Wirtschaftsfaktor Cannabis?

Legalisierung könnte einen Wirtschaftsboom auslösen

Auf einem Tisch liegt ein Plastiktütchen mit Hanf neben einem Joint und einem roten Feuerzeug.
Wer gewinnt, wer verliert bei der Legalisierung von Cannabisprodukten? © imago / Christian Ohde
Von Mirko Heinemann · 18.08.2015
Wird Deutschland zum zweiten Colorado in Cannabis-Fragen? Strafrechtsexperten und Politiker plädieren für eine Entkriminalisierung der Droge. Das hätte auch wirtschaftliche Folgen - und davon könnte die Staatskasse profitieren.
Über Berlin-Kreuzberg scheint die Sonne. Im Görlitzer Park spielt eine Band. Im hinteren Teil des Parks stehen Männergruppen. Schwarz, jung, afrikanischer Hintergrund.
"Grass?"
"Ich bin Journalist. Ich will Haschisch kaufen. Für zehn Euro."
"Von 30 Euro normalerweise."
"Echt? Für zehn Euro gar nicht?"
"No, no, nicht. Hier keine Drogen. Wann du willt Drogen zu die weite Leute..."
An Journalisten wird hier offenbar nicht verkauft. Unter Touristen und Einheimischen ist der Görlitzer Park als Verkaufsstelle für Haschisch und Marihuana bekannt. Die meisten Dealer hier sind dunkelhäutige Männer, die kaum oder gar kein Deutsch sprechen. Handelssprache ist Englisch. Es ist schwierig, Kontakt aufzunehmen. Dann finden sich doch welche, die über ihr Geschäft sprechen.
"Wir sind keine Kriminellen, und wir mögen das nicht, was wir hier machen. Wir verdienen manchmal nur zehn Euro am Tag. Dafür sind wir den ganzen Tag hier im Park. Wenn die Polizei kommt, müssen wir fliehen. Abends gehen wir nach Hause, kaufen uns mit dem Geld etwas zu essen, und manchmal rufen wir bei unserer Familie zu Hause an."
Der Mann nennt sich Madi, er ist Sprecher einer kleinen Gruppe junger Männer. Sie seien Asylbewerber ohne Arbeitserlaubnis. Oppositionelle, die aus ihrer Heimat Gambia in Westafrika geflohen sind. An Minderjährige würden sie nicht verkaufen, sagen sie.
Deutsche Rockerclubs kontrollieren den Handel
Kontrollieren kann man das nicht. Wer ihre Auftraggeber sind und woher die Ware kommt, bleibt unklar. Wir hören später von Insidern, dass deutsche Banden hinter dem Geschäft stecken sollen, etwa Rockerclubs. Das Marihuana soll von illegalen Plantagen im Umland von Berlin stammen. Es handelt sich dabei meist um abseitig liegende, leerstehende Lagerhallen, in denen die Pflanzen unter künstlicher Beleuchtung gezüchtet werden.
Welche Mengen in dem Park abgesetzt werden, kann man schwer schätzen. Die Berliner Polizei vermutet, dass sich im Durchschnitt 60 bis 100 Dealer im Park aufhalten. Bei vielen ist 30 Euro die Mindestabgabemenge, darunter wird nicht verkauft. Das wären zwei bis drei Gramm. Wenn jeder Dealer nur zehn Geschäfte am Tag abwickelt, dann wechseln hier jeden Tag 30.000 Euro ihren Besitzer.
Angesichts der massiven Verbreitung dieser Droge und der Wirkungslosigkeit von Repressionsmaßnahmen fordern immer mehr Wissenschaftler, Juristen und Politiker eine Entkriminalisierung zumindest der Konsumenten dieser Droge. Kürzlich haben 122 deutsche Strafrechtsprofessoren gemeinsam eine Resolution veröffentlicht. Darin forderten sie den Bundestag auf, die deutsche Drogenpolitik zu überprüfen und das Drogenstrafrecht zu entkriminalisieren.
