Witold Gombrowicz: „Durch die Philosophie in 6 Stunden und 15 Minuten“

Die Schönheit des Widerspruchs

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Cover des Buchs „Durch die Philosophie in 6 Stunden und 15 Minuten“ von Witold Gombrowicz. Es zeigt einen stilisierten Denker.
© Kampa Verlag

Witold Gombrowicz

Aus dem Französischen von Jutta Baden

Durch die Philosophie in 6 Stunden und 15 MinutenKampa Verlag, Zürich 2022

144 Seiten

18,00 Euro

Von Marko Martin · 12.12.2022
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Der polnische Exilschriftsteller Witold Gombrowicz führte in den letzten Monaten seines Lebens „durch die Philosophie in 6 Stunden und 15 Minuten“. Das Buch ist nun erneut veröffentlicht worden: ein gewitzter Parcours voller Eigensinn.
Der polnische Exilschriftsteller Witold Gombrowicz hat im Frühjahr 1969 nur noch wenige Monate zu leben, als er sich von seiner Frau Rita und dem französischen Autorenkollegen Dominique de Roux überzeugen lässt, seine lebenslange Beschäftigung mit der Philosophie noch einmal Revue passieren zu lassen. Der Zürcher Kampa Verlag, der sich gegenwärtig um das inzwischen fast vergessene Werk Gombrowicz´ hochverdient macht, hat nun auch „Durch die Philosophie in 6 Stunden und 15 Minuten“ neu herausgebracht, das seinerzeit aus dem Nachlass des Schriftstellers erschienen war.

Polen, Argentinien und Frankreich

Witold Gombrowicz hielt sich 1939 bei Kriegsausbruch in Argentinien auf und konnte deshalb nicht nach Polen zurückkehren. Nach 1945 wollte er dann auch nicht mehr in einer stalinistischen „Volksrepublik“ leben und blieb bis 1963 in Südamerika, ehe er – nach einem Jahr in Westberlin – ins südfranzösische Vence übersiedelte.
Der Verfassser von ebenso hochgelobten wie seinerzeit umstrittenenen Romanen wie „Ferdydurke“, “Trans-Atlantik“ oder „Pornographie“ war zeitlebens eine Art „writers' writer“, eine Referenz für so unterschiedliche Autoren wie Bruno Schulz und Ingeborg Bachmann, vor allem aber ein sarkastischer Freigeist und in seinen Tagebüchern ein bekennender bisexueller Intellektueller.

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Wie er nun, asthmakrank und herzleidend, 1969 in klug strukturierten „Lektionen“ über philosophische Prägungen referiert (mündlich, doch beim druckreifen Sprechen auf zahlreiche Notizen zurückgreifend), ist er keiner, der im Angesicht des Todes noch einmal Bildungschätze betrachten möchte oder Philosophie – was in seiner Situation immerhin verständlich wäre – missversteht als „Lebenshilfe“.
Die mal gewitzte, mal wütende Anmahnung des „Konkreten“ geht nämlich ungleich tiefer und berührt ein Grundproblem nicht nur des Existenzialismus, dem sich Gombrowicz verbunden fühlt. Wie die Kluft überbrücken zwischen hehrer (Freiheits-)Begrifflichkeit und menschlicher Existenz, die sich jeder Theorie immer wieder entzieht und in der auch Alltag und Routine eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen?

Überaus belesen

Die Nicht-Unterwerfung unter Definitionen ist geradezu das movens dieser Reflexionen, wobei Grombrowicz, dem Eitelkeit gewiss nicht fremd war, auch der Versuchung widersteht, den anarchischen Künstler allzu wohlfeil auszuspielen gegen die Welt der vermeintlichen „Stubengelehrten“. Da er doch selbst überaus belesen ist, seit jeher mit den Fragen des Bewusstseins und der Sinnhaftigkeit ringt und sich dabei gewiss nicht nur jene Philosophen herauspickt, die – wie eine bedenkliche Formulierung lautet - „uns noch heute etwas zu sagen haben“.
Philosophie beginnt für Witold Gombrowicz bei den griechischen Philosophen, bei denen „zum ersten Mal der rationale Mensch aufgetaucht ist, der von Vernunft geführte Mensch“. Weiter geht es zu Kants „Kritik der reinen Vernunft“, in der Gombrowicz die „Grenzen des Bewusstseins“ reflektiert findet.
Speziell auch sein Blick auf Schopenhauer: „Die Philosophie hört auf, eine intellektuelle Demonstration zu sein, um direkten Kontakt zum Leben aufzunehmen.“ Dass in just diesem Leben der Pessimist Schopenhauer dann nur Leid und Mühsal sah, während es Nietzsche im Gegenteil vitalistisch vergottete, spricht nicht gegen die beiden Philosophen, doch der Romancier schmunzelt: Irgendwann geraten sie alle in die Falle fatalen Verallgemeinerns, Erhöhens und fragwürdigen Systematisierens.

Sartre und der „Biedersinn“

Desto schärfer (und in dieser Kritik nahe an Karl Popper) sein Urteil über Hegels Geschichtsdeterminismus. „Bei Hegel gibt es nichts als Abstraktion und Konzepte. Seine Wahrheit ist im Voraus entworfen. Kein Zufall, mit welcher Gefräßigkeit sich die Kommunisten auf die Idee geworfen haben.“
Wobei Gombrowicz hier keineswegs lediglich malizöse Noten vergibt, sondern zuvor die Denksysteme der Philosophen skrupulös referiert – in klaren, prägnanten Sätzen ohne jeglichen „Jargon“. So sind es schließlich auch weit mehr als die ironisch angekündigten „15 Minuten“, die Karl Marx gewidmet sind, dessen Einsichten in die Ökonomie des damaligen Kapitalismus durchaus gewürdigt werden. Dass Marx‘ vermeintlich „objektive“ Aussagen zum „Bewegungsgesetz der Geschichte“ noch hundert Jahre später von Sartre nachgebetet werden, empfindet Gombrowicz indessen nicht nur als einen Verrat an der ursprünglichen Freiheits-Idee, sondern, fast schlimmer noch, als „bieder“.

Ein freier Mensch – bis zuletzt

Hier vermeint man noch heute das Gelächter des renitenten Ästheten zu vernehmen, der schließlich in seinem analytischen Parcours bei Claude Lévi-Strauss angekommen ist, als der Text mit einem „und auch...“ abrupt endet. Vielleicht kein unpassendes Epitaph für einen freien Mensch, der jeglichen hochfahrenden Verallgemeinerungen misstraute und stets auf eben diesem „auch“ bestand, auf dem Hinzufügen, Erweitern und Widersprechen.
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