Wo ist Ceausescu?
Das Festival "Many Years After …" in Berlin versammelte die Arbeiten rumänischer Theatermacher, die 1989 als Jugendliche erlebten und heute die historischen Fundamente eines Landes am Rande der EU untersuchen.
"Wo ist Ceauşescu", fragt Alexandru Potocean ironisch in einem Gedicht, das im Zusammenhang der studentischen Unruhen im Budapest des Frühsommers 1990 entstanden war, während einer der sogenannten "Mineriaden", die als unrühmliche Episode der rumänischen Nach-Ceauşescu-Ära in die Geschichte eingegangen sind. Etwa 7.000 Bergarbeiter als dem Schiltal waren damals nach Bukarest gereist, um alles niederzuknüppeln, was nach Opposition aussah. Der Übergangspräsident Ion Iliescu hatte sie hierzu aufgefordert, nachdem reguläre Ordnungskräfte der studentischen Proteste gegen dessen Nationale Rettungsfront nicht Herr geworden waren.
Der Performer Alexandru Potocean schlüpft, jeweils in Pausen, in denen Videoeinspielungen an die Ereignisse erinnern, in diverse Rollen: Ein Bergarbeiter, der sich der Aufforderung zur Gewaltanwendung widersetzte, ein Student, den die Meute zu Tode prügelte, ein Rocker, der sich von allem Politischen fernhalten will, und viele andere. Wo liegt die historische Wahrheit? Äußerst klug hält die Gruppe um Michaela Michailov und David Schwartz die Antwort in der Schwebe und versucht das schwarze Kapitel der Geschichte aus einem ganzen Bündel von Erzählperspektiven zu beleuchten. Selten ist ein solch kluger Blick auf Geschichte im Theater zu erleben.
Mit ähnlich karger und dabei ebenso wirkungsvoller Bühnenausstattung erinnert "Clear History" an die von Ian Antonescu befohlene Ermordung von 250.000 rumänischen und ukrainischen Juden sowie etwa 20.000 Sinti und Roma in den 1940er-Jahren, eine Arbeit, die Kuratorin Aenne Quiñones zusammen mit vier weiteren Theater- und Tanzproduktionen nach Berlin geholt hat:
"Nicoleta Esinenco ist Autorin und auch Regisseurin des Abends. Das ist eine Performance, wo sie mit Originalmaterialien umgeht. Sie hat recherchiert zu dem Genozid an Juden, Sinti und Roma in den 40er-Jahren in Moldawien. Das ist ein Fakt der Geschichte, der meistens totgeschwiegen wird."
Das Festival "Many Years After …” versammelt Arbeiten noch relativ junger Theatermacher, die die Wende von 1989 als Jugendliche erlebten und heute, mehr als zwei Jahrzehnte später, die historischen Fundamente eines Landes am Rande der Europäischen Union untersuchen. Und dies tun sie mit einem dezidiert dokumentarischen Ansatz. "X mm von Y km" basiert auf dem Studium von Akten der Securitate, also der rumänischen Stasi. Deren Aufzeichnungen über den 1985 emigrierten Dorin Tudoran sind mehrere Kilometer lang, einige Millimeter davon nehmen sich vier Akteure vor, die zu Beginn ihrer Aufführung die Rollen auslosen, die jeder spielen soll. Die des Securitate-Offiziers Nicolae Croitoru die des Schriftstellers Dorin Tudoran und zwei Nebenfiguren:
"Man bekam nirgendwo mehr eine Anstellung. Man musste jahrelang warten, damit ein Reisepass ausgestellt wurde. Falls überhaupt."
Nach einer Weile stoppt der Darsteller mit seiner Verkörperung des Autors. "Nur so viel habe ich geschafft" teilt er dem Publikum mit, das auf der mit Kreide beschriebenen schwarzen Spielfläche Platz genommen hatte. Dann wechseln die Darsteller die Rollen, ein neuer Tudoran versucht sich an der schwierigen Verkörperung eines dramatischen Schicksals. Auch werden einzelne Sätze wiederholt, wenn der Ausdruck nicht zu stimmen scheint. Dieses Theater der in Berlin schon bekannten Autorin und Regisseurin Gianina Cărbunariu erkennt seine eigene Unvollkommenheit beim Erzählen der Geschichte, aber es will die paar Millimeter, die es sich vornimmt, wenigstens so ehrlich wie möglich absolvieren.