Bestärkt werden sie durch eine Entwicklung, die inzwischen auch das Mutterland des Anti-Drogen-Kriegs erreicht hat: Die US-Bundesstaaten Colorado und in Washington State haben bereits den Anbau und den Verkauf von Cannabisprodukten erlaubt. Ähnlich in Uruguay. In den Niederlanden wird schon seit Jahrzehnten der Verkauf toleriert, Spanien und Tschechien haben die Bestimmungen gelockert, und in Portugal droht Drogenkonsumenten keine Strafe mehr, sondern eine Therapie. In Deutschland ist der medizinische Gebrauch von Cannabis seit 2009 erlaubt.
Die Auffassung, bestimmte Drogen radikal zu verbieten, könnte ins Wanken geraten.
CANNABIS: DAS PRODUKT
Das Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung schätzt den Umsatz des weltweiten Drogenhandels auf 330 Milliarden Dollar, für Deutschland geht man von 2,5 Milliarden Euro pro Jahr aus – doppelt so viel, wie in Deutschland für Schokolade ausgegeben wird. Der größte Teil des Umsatzes entfällt auf Cannabis. Wie viel genau, ist unklar.
Der europäische Markt wird vorwiegend aus Marokko beliefert. Allein mit marokkanischem Haschisch werden in Europa nach Schätzungen des UN-Büros rund zehn Milliarden Euro pro Jahr umgesetzt.
Dort produzieren geschätzt 200.000 Kleinbauern und ihre Familien Cannabis-Harz, also Haschisch. Im Durchschnitt stellt jeder Betrieb 15 Kilogramm pro Jahr her. Eine Million Menschen sollen von der Drogenherstellung leben. Der Spanier Miguel hat selbst auf einer Plantage in Marokko gearbeitet, er kennt die Vertriebswege von Haschisch genau. Miguel ist nicht sein richtiger Name.
Produkte auf der Cannabis-Messe in Spanien (2005).
Produkte auf der Cannabis-Messe in Spanien© picture alliance / dpa / Sergio Barrenechea
"Die Bauern ziehen die Pflanze auf vier bis sechs Hektar Land und machen daraus Haschisch, das so genannte Kif. Es wird in sieben bis acht Qualitätsstufen hergestellt. Die Pflanzen werden an einem Gerät ausgeschlagen, das aus sieben oder acht übereinander liegenden Filtern besteht, durch die das Harz herunterfällt. Je höher der Filter liegt, desto besser ist die Qualität."
Die Bauern verkaufen das Haschisch an organisierte Zwischenhändler weiter. 500 Euro pro Kilo bekommen sie dafür, schätzt das UN-Büro. Miguel glaubt, dass es eher unter 200 Euro pro Kilo sind. Das wäre ein Vierzigstel von dem, was der Endkonsument in Nordeuropa später auf der Straße zahlen wird. Kriminelle Organisationen bringen die Ware in Schnellbooten an die spanische Küste.
Zwischenhändler machen den Hauptgewinn mit Cannabis
Diese Zwischenhändler machen den Hauptgewinn mit der Droge. Die Vertriebswege reichen bis nach Barcelona, wo die Ware von Nordeuropäern übernommen wird. Ihre Gewinnmarge beträgt noch einmal 100 Prozent.
Niemand weiß genau, wie viele Menschen in Deutschland Cannabis konsumieren. Regelmäßige Befragungen des Instituts für Therapieforschung München und der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung ergeben, dass ein Drittel der jungen Erwachsenen bis 25 Jahren es schon einmal probiert haben. Ein Sechstel in dieser Altersgruppe hat in den letzten 12 Monaten Haschisch oder Marihuana konsumiert, knapp vier Prozent tun es regelmäßig.
Die Gesamtzahl der Deutschen im Erwerbsalter, die im letzten Jahr Cannabis konsumiert haben, schätzen die Institute auf 2,5 Millionen Menschen, etwa doppelt so viele Männer wie Frauen.
