Wladimir Kaminer zur russischen Wahl

Die Jugend als Hoffnungsträgerin

Der Schriftsteller Wladimir Kaminer
Der Schriftsteller Wladimir Kaminer © imago / epd
Wladimir Kaminer im Gespräch mit Katrin Heise  · 17.03.2018
Wladimir Kaminer sieht die russische Wahl am Sonntag nicht als richtige Wahl: Selbst im Kreml spreche man von einem Referendum. Der in Berlin lebende Schriftsteller setzt auf die Jugend und deren Freiheitsdrang.
Von einer Präsidentenwahl will der Schriftsteller Wladimir Kaminer nicht sprechen, wenn er an diesem Wochenende in seine frühere russische Heimat blickt. "Es wird nicht als Wahl angesehen", sagte er im Deutschlandfunk Kultur. "Selbst die Kreml-Leute sagen, es geht um eine Art Referendum, eine Bestätigung unseres Vertrauens."
Auch für Präsident Wladimir Putin sei das nicht der beste Weg, der wahrscheinlich gerne schon in Rente gegangen sei. "Denn diese neue Amtszeit wird keine glückliche für ihn sein." Aber auch in der russischen Tragödie gebe es lustige Momente, über die man lachen könne.

Hoffnung auf die Jugend

Sehr viel Hoffnung setzt Kaminer dagegen auf die russische Jugend, die anders als die noch in der Sowjetunion geprägten Generationen keine Angst mehr im Blut habe. Ältere Menschen hätten Angst auf die Straße zu gehen. Sie wüssten, dass der Staat sogar Panzer gegen seine Bürger einsetzen könne.
"Die Jugend weiß das nicht", sagte Kaminer. "Sie gehen auf die Straße, sie können sich nicht vorstellen, in einem Land zu leben, umzingelt von Feinden und das nur Russland Recht hat und der Rest der Welt eben nicht." Die jungen Leute wollten in einem offenen, demokratischen und europäischen Russland leben.

Das Interview im Wortlaut:

Katrin Heise: Der Autor Wladimir Kaminer bringt viele zum Schmunzeln oder auch zum Lachen mit den Alltagsbeobachtungen eines deutsch-russischen Lebens. "Russendisko", "Militärmusik", das waren die ersten Werke einer langen Reihe, die auch "Gartenarbeit" zum Beispiel, pubertierende Kinder, kaukasische Schwiegermütter nicht vergisst, aber eben auch immer wieder in die alte Heimat blickt, im vergangenen Jahr zum Beispiel mit "Good Bye, Moskau". Das waren zum Teil verzweifelte Betrachtungen über Russland. Ich grüße Sie, Herr Kaminer, guten Tag!
Wladimir Kaminer: Ich grüße Sie auch. Aber ich finde durchaus auch in dieser russischen Tragödie gibt es lustige Momente. Man kann darüber auch lachen.
Heise: Wahrscheinlich muss man auch drüber lachen, weil man sonst verzweifelt. Wie geht eds den Menschen in Russland? Ich meine jetzt den normalen Menschen, vielleicht sogar den, der nicht in Moskau lebt.
Wahlplakat mit dem Kandidaten zur Präsidentschaftswahl in Russland Pawel Grudinin
Pawel Grudinin tritt für die russischen Kommunisten an und kann mit großer Zustimmung rechnen © Thielko Grieß (DLR Moskau)
Kaminer: Mit der Schwiegermutter habe ich vorgestern telefoniert. Das ist ein kleines Dorf im Nordkaukasus. Sie wollen alle Putin nicht wählen. Sie haben gesagt, wir wählen den Kommunisten, diesen mit Schnurbart. Der kommt uns so vertraut vor. Ich sagte zur Schwiegermutter, mach das nicht, Mensch. Der Kommunist ist ein Stalin-Freund. – Nein, das kann nicht sein. Wo hat er das gesagt? – Das sagt er doch immer! Einerseits wissen sie, dass sie nicht die Kontrolle haben über ihren Staat. Sie können ihr politisches Personal nicht abwählen.
Es gibt nur diesen Putin und vom Kreml zugelassene Kandidaten, die als eine Art Spoiler dann bei dieser Wahl dienen können. Er kann ja nicht allein auf dem Zettel stehen. Andererseits wollen die Leute das nicht zugeben und sagen, ja, der muss das ja weitermachen. Klar. Der hat es ja angefangen. Ich habe jetzt geschaut auf der Internetseite von Putin, das ist die Seite putin2018.ru. Da steht nur ein Zitat von ihm: Ich mache keine halbe Sachen. Wenn ich was angefangen habe, dann bringe ich es auch zu Ende.
Heise: Und das bedeutet, dass er auf jeden Fall die vierte Amtszeit – mehr darf er ja eigentlich nicht, die vierte Amtszeit noch erledigen will, erleben will. Wenn Sie so sagen –
Kaminer: Man darf eigentlich nicht mehr als zweimal hintereinander, steht in der russischen Verfassung, und zweimal hintereinander hat er ja schon. Das ist im Grunde genommen seine fünfte. Er war einmal auch in Gestalt von Medwedjew dem Volk erschienen. Aber ich möchte Ihnen sagen, ich habe nachgeschaut: Die Domain putin2024 und putin2030 sind schon auch belegt. Also, er wird mit Sicherheit freiwillig, also von allein, sich nicht zur Wahl stellen gegen wirkliche Gegner.