Jede der in Berlin gezeigten Arbeiten entstand in dem künstlerischen Prekariat eines Landes, das infolge der Euro-Krise sein noch zartes Pflänzlein zeitgenössische Kultur zu zertreten droht. Die Kritikerin Iulia Popovici erläutert die finanziellen Engpässe, mit denen die Szene in Rumänien außerhalb des staatlichen Theaterbetriebs zu kämpfen hat:
"Es gibt einen nationalen Kulturfonds, der sich aus Lottomitteln, der Porno- pardon: Erotik-Industrie, den Spielkasinos und so weiter speist. Aber der sieht für das freie Theater im Jahr weniger als eine Million Euro vor. Und nicht einmal diese sind der freien Szene sicher, da auch das Nationaltheater hieraus Mittel beantragen kann. Darüber hinaus beträgt die Förderung pro Produktion maximal 12.000 Euro."
Wo die nach Berlin geladenen Theaterperformer mit behutsamer Genauigkeit Epochen der rumänischen Geschichte beleuchteten, kamen Choreografen und Tänzer in den beiden gezeigten Arbeiten über kokette Selbstironie, kindlich verspielten Humor nicht hinaus. Das komische Sich-Aufplustern als Reaktion auf die drohende internationale Bedeutungslosigkeit der eigene Szene führte "The Romanian Dance History" im Duett vor, eine halbe Stunde, bevor der Rest des Ensembles auf die Bühne kam, zu orientalischer Tanzmusik zu schwofen anfing und das Publikum sich selbst überließ.
Wer die im Rahmen von "Many Years After ..." konzipierte Kunstaktion Globale Exotik auf dem Mariannenplatz in Berlin-Kreuzberg am Samstag Nachmittag besuchen wollte, hatte Pech. Die Pappkartons, die man ansonsten hätte anmieten können, um eine, so das Programm, "einzigartige Erfahrung extremer Prekarisierung und Armut" zu erleben, waren wegen Nieselregen ins Trockene gebracht worden. Dem Wetter trotzen? Nein, soviel Wirklichkeit wollte sich – anders als das Theater – die Kunst dann doch nicht zumuten.
Informationen des HAU Berlin über das Festival "Many Years After …"
Der Performer Alexandru Potocean schlüpft, jeweils in Pausen, in denen Videoeinspielungen an die Ereignisse erinnern, in diverse Rollen: Ein Bergarbeiter, der sich der Aufforderung zur Gewaltanwendung widersetzte, ein Student, den die Meute zu Tode prügelte, ein Rocker, der sich von allem Politischen fernhalten will, und viele andere. Wo liegt die historische Wahrheit? Äußerst klug hält die Gruppe um Michaela Michailov und David Schwartz die Antwort in der Schwebe und versucht das schwarze Kapitel der Geschichte aus einem ganzen Bündel von Erzählperspektiven zu beleuchten. Selten ist ein solch kluger Blick auf Geschichte im Theater zu erleben.
Mit ähnlich karger und dabei ebenso wirkungsvoller Bühnenausstattung erinnert "Clear History" an die von Ian Antonescu befohlene Ermordung von 250.000 rumänischen und ukrainischen Juden sowie etwa 20.000 Sinti und Roma in den 1940er-Jahren, eine Arbeit, die Kuratorin Aenne Quiñones zusammen mit vier weiteren Theater- und Tanzproduktionen nach Berlin geholt hat:
"Nicoleta Esinenco ist Autorin und auch Regisseurin des Abends. Das ist eine Performance, wo sie mit Originalmaterialien umgeht. Sie hat recherchiert zu dem Genozid an Juden, Sinti und Roma in den 40er-Jahren in Moldawien. Das ist ein Fakt der Geschichte, der meistens totgeschwiegen wird."