"Da sind auch Leute bei, die nur ein Mal letztes Silvester einen Joint geraucht haben, und da sind auch die bei, die jeden Tag drei Gramm rauchen."
Georg Wurth vom Deutschen Hanfverband, der sich für die Legalisierung von Cannabis in Deutschland einsetzt, hat berechnet, welche Mengen in Deutschland konsumiert werden und einen Verbrauchskorridor von 200 bis 400 Tonnen Cannabis pro Jahr ermittelt.
Bei einem geschätzten durchschnittlichen Verkaufswert von sechs Euro pro Gramm ergibt das einen Jahresumsatz von 1,2 Milliarden bis 2,4 Milliarden Euro. Das ist recht nahe an den Umsatzschätzungen der Vereinten Nationen. Und mehr, als die Bundesregierung für ihre Kulturpolitik ausgibt.
Würde man annehmen, dass der Verkauf in Deutschland legalisiert würde, könnte der Staat hier allein über die Umsatzsteuer zusätzliche Steuereinnahmen von rund 350 Millionen Euro generieren. Nicht einbezogen sind hierbei die Einkünfte über die Infrastruktur, also Unternehmenssteuern und Lohn- und Einkommensteuer von Erwerbstätigen in der gesamten Wertschöpfungskette. Oder eine ganz neue Steuer.
"Natürlich haben wir erstmal 19 Prozent Umsatzsteuer, dann könnte man noch eine extra Cannabissteuer erheben, dass es insgesamt 50 Prozent bis hundert Prozent Steueraufschlag sind. Das würde diesem Preisverfall im Verlauf der Legalisierung entgegenwirken, damit das Zeug nicht zu günstig wird."
Maximilian Plenert ist Sprecher des Bundesnetzwerks Drogenpolitik bei Bündnis 90/Die Grünen und Mitarbeiter beim Deutschen Hanf-Verband. Nach seinen Berechnungen könnte der Staat im Falle einer Legalisierung etwa eine Milliarde Euro durch Steuereinnahmen auf Cannabis generieren.
CANNABIS: DIE INFRASTRUKTUR
Maastricht ist eine niederländische Kleinstadt im Dreiländereck. Touristen aus Deutschland, Belgien und Frankreich kaufen hier ein. Bis vor kurzem auch Haschisch und Marihuana, dessen Handel in den Niederlanden toleriert wird. In der 120.000-Einwohner-Stadt gibt es 13 Verkaufsstellen für Cannabisprodukte, so genannte Coffeeshops. Zu erkennen sind sie an dem szenetypischen Zeichen, dem gezackten Hanfblatt an oder über der Tür. Allerdings haben einige Grenzstädte, darunter auch Maastricht, vor einiger Zeit verfügt, dass Ausländer nicht mehr in die Coffeeshops hinein dürfen. Der Verkäufer im Coffeeshop Heaven Sixtynine ist empört.
"Das ist sehr schlecht für das Image von Maastricht. Das sind Touristen, die kaufen Musik, essen was, okay, machen eine Jointchen, und das ist es."
Auch deutsche Journalisten müssen vor einem Absperrband im Eingangsbereich stehen bleiben. Wenn die Polizei kommt, was würde passieren?
"Wenn ich dich etwas verkaufe, du gehst raus und die halten dich, dann sind wir sechs Monate geschlossen. Dann sind wir vorbei."
Maastricht ist eine ruhige Stadt. Es ist Freitagnachmittag, das Wetter ist frühlingshaft. Auf den Straßen sind nur wenige Fahrzeuge mit ausländischen Kennzeichen unterwegs. Von internationalem Trubel ist kaum etwas zu spüren. Für die Besitzerin eines kleinen Rauchzubehör-Ladens ist das Ausländer-Verbot des Bürgermeisters daran schuld.