Putins Krieg mit dem Westen

Heise: Die ihn dann stimmlich übertrumpfen können. Sie sagen aber, es gibt durchaus viele Menschen, die zur Wahl gehen werden und ihn nicht wählen werden. Das heißt, sie machen Putin für die Situation, für die Stagnation, für die wirtschaftliche Situation durchaus verantwortlich?
Kaminer: Den Menschen ist natürlich vor allem die Sache mit der Korruption vollkommen bewusst. Das einzige Programm Putins ist der Krieg mit dem Westen. Unser Land ist umzingelt von Feinden. Es gebe eine regelrechte Verschwörung, die zum Ziel hat, Mütterchen Russland untergehen zu lassen, und nur ich allein kann das Land beschützen. Das ist ein ganz komischer Krieg, wo quasi nur die eine Seite im Krieg ist, und die andere Seite, der Westen, glaube ich, gar nichts davon weiß.
Heise: Na ja, wobei er ja jetzt von Großbritannien, also aus London ja eigentlich genau Feuer bekommt, was ihm dann ja eigentlich nur helfen kann.
Kaminer: Die Reaktion ist quasi auf diplomatischer Ebene, ein paar Diplomaten von beiden Seiten zurück in die Heimat zu schicken. Es werden dann gleichzeitig ganz viele Unterhändler, glaube ich, unterwegs sein, weil die Länder müssen im Gespräch bleiben, es gibt keine Alternative zu einem weiteren Dialog. Die Falken auf beiden Seiten werden sich freuen, weil auch für die Führung eines unsichtbaren, eines nicht existierenden Krieges durchaus ein echtes Geld gefördert und verwendet werden muss.
Zwei Jungen und ein Mädchen sprechen auf einem Bürgersteig in ein Mikrofon, Umstehende beobachten und filmen die Szene. 
Bei den Demonstranten gegen die verbreitete Korruption gehen vor allem junge Leute auf die Straße. Die gelbe Ente ist das verbreitete Symbol dieser Kundgebungen. © Alexander Zemlianichenko / AP / dpa

Jugend ohne Angst

Heise: Herr Kaminer, wie geht es eigentlich der Jugend in Russland? Baut die denn auf den vermeintlich starken Mann Putin?
Kaminer: Die Jugend ist gerade, also die Generation, die noch keine Angst hat im Blut wie die ältere … Also meine Generation oder 60-plus, also Menschen, die in der Sowjetunion noch Erfahrungen gemacht haben, die haben Angst, auf die Straße zu gehen. Sie wissen, dass der Staat nicht zögert und jederzeit die Panzer auf die Menschen schicken kann. Die Jugend weiß das nicht. Sie gehen auf die Straße.
Sie können sich nicht vorstellen, in einem Land zu leben umzingelt von Feinden, und dass nur Russland recht hat und der Rest der Welt eben nicht. Nein, sie wollen in einem offenen, demokratischen, europäischen Land leben. Und sie haben die Angst nicht, deswegen geht gerade die Jugend auf die Straße. Der einzige oppositionelle Präsidentschaftskandidat, Nawalny, der nicht zugelassen wurde, weil er echt ist, also nicht vom Kreml gekauft – er hat ja zum Boykott dieser Wahl aufgerufen, aber gleichzeitig seine Beobachter geschickt zu den Wahllokalen.
Und das waren, glaube ich, so 60.000 junge Leute, die sich bei ihm gemeldet haben. Davon, stellen Sie sich das vor, waren etwa 20.000 minderjährig, unter 18. Also, die Jugend in Russland entwickelt jetzt ein großes Interesse für die Politik. Das passiert, weil die Politik eben von einem himmlischen Gegenstand zu einer Küchenangelegenheit wird. Sie geht quasi in jede Küche, in jedes Leben rein.
Xenia Sobtschak steht umringt von Personen am 06.12.2017 in ihrem Wahlkampfbüro in Nischni Nowgorod.
Auch die Fernsehmoderatorin Ksenija Sobtschak kandidiert für das Präsidentenamt © dpa / Thomas Körbel

