer sind gespalten

In Potsdam selbst sind die Menschen unschlüssig, ob man damit die Wohnungsnot und die explodierenden Mieten in den Griff bekommt.
"Schwierig, ich bin schon für soziale Vergaben. Aber da Regeln einzuführen, das würde den Konflikt noch mehr verschärfen", sagt Paul Grunow, ein 24-jähriger Pädagoge, Mitarbeiter in einer Potsdamer Kita.
Ähnlich sieht es Caro, eine 41-jährige Geschäftsführerin eines kleinen Ladens in einem Potsdamer Einkaufszentrum: "Ich finde es schwierig, ehrlich gesagt. Aber ich glaube, in Potsdam und Berlin sind die Mieten noch angemessener als in München, in Hamburg, in Stuttgart oder Frankfurt/Main. Ich glaube, wir jammern auf hohem Niveau."
Doch es gibt auch begeisterte Fans dieser Idee. Darunter eine wohnungslose Potsdamerin. Seit vier Jahren suche sie schon eine Wohnung, sagt sie. "Bin ich definitiv dafür, hundert pro."
Sie komme bei Freunden unter, eine eigene Wohnung sei ein Wunschtraum. Die Vergabe von städtischen Wohnungen nach einem Punktesystem sei ganz nach ihrem Geschmack: "Das sollte man in jeder Stadt machen. In jeder einzelnen Stadt dieses Landes."
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