"Die Leute kommen nicht nur für Coffeeshop, die kommen auch für Essen und Hotel und Kleider kaufen. Die kommen eine Weekend nach Maastricht, nicht eine Stunde. Und die bleiben alle weg."
Die Stimmung in der Stadt, kann man der Lokalpresse entnehmen, ist geteilt. Viele Einwohner stehen hinter dem Verbot, viele Händler klagen hingegen über Verluste. Auf den Straßen sind viele Drogenhändler unterwegs. Ein junger Mann bietet an, für mich in einen Coffeeshop zu gehen und Haschisch zu kaufen. Fünf Euro möchte er dafür haben.
Kleine Heimplantage mit Cannabis-Pflanzen
Kleine Heimplantage mit Cannabis-Pflanzen© dpa / Patrick Gherdoussi
"You can see me go inside. In Club 69. I go inside I get Stuff, I come back. You give me five Euro."
Die Nachbargemeinde Heerlen, nur wenig kleiner als Maastricht, hatte es ebenfalls mit einem Verbot versucht. Der neue Bürgermeister Paul Depla schwenkte angesichts der zunehmenden Straßenkriminalität wieder um. Ihm ist das Thema so wichtig, dass er aus seinem Urlaub zurückruft.
"Infolge der Coffeeshops sind die Märkte für harte und weiche Drogen getrennt. Man kann den Drogenkonsum kontrollieren und mit den Besitzern der Coffeeshops Vereinbarungen treffen. Das Problem ist die so genannte Hintertür-Heuchelei: Man darf es kaufen, man darf es verkaufen, aber man darf es nicht anbauen. Das bedeutet, es muss einen illegalen Markt geben! Und den beherrschen nach wie vor kriminelle Organisationen."
Der liberale Politiker ist dafür, auch den bislang verbotenen Anbau in den Niederlanden zu legalisieren. Das würde außerdem noch mehr Geld in die Staatskasse spülen. In der gesamten Provinz Limburg gibt es 25 Cannabisverkaufsstellen. Diese Coffeeshops verkaufen 10.000 Kilogramm Cannabisprodukte pro Jahr, so der Bürgermeister. Bei Preisen von zehn Euro pro Gramm im Durchschnitt, macht Einnahmen von 21 Millionen Euro nur aus der Umsatzsteuer – und nur aus der Provinz Limburg.
Das Ausländer-Verbot für Coffeeshops in vielen niederländischen Grenzstädten wird mit der "Overlast" begründet. Gemeint ist die Belästigung der Anwohner durch Drogentouristen, Lärm, Massenaufläufe.
"Overlast" ist auch in Berlin-Kreuzberg der Anlass für einen unkonventionellen Schritt - in die entgegengesetzte Richtung. Die zunehmende Drogenkriminalität im Görlitzer Park ist den Anwohnern nämlich ein Dorn im Auge.
"Wir habe ne sehr stark steigende Nachfrage aufgrund des steigenden Tourismus bei uns im Bezirk, weil das ist eng miteinander verbunden. Die restriktiven Maßnahmen seitens der Senatsinnenverwaltung, mehrmals in der Woche Razzien im Görlitzer Park durchzuführen, und das machen die jetzt schon sehr lange, hatten null Erfolg."
Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann von den Grünen möchte stattdessen eine so genannte Cannabis-Abgabestelle, also einen Coffeeshop, in Kreuzberg eröffnen. Dies wäre möglich, wenn das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte einen Modellversuch genehmigen würde. Einen entsprechenden Antrag bereitet der Bezirk derzeit vor.
Was wir auch wollen - das unterscheidet uns ganz stark zum Beispiel auch von dem holländischen Modell - wir wollen auch einen kontrollierten Anbau. Dass wir also auch sicherstellen können, dass, was verkauft wird in den staatlichen Läden, auch tatsächlich sauber ist.