Das Festival "Many Years After …” versammelt Arbeiten noch relativ junger Theatermacher, die die Wende von 1989 als Jugendliche erlebten und heute, mehr als zwei Jahrzehnte später, die historischen Fundamente eines Landes am Rande der Europäischen Union untersuchen. Und dies tun sie mit einem dezidiert dokumentarischen Ansatz. "X mm von Y km" basiert auf dem Studium von Akten der Securitate, also der rumänischen Stasi. Deren Aufzeichnungen über den 1985 emigrierten Dorin Tudoran sind mehrere Kilometer lang, einige Millimeter davon nehmen sich vier Akteure vor, die zu Beginn ihrer Aufführung die Rollen auslosen, die jeder spielen soll. Die des Securitate-Offiziers Nicolae Croitoru die des Schriftstellers Dorin Tudoran und zwei Nebenfiguren:
"Man bekam nirgendwo mehr eine Anstellung. Man musste jahrelang warten, damit ein Reisepass ausgestellt wurde. Falls überhaupt."
Nach einer Weile stoppt der Darsteller mit seiner Verkörperung des Autors. "Nur so viel habe ich geschafft" teilt er dem Publikum mit, das auf der mit Kreide beschriebenen schwarzen Spielfläche Platz genommen hatte. Dann wechseln die Darsteller die Rollen, ein neuer Tudoran versucht sich an der schwierigen Verkörperung eines dramatischen Schicksals. Auch werden einzelne Sätze wiederholt, wenn der Ausdruck nicht zu stimmen scheint. Dieses Theater der in Berlin schon bekannten Autorin und Regisseurin Gianina Cărbunariu erkennt seine eigene Unvollkommenheit beim Erzählen der Geschichte, aber es will die paar Millimeter, die es sich vornimmt, wenigstens so ehrlich wie möglich absolvieren.
Jede der in Berlin gezeigten Arbeiten entstand in dem künstlerischen Prekariat eines Landes, das infolge der Euro-Krise sein noch zartes Pflänzlein zeitgenössische Kultur zu zertreten droht. Die Kritikerin Iulia Popovici erläutert die finanziellen Engpässe, mit denen die Szene in Rumänien außerhalb des staatlichen Theaterbetriebs zu kämpfen hat:
"Es gibt einen nationalen Kulturfonds, der sich aus Lottomitteln, der Porno- pardon: Erotik-Industrie, den Spielkasinos und so weiter speist. Aber der sieht für das freie Theater im Jahr weniger als eine Million Euro vor. Und nicht einmal diese sind der freien Szene sicher, da auch das Nationaltheater hieraus Mittel beantragen kann. Darüber hinaus beträgt die Förderung pro Produktion maximal 12.000 Euro."
Wo die nach Berlin geladenen Theaterperformer mit behutsamer Genauigkeit Epochen der rumänischen Geschichte beleuchteten, kamen Choreografen und Tänzer in den beiden gezeigten Arbeiten über kokette Selbstironie, kindlich verspielten Humor nicht hinaus. Das komische Sich-Aufplustern als Reaktion auf die drohende internationale Bedeutungslosigkeit der eigene Szene führte "The Romanian Dance History" im Duett vor, eine halbe Stunde, bevor der Rest des Ensembles auf die Bühne kam, zu orientalischer Tanzmusik zu schwofen anfing und das Publikum sich selbst überließ.
Wer die im Rahmen von "Many Years After ..." konzipierte Kunstaktion Globale Exotik auf dem Mariannenplatz in Berlin-Kreuzberg am Samstag Nachmittag besuchen wollte, hatte Pech. Die Pappkartons, die man ansonsten hätte anmieten können, um eine, so das Programm, "einzigartige Erfahrung extremer Prekarisierung und Armut" zu erleben, waren wegen Nieselregen ins Trockene gebracht worden. Dem Wetter trotzen? Nein, soviel Wirklichkeit wollte sich – anders als das Theater – die Kunst dann doch nicht zumuten.
Informationen des HAU Berlin über das Festival "Many Years After …"