Hexen

Ikone oder Bedrohung?

09:44 Minuten
Die böse Hexe des Westens im Kultfilm "Wizard of Oz", wie in der Klischeevorstellung auf dem Besen reitend.
Klischee-Bild: Die böse Hexe des Westens im Wizard of Oz mit ihrem Besen. © imago images/Mary Evans
Katharina Rein im Gespräch mit Thiam Boussa · 22.11.2021
Audio herunterladen
Die gefährliche Frau mit unheimlichen Kräften als Archetyp des weiblich Abgründigen: Hexen wurden von der Kirche über Jahrhunderte hinweg gejagt, gefoltert und getötet. Später wandelte sich der Blick auf sie fundamental. Ein neues Buch erzählt davon.
Mit der Aufklärung änderte sich auch das Hexenbild. Die Hexe wurde zur Ikone von modernem Paganismus, Inspiration für Künstlerinnen und autonome Frauen. In der "Library of Esoterica" des Taschenverlages ist jetzt das Buch "Witchcraft" erschienen. Mit zahllosen großartigen Abbildungen und erhellenden Texten.
Geschrieben hat das Werk Pam Grossmann. Sie und Jessica Hundley, Herausgeberin der Library of Esoterica, bezeichnen sich in Vorworten selbst als Hexen.
Die Potsdamer Kulturwissenschaftlerin Katharina Rein hat sich mit dem Buch eingehender beschäftigt. Und hat gemischte Gefühle: Auf der einen Seite sei es sehr schön, zum Thema Hexerei so viele künstlerische Werke versammelt zu sehen. "Das ist natürlich ein toller Schatz."

Das Narrativ der starken Hexe

Zugleich habe sie aber auch das Gefühl, dass das Buch sehr programmatisch sei, so Rein. Es sei sehr auf das Narrativ fokussiert, das die Hexe sich zu einem Symbol für Frauenpower und Selbstbestimmung gewandelt habe. "Dabei wird ein bisschen zu sehr ausgeblendet, dass das nicht ganz unproblematisch ist."
Nicht umsonst setze das Buch einen starken Schwerpunkt auf das 20. Jahrhundert. Um Neunzehnhundert habe die Romantisierung der Hexenfigur in Kunst, Literatur und Lyrik eingesetzt, sagt Rein. Das Buch versuche, die positive Darstellung zu betonen und hake Negatives nebenbei ab.

Bedrohung oder mächtige Frau?

Tatsächlich könne Hexenkunst auch als feministisch gelesen werden. Wichtig sei die Unterscheidung nach Fremd- oder Selbstbeschreibung.
"In der Fremdbeschreibung ist es (die Hexe, Anm. der Red.) ein eher negativer Begriff", sagt Rein. Er stehe für Maßlosigkeit, Sünde und unbändige Sexualität, die als bedrohlich wahrgenommen worden sei. Nicht umsonst seien es oft Männer gewesen, die Hexen verfolgt hätten: "Die eigene Sexualität wird dämonisiert, der Frau wird die Schuld daran gegeben."
Bei der Selbstbeschreibung sei es umgekehrt: Die unbändige Frau mit befreiter Sexualität mache, was sie will. "Sie steht außerhalb der Gemeinschaft, ist individuell und eigensinnig." Die Hexerei sei dafür das Instrument.
Circe bietet Ulysses den Becher an, hier in der Darstellung von John William Waterhouse.
Circe bietet Ulysses den Becher an, hier in der Darstellung von John William Waterhouse. © picture alliance / Bildagentur-online/UIG
Die Hexe sei eine "Kippfigur", so Rein: je nach Perspektive eine Bedrohung oder eine mächtige Frau, die ihr Leben selbst unter Kontrolle habe.

Keine geschichtsbewusste Aufarbeitung

Eine typische Darstellung in der Kunst sei etwa die Zeichnung "The Witch" des italienischen Zeichners Salvator Rosa, die zum Höhepunkt der Hexenverfolgung im Dreißigjährigen Krieg entstand. Hexen seien damals für wirtschaftliche Not verantwortlich gemacht worden, sagt Rein. Die typische Darstellung sei die der isolierten, armen, halbnackten Frau.
In dieser Hinsicht sei das Buch wenig geschichtsbewusst: "Beide Geschlechter sind der Hexenverfolgung zum Opfer gefallen", sagt Rein. Zwar habe es tatsächlich überwiegend Frauen getroffen, doch eben auch Männer. Und regional habe es Unterschiede gegeben.
Szenen, die bedrohlich wirken: Salvator Rosas Darstelllung von Hexen.
Szenen, die bedrohliich wirken: Salvator Rosas Darstelllung von Hexen. © picture alliance / Heritage-Images
Auch in der Pop-Kultur sei die Darstellung von Hexen wenig differenziert, findet die Kulturwissenschaftlerin. Es gebe eine Einteilung in gute und schlechte Hexen. Insgesamt dominierten männliche Hauptfiguren, die um die wichtigen Dinge wie etwa Macht kämpften, Frauen tauchten eher als Sidekicks auf.
Trotz der Kritik sieht Rein das Buch als sehr schönen Bildband, der sich für alle lohne, die sich für Hexerei interessierten, insbesondere für die Darstellung in der Kunst. Man lerne auch viel über Hexerei, aber eher im esoterischen Sinn, sagt Rein.
Mehr zum Thema