Alleingang Berlins würde den Schwarzmarkt nicht austrocknen
Ein Alleingang des Berliner Bezirks würde den Schwarzmarkt allerdings wohl nicht austrocknen.
"Ich hoffe, dass wir nicht in Friedrichshain Kreuzberg die einzigen sein werden, sondern dass es dann für Berlin gilt, im Idealfall für ganz Deutschland. Dann gibt es schon Erfahrungen, dass man den Schwarzmarkt Cannabis stark einschränken bis reglementieren kann."
Nach US-amerikanischem Vorbild sollen in der Kreuzberger Cannabis-Abgabestelle speziell geschulte Mitarbeiter arbeiten, die Käufer auch auf Risiken hinweisen sollen. Das entspricht in etwa dem, was der Deutsche Hanfverband fordert.
"Wir wollen Fachgeschäfte haben wie in Colorado auch, dass es nur bestimmte Shops gibt, wo Cannabis verkauft wird und nicht wie bei Zigaretten und Alkohol in jedem Supermarkt, an jeder Tankstelle man das unter die Nase gerieben kriegt. Auch im Hinblick auf mögliche Suchtgefahren: Es soll ne bewusste Entscheidung sein. Und die Leute sollen sagen, okay, ich kauf jetzt ne Droge, und das ist für mich auch in Ordnung, aber ich gehe dafür auch in einen speziellen Shop."
Bundesweit beziffert der Deutsche Hanfverband den Bedarf auf 3000 Cannabis-Shops mit durchschnittlich fünf Angestellten. Die Mitarbeiter sollen speziell geschult sein, die auch über Risiken der Droge aufklären können. Kontrollierte Qualität im heimischen Anbau, Lebensmittelkontrollen, die gefährliche Streckmittel identifizieren würden, sogar ein Bio-Siegel wäre denkbar. Geschäftsführer Georg Wurth plädiert jedoch dafür...
Die Polizei zeigt Präsenz im Görlitzer Park in Berlin-Kreuzberg, doch die Drogenkriminalität konnte sie bislang nicht in den Griff bekommen.
Die Polizei zeigt Präsenz im Görlitzer Park in Berlin-Kreuzberg, doch die Drogenkriminalität konnte sie bislang nicht in den Griff bekommen.© dpa / picture alliance / Paul Zinken
"....nicht nur in Deutschland angebautes Cannabis zu nehmen, sondern auch den traditionellen Anbauländern eine Chance zu geben. Wie Afghanistan, Marokko, die es auch seit Jahrtausenden machen und auch gute Qualität erzeugen. Und ja auch diese Sorten alle unterschiedlich schmecken und wirken und sich anfühlen. Das ist auch ein Teil Kultur, die man nicht über Bord werfen sollte."
Im US-Bundesstaat Colorado mit seinen fünf Millionen Einwohnern sind seit der Legalisierung angeblich rund 10.000 Arbeitsplätze in der Cannabis-Industrie entstanden. Auf Deutschland umgerechnet würden diese Zahlen bedeuten, dass mit 150.000 Arbeitsplätzen in der Drogenindustrie zu rechnen wäre. Wie in den USA sollten nach den Vorstellungen des Hanf-Verbands alle Arbeiter eine spezielle Lizenz erhalten. Um auszuschließen, dass Kriminelle den Arbeitsmarkt unterwandern, sollten sie polizeilich überprüft werden. Hier würde sowieso eine ganz andere Klientel zum Zuge kommen, glaubt Georg Wurth vom Hanfverband. Denn es seien auch neue Kompetenzen gefragt.
"Wer im jetzigen Schwarzmarkt erfolgreicher Unternehmer ist, der muss eben nicht nur anbauen können, der muss auch verstecken können, intrigieren können, der muss Konflikte auf andere Art lösen können als mit Recht und Gesetz. Im legalen Markt wird es viel mehr um Marketing gehen, da muss man eben auch vernünftig Buchführung machen können, da muss man eine Steuererklärung vernünftig machen können, mit Behörden umgehen. Also ganz normaler Markteilnehmer sein."
