Umwelt-Ökonom Niko Paech

"Wir steuern auf einen Konsum-Burn-out zu"

08:31 Minuten
Ein leerer Einkauswagen steht einsam auf einem nebligen Parkplatz.
Auf Dauer hilft nur weniger Konsum, meint der Ökonom Niko Paech. © Getty Images / EyeEm / Jaromir Chalabala
Niko Paech im Gespräch mit Dieter Kassel · 21.03.2022
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Wir leben "brutal über unsere Verhältnisse", sagt der Umwelt-Ökonom Niko Paech. Krisen könnten aber zu einem Umdenken führen und so "zum Meister der Transformation" werden. Maßhalten, wie es Ludwig Erhard vor 60 Jahren forderte, genüge nicht mehr.
Bereits vor 60 Jahren rief Ludwig Erhard zur Mäßigung auf. Das mag ungewöhnlich erscheinen, ist der ehemalige Bundeskanzler doch vor allem als Vater des deutschen Wirtschaftswunders bekannt. „Was Ludwig Erhard vorschwebte, war eine Vermeidung einer Überhitzung der Konjunktur“, sagt der Umwelt-Ökonom und Vertreter der Post-Wachstumsökonomie, Niko Paech. Sie diente dazu, einer drohenden Inflation entgegenzuwirken. Danach sollte das pralle Leben weitergehen.

Noch ist es Zeit, aber es ist höchste Zeit, Besinnung zu üben und dem Irrwahn zu entfliehen. Als ob es einem Volk möglich sein könnte, für alle öffentlichen und privaten Zwecke in allen Lebensbereichen des einzelnen und der Nation mehr verbrauchen zu wollen, als das gleiche Volk an realen Werten erzeugen kann oder zu erzeugen gewillt ist.

Ludwig Erhard

Heute stehen wir an einem anderen Punkt, ein „Weiter so“ kann nicht mehr versprochen werden, „weil wir brutal über unsere Verhältnisse leben, weil einfach der Verlust der ökologischen Lebensgrundlagen droht“, betont Paech.

Krisen als Meister der Transformation

Ein Umdenken in der Politik und Gesellschaft ist bisher aber noch kaum zu beobachten. Doch der Ukraine-Krieg, aber auch Banken- und Coronakrise könnten „zum Meister der Transformation oder auch zum Wandel in Richtung Nachhaltigkeit werden“. Paech und anderen Ökonomen vermutet dies zumindest.
„Der Brexit oder die Instabilität der internationalen Finanzstruktur, all dies zählt dazu, dass die Verletzlichkeit unserer Lebensweise gestiegen ist. Und dann ist es natürlich eine Vorsorgemaßnahme, sich möglichst unabhängig zu machen“, sagt er.
Das gelte für die Gesellschaft als Ganzes, aber auch für uns als einzelne Individuen, die sich sorgen, den bisherigen Lebensstil nicht aufrechterhalten zu können. „Je unabhängiger ich aber bin und je weniger ich brauche, desto weniger angreifbar bin ich, wenn Krisen eintreten. Das kann für viele Menschen ein stärkeres Motiv sein, die Ansprüche zu mäßigen, als der Klimawandel.“

Befreiung vom Überfluss

Paech sieht unsere Gesellschaft nicht nur in einer wirtschaftlichen und ökologischen, sondern auch in einer psychologischen Wachstumskrise. „Wir sind gar nicht mehr in der Lage, all diesen Wohlstand so aufzunehmen und auszuschöpfen, dass die Lebenszufriedenheit oder Lebensqualität der Menschen im Durchschnitt noch steigt. Wir sind so gestresst und reizüberflutet, teilweise überfordert, steuern auf einen Konsum-Burn-out zu, dass es um eine Befreiung vom Überfluss geht.“
Ausgerechnet Ludwig Erhard habe dies in seinem Klassiker „Wohlstand für alle“, der Mitte der 50er-Jahre erschienen ist, schon erkannt. Seien alle materiellen Bedürfnisse der Menschen weitgehend befriedigt, wäre es sinnvoll, weiteren Fortschritt dafür zu nutzen, dass Menschen weniger arbeiten, schrieb er damals.

Technischer Fortschritt ist keine Lösung

Ohne Mäßigung, allein durch technischen Fortschritt gehe es jedenfalls nicht, ist Paech überzeugt. „Es hat noch nie in der Geschichte der Menschheit ein Beispiel gegeben, dass technischer Fortschritt vermocht hat, ein ökologisches Problem zu lösen“, betont er. „Nur die Politik wagt es noch nicht, diese Erkenntnis auszusprechen. Aber ich denke, das ist nur eine Frage der Zeit.“
Noch allerdings reist der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck nach Katar, um für einen Ersatz für russisches Gas zu sorgen . Die Parteien befinden sich nach wie vor in einem Überbietungswettbewerb.
„Sie wetteifern darin, den Menschen immer mehr Geschenke oder immer mehr Gefälligkeit zu unterbreiten in Hinblick auf das Angebot: Fürchtet euch nicht, konsumiert weiter, fliegt weiter, esst weiter, baut weiter, und wir werden schon dafür sorgen, dass wir über die technische Innovation oder die Erschließung neuer Bezugsquellen das alles in irgendeiner Form ermöglichen“, sagt Paech.

Politisches Umdenken lässt auf sich warten

Darin würden sich auch die Grünen nicht von anderen Parteien unterscheiden. Im Gegenteil:
„Sie stehen auch immer ein bisschen unter dem Zwang, zu zeigen, dass sie ja auch Wirtschaftswachstum können, dass sie Technologie können, dass sie Globalisierung können, weil man ja sonst die Grünen auch oft als Müsli- oder Verbotspartei gebrandmarkt hat.“
Ein politisches Umlenken in der Politik könne also noch auf sich warten lassen. „Die Politik ist bei ihrem Handeln wie so eine Titanic, hat also einen unglaublich langen Bremsweg,“ sagt Paech. Ein Vergleich, der nicht gerade Hoffnung macht.
(lkn)

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