Auf dem Weg ins Jenseits

Heise: Das heißt, von Lethargie ist auf jeden Fall bei der Jugend keine Rede?
Kaminer: Nein. Nach natürlichen Gesetzen verabschiedet sich diese Generation von ehemaligen KGB-Offizieren in Rente und ihren Freunden aus dem kriminellen Milieu – die gehen auf natürlichem Weg irgendwann mal ins Jenseits. Und ihre Kinder, ihre Enkelkinder werden das nicht mittragen.
Heise: Sie haben eben gerade die eigentlich nicht vorhandene Opposition und dann den einzigen Oppositionellen, Nawalny, erwähnt. Jetzt tritt doch die junge Journalistin Xenia Sobtschak an und hat jetzt – also offen kritisiert sie sogar die Ukraine-Politik Putins und hat jetzt angekündigt, dass sie mit Nawalny zusammen eine Partei gründen will. Ich weiß nicht, ob er schon davon weiß. Was halten Sie davon?
Kaminer: Sie ist auf jeden Fall eine künstlich gemachte Kandidatin, also nicht wirklich irgendwie, sondern wie der Teufel aus der Tabakskiste, plötzlich, sechs Wochen vor der Wahl rausgesprungen war. Aber sie hat sehr viel Richtiges gesagt. Sie durfte es, okay, gut. Das ist jetzt in dem Fall nicht ausschlaggebend. Sie hat es getan. Die anderen hatten ja auch die Möglichkeiten, die anderen Kandidaten, etwas Wichtiges in die Öffentlichkeit zu bringen. Das haben sie nicht getan. Sobtschak hat es getan. Insofern kann es durchaus sein, dass sie, wenn sie weitermacht, dass sie eine politische Karriere in Russland nach Putin auf jeden Fall hat.

"Highlander" und Schwerterschwenken

Heise: Sie, Herr Kaminer, sehen aber überhaupt keine Möglichkeit – morgen wird natürlich Putin gewählt?
Kaminer: Was heißt "gewählt"?
Heise: Er wird gewinnen, sagen wir so.
Kaminer: Das wird gar nicht als Wahl angesehen. Selbst die Kreml-Leute sagen, es geht um eine Art Referendum, eine Bestätigung unseres Vertrauens. Und ich glaube, auch für Putin ist das nicht der beste Weg. Er wäre wahrscheinlich gern in Rente gegangen, weil diese neue Amtszeit wird keine glückliche für ihn sein. Aber er kann nicht zurückrudern. Es ist einfach zu spät dafür, da er ja selbst alle unabhängigen Gerichte, die freien Medien, alle Institute, die den Bürger ohne Macht schützen können, abgeschafft hat, ist er auch in einer schlechten Lage. Er kann noch so lange sicher sein, solange er im Kreml sitzt.
Heise: Und wie wir von Ihnen erfahren haben, ist das ja schon für die weite Ferne auch geplant, auf jeden Fall, was das Internet und die Domains angeht.
Kaminer: Lustigerweise glauben diese Menschen nicht an eine normale Sterblichkeit. Sie haben, glaube ich, früher in den Achtzigern, zu viel "Highlander" geguckt. Da sterben die Leute niemals an Krankheiten oder weil sie alt werden. Sie gehen auch nicht in Rente. Da geht es nur ums Schwerterschwenken. Und das macht er.
Heise: Dann werden wir uns das morgen und in Zukunft wahrscheinlich weiter angucken. Betrachtungen und Beobachtungen in Russland vom Schriftsteller Wladimir Kaminer. Morgen wird in Russland gewählt. Danke schön, Herr Kaminer!
//Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in I
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