CANNABIS: DIE KONSUMENTEN
Zurück im Görlitzer Park in Berlin. Die Dealer sind jeden Tag dort. Sie verbringen hier ihre Zeit, gemeinsam mit Freunden. Für die Polizei ist es schwer zu unterscheiden, wer hier Drogen verkauft und wer nicht.
"Sie kommen jeden Tag, fast jeden Tag. Und sie rennen hinter uns her. Und sie schlagen uns. Einmal war wieder eine Razzia. Ich bin ich vor der Polizei weggerannt, wie viele andere. Irgendjemand muss wohl einen Beutel mit Gras verloren haben. Aber es war nicht meins. Sie fassten mich, zeigten mir das Gras und sagten: Das ist dein Gras. Ich verstehe kaum deutsch und konnte nichts erwidern. Sie sprachen miteinander und sperrten mich ins Gefängnis."
Allein im ersten Halbjahr 2013 führte die Berliner Polizei dort 59 Einsätze durch und überprüfte über 400 Personen. 79 Menschen wurden verhaftet und 93 angezeigt. Ohne Erfolg. Nach wie vor wird im Görlitzer Park massiv gedealt.
"Wir hatten ganz schnell die Erfahrung: Für jeden Dealer, den wir in den Ermittlungen hatten – wir hatten ja nicht nur Konsumenten – sind auch sofort wieder neue da. Lücken schließen sich permanent."
Frank Tempel, Bundestagsabgeordneter der Linken, ist selbst Kriminalpolizist. Er war drei Jahre lange in Thüringen speziell für die Verfolgung von Drogendelikten zuständig.
"Man bekommt auch mit, dass es völlig aussichtslos ist, diese Szene mit polizeilichen Mitteln zu bekämpfen. Das war, wie wenn ich mit einem Hammer auf einem Gebirge rumhaue und der Meinung bin, irgendwann werde ich das Gebirge schon abgetragen haben."
Neun von zehn der Delikte, die Frank Tempel verfolgte, standen im Zusammenhang mit Cannabis. Die Verfolgung hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Das liegt vor allem an den neuen Drogentests, die schon auf Schweiß reagieren, binnen Sekunden möglichen Drogenkonsum anzeigen und nur wenige Euro in der Anwendung kosten. Rund 100.000 Strafverfahren im Jahr werden nur wegen Besitz kleiner Mengen Cannabis angestrengt.
"Grünes Licht für die Legalisierung" steht am 08.08.2015 in Berlin bei der Hanfparade auf einem Plakat.  Foto: Rainer Jensen/dpa
Viele hundert Menschen demonstrierten bei der Veranstaltung für die Legalisierung von Cannabis.© picture alliance / dpa / Rainer Jensen
"Bemerkenswert war, dass meine Tätigkeit sehr stark auf Kontrolldruck auf Konsumenten ausgerichtet war. Also tatsächlich auf die Gruppe, wo ja das Bundesverfassungsgericht sagt: Bei geringer Menge ist die Strafverfolgung unverhältnismäßig. Deswegen auch eine sehr hohe Einstellungsquote bei den Verfahren, die wir aufgemacht haben. Ein sehr hoher Aufwand für ein Delikt, wo dann am Ende eingestellt wird. Ja, und da kriegt man so ein bisschen Zweifel an der Sinnhaftigkeit des Berufes."
Eine Studie der Universität Duisburg-Essen aus dem Jahr 2010 hat untersucht, wie viel Geld der Staat im Zusammenhang mit illegalen Drogen ausgibt. Für die Bereiche Vorbeugung und Strafverfolgung errechneten die Autoren zwischen 3,7 und 4,6 Milliarden Euro. Im Bereich Justiz entstehen Kosten von 1,2 Milliarden Euro, allein Gefängnisaufenthalte schlagen mit einer halben Milliarde Euro zu Buche.
Wie viel davon auf Straftaten im Zusammenhang mit Cannabis zurückgeht, das lässt sich nur schätzen. Die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen geht davon aus, dass Deutschland für die Verfolgung von Cannabisdelikten 1,6 Milliarden Euro pro Jahr ausgibt.
Maximilian Plenert: "Cannabis macht halt den Großanteil aus. Da ist auch ein großer Anteil die konsumbezogenen Delikte, wo es gar nicht um Handel geht. Da könnte man denken, das sind doch sehr günstige Fälle, wo der Polizist nur ne Strafanzeige schreibt und die Sache im Zweifelsfall sogar relativ schnell eingestellt wird. Aber selbst bei diesen konsumbezogenen Delikten sind auch Großrazzien dabei, wo mal ne Hundertschaft ne Diskothek stürmt. Wenn man teilweise in der Zeitung liest: Hier Sondereinsatzkommando, 30 Wohnungen durchsucht und dann wurden nur paar Gramm gefunden. Das sind auch nur Besitzdelikte, obwohl das ein gigantischer Personalaufwand ist. Grad Telefonüberwachung ist ne richtig teure Sache und wird teilweise bis zur Ebene des kleinen Konsumenten angewendet."
Im Fall einer Legalisierung könnte man hier hohe Summen einsparen, glaubt Hanfverbandschef Georg Wurth.
"Über den ganzen Apparat hinweg würde ich doch sagen, dass mindestens 80 Prozent der Kosten wegfallen."
Deutschland - eine Kifferrepublik?
Was aber würde geschehen, wenn Cannabis legal wäre? Würde ganz Deutschland zur Kifferrepublik? Mit diesen Fragen beschäftigt sich der Medizinsoziologe Raphael Gaßmann, Geschäftsführer der Hauptstelle für Suchtfragen im westfälischen Hamm. Die Hauptstelle wird von den Trägern der Suchthilfe unterhalten und erhält Bundeszuschüsse. Sie soll als neutrale Institution Sachlichkeit in die Drogendebatte bringen. Gaßmann zitiert eine Studie im Jahresbericht von 2011 der Europäischen Drogenbeobachtungsstelle.
"Wie entwickelt sich in verschiedenen europäischen Staaten das Cannabisrecht, wo zieht die Rechtssituation die Verfolgung an, wo wird sie entspannter, und wie entwickelt sich gleichzeitig diesen Staaten der Konsum: Rauf, Runter? Und sie haben festgestellt: Es lässt sich kein Zusammenhang beobachten zwischen der Rechtsentwicklung und der Konsumentwicklung."
Es ist nicht abzusehen, ob die Zahl der Konsumenten mit einer Legalisierung zunehmen würde oder nicht. Es bleibt nur der Vergleich mit Nachbarländern mit ähnlicher Sozialstruktur.
Etwa den Niederlanden. Nach der Tolerierung von Cannabis wurde ein leichter Anstieg der Konsumentenzahlen beobachtet, der mit der Zeit wieder zurückging. Bezogen auf die Einwohnerzahl, kiffen in Holland etwa genauso viele Menschen wie in Deutschland. Die Prävention, betont Gaßmann, die Aufklärung über die Gefahren der Droge, würde aber weiterhin eine wichtige staatliche Aufgabe bleiben.
Hanfparade August 2014 in Berlin
Teilnehmerin der Demonstration "Hanfparade" (Berlin) hält ein Plakat hoch, das einer Aspirin-Schachtel nachgeahmt ist. © Imago / IPON
"Für 40 oder 50-Jährige oder auch 30-jährige Konsumenten, egal ob mal am Wochenende oder auch öfter konsumieren - in der Regel ist das gesundheitlich in einem überschaubaren Problemrahmen. Die haben ihre Berufe, die bestehen in ihrem Alltag und so weiter. Aber: Für junge Menschen, die viel konsumieren, ist das eine extrem riskante Substanz."
