Künstlerdetektive in guter Mission
Bekannt sind Forensiker als Kriminaltechniker aus Fernsehsendungen wie CSI. Doch auch Künstler arbeiten als detektivische Wissenschaftler - für NGOs oder die UN etwa. Die Berlin Ausstellung "Forensis" stellt ihre Arbeit vor.
Bekannt sind Forensiker als Kriminaltechniker aus Fernsehsendungen wie CSI. Doch die detektivischen Wissenschaftler arbeiten auch für NGOs oder die UN. Eine Ausstellung in Berlin stellt ihre Arbeit vor.
Nicht nur im Fernsehen werden die Mittel der Forensik – vom Fingerabdruck über Gesichtsbiometrie bis zur Internet-Ortung – meistens eingesetzt, wenn es dem Staat um die Überwachung der Bevölkerung geht. Was wäre aber, wenn sich die Bürger der forensischen Vorgehensweise bemächtigen würden, um auseinanderzuklamüsern, was die Staaten, die Regierungen da eigentlich treiben?
Drei Jahre lang haben am Goldsmiths Institute der Uni London aus diesem Gedanken heraus rund dreißig multinationale Akademiker erkundet, mit welchem Instrumentarium Wahrheit und Wissen heute erzeugt beziehungsweise offengelegt werden können. Und die Gruppe, die daraus hervorgegangen ist, nennt sich Forensic Architecture.
"Wir nennen es so, weil wir eigentlich ein Architekturinstitut sind. Aber es ist ein Experiment, mal Künstler, Architekten, Filmemacher und Theoretiker zusammenzuspannen, um Beweismittel zu erstellen."
Menschenrechte und Ästhetik
Das sagt Eyal Weizman, Mitte vierzig, geboren in Haifa, er ist der zuständige Institusdirektor am Goldsmiths und Professor für visuelle Raumkunst. Aber was haben Architekten und visuelle Künstler – also Ästhetiker gemeinhin – mit den Menschenrechten zu tun? Oder mit bewaffneten Konflikten in Darfur, im Amazonasbecken oder Guatemala?
Weizman: "Mit der Welt interagieren, zeigen, dass unsere Filmemacher in der Feinanalyse von Videos, in den Pixeln etwas entdecken können, das andere vielleicht nicht sehen. Dass unsere Architekten aus Gebäuden und ganzen Landstrichen – ob Ruinen oder funktionierenden Strukturen – die Folgen von Konflikten herauslesen können."
Diese Ausstellung "Forensis" im Berliner Haus der Kulturen der Welt zeigt, wie Anwälte, Künstler, Wissenschaftler und Aktivisten all die komplizierten Verstrickungen zwischen Klimawandel und Völkermord, zwischen Asylanträgen und Drohnenkrieg verständlich auseinanderfisseln können. Verständlich für eine fachunkundige Öffentlichkeit, die die Probleme aber angehen, und auch für Richter oder Entscheidungsträger, die oft genug über Dinge zu befinden haben, die ihnen viel zu hoch sind. Auf jeden Fall werden sie ins öffentliche Forum hinausgetragen, wo sie hin gehören. Zum Beispiel in diese Ausstellung: "Forensis".
Die moderne Forensik changiert zwischen normaler kriminalistischer Erforschung und verborgenen Spuren, die sich nur durch differenzierte Analyse aufdecken lassen. Und so wird dem Ausstellungsbesucher an einem kleinen Leuchttisch kurz erklärt, mit welchen Methoden sich Fingerabdrücke verändern lassen – nämlich indem man Haut vom Fuß auf die Fingerkuppen transplantiert oder sie unkenntlich macht durch Zerbeissen, Zerschneiden oder Mit-Säure-Wegätzen. Und direkt daneben walzt sich dann meterlang ein komplizierter Aufbau zum erfolgreichen Nachweis der systematischen, unterlassenen Hilfeleistung für in Not geratene Flüchtlingsboote durch verschiedene Staaten. (Durch unterseeische Forensik sind sie dahintergekommen.)
DNA-Dateien, Satellitenbilder und Gipsmodelle
14 Datensammlungen, 10 Fallstudien und acht thematische Kapitel versuchen, das Konglomerat aus Ursachen und Interessen allfälligen Katastrophen zu durchdringen – von der Finanzkrise bis zum Völkermord an den indigenen Ureinwohnern Südamerikas.
Und da reihen sich – in überwältigender Indizienlast – DNA-Dateien an Satellitenbilder und Gipsmodelle, alte Fernsehinterviews an Grabungsprotokolle, Gesteinsproben an die Rekonstruktion eines Drohnenangriffs in Waziristan – und die Schallplatten von George Harrisons legendärem Benefizkonzert für die Sturmopfer in Bangla Desh.
Das Ziel einiger Mitarbeiter der Forensic Architecture scheint eine Art universeller Rechtsprechung zu sein – auf der Grundlage der neuen technischen Möglichkeiten von Internet und High Definition Video: Andererseits erzählte der israelische Anwalt, Kriegsdienstverweigerer und Aktivist Michael Sfard, daß israelische Militärs sogar drei Videos vom selben Vorfall als nicht aussagekräftig ablehnten, bis die forensichen Architekten aus London anrückten und Flugbahnen eines Gaskanisters und dergleichen rekonstruierten.
Sfard berichtete davon bei der zur Ausstellung veranstalteten Konferenz mit dem Titel "The Architecture Of Public Truth" (Die Architektur von öffentlicher Wahrheit). Dort erzählte auch der ehemalige Chefankläger des Internationalen Gerichtshofs, Luis Moreno Ocampo – als alter Haudegen fürs Völkerrecht –, ganz unterhaltsam von der Realität der Diplomatie gegenüber der Brutalität in Darfur, der gemütlichen Trickserei um Gaza und der Dummheit in Libyen. Und der Schriftsteller Jonathan Littell gab ein paar interessante Einblicke in Sinn und Wesen von eben diesen humanitären Organisationen und den naiven Irrglauben, wirklich neutral sein zu können.
Aber die gedankliche Verflechtung der Thementische und Stellwände in der Ausstellung sprechen da eine exaktere Sprache, entwerfen ganz allmählich ein überwältigendes Puzzle aus Verstrickungen von Unrecht und Gewalt und Interessen und Ignoranz. Man muß sich nur die Mühe machen, wirklich tief genug einzutauchen.