Junge Menschen, die regelmäßig viel kiffen, müssten fast zwangsläufig davon ausgehen, dass sie Probleme bekommen, ihren Alltag zu bewältigen. Das ist bereits jetzt so, und auch eine Legalisierung würde daran wohl nicht viel verändern. Entscheidender Unterschied wäre, dass staatliche Stellen eine Möglichkeit zum Eingreifen hätten - etwa über den Jugendschutz.
"Der Vorteil wäre, wenn ich später eine Wirtschaft überwache - auch da hätten wir gerne sehr strenge Regeln, strenger als wir beispielsweise heute beim Alkohol haben – dass beispielsweise, wenn dann Testkäufe durchgeführt werden und Verstöße festgestellt werden, dann auch Bußgelder fällig werden, die sich nach dem Umsatz des Geschäfts orientieren, damit es auch wehtut."
Weiteres Regulierungspotenzial böte auch die Gestaltung des Steuerrechts. Eine Erfolgsgeschichte der Drogenpolitik ist der starke Rückgang des Tabakkonsums seit einigen Jahren unter Jugendlichen. Als ein wichtiger Grund gilt die allmähliche Erhöhung der Tabaksteuer. Sie macht etwa 75 Prozent des Verkaufspreises aus.
"Was funktioniert in der Prävention legaler Substanzen: Hohe Preise, eingeschränkte Verfügbarkeit, keine Werbung. In der Reihenfolge."
Auf illegale Drogen - wie eben Cannabis - sei diese Form von Einflussnahme nicht übertragbar.
"Wir haben ganz gute Cannabispräventionsmodelle entwickelt für eine Art späterer Prävention, also für Menschen, die schon konsumieren, gerade jüngere Menschen, die schon konsumieren, wenn Probleme einsetzen oder wenn man befürchten muss, dass Probleme kommen. Dazu gibt es Online-Modelle und Beratungsmodelle, da hat sich sehr viel getan in den letzten zehn Jahren. Aber was besonders in Deutschland zu kurz gesehen wird, sind die Möglichkeiten der Prävention, wenn sie speziell ist und wenn sie grundsätzlich ist."
Ein Beispiel wäre die Beratung für besorgte Eltern, noch bevor ihre Kinder in eine Drogenkarriere abrutschen. Sie können sich über eine Telefonhotline oder auch persönlich bei den über 1.000 Drogenberatungsstellen in Deutschland beraten lassen. Ein ensprechender Flyer der Hauptstelle für Suchtfragen hatte so viele Anfragen zur Folge, dass die Drogenberater aus Personalmangel kapitulieren mussten.
"Wenn wir jetzt Steuereinnahmen auf Cannabiskonsum – davon Stellen schaffen könnten in den Beratungseinrichtungen: das wäre wunderbar. Da hätten wir einen Frühinterventions- und Präventionsansatz, den gibt es bisher nicht, der ist erfolgreich, der ist sinnvoll und viele Eltern wären erleichtert und würden sich freuen."
Auch Maximilian Plenert von den Grünen weiß bereits, wofür er die zusätzlichen Einnahmen verwenden würde.
Cannabis-Pflanze in der Nähe der nordisraelischen Stadt Safed
Cannabis-Pflanze© dpa / picture alliance / Abir Sultan
"Wenn wir eine Milliarde nehmen würden und würden die sagen, wir stecken das komplett in Suchtprävention: Das wäre eine halbe Stelle an jeder Schule in Deutschland einer speziell geschulten Fachkraft. Ich glaube, das wäre Prävention in einem Maßstab, die wirken könnte."
Ein kontrollierter Markt für Cannabis-Produkte – so wie er in den USA in Colorado und Washington State existiert und bald wohl auch in Florida und im District of Columbia mit der Hauptstadt Washington geschaffen wird, ist in Deutschland derzeit wohl kaum denkbar.
Andererseits ist auch hierzulande die Debatte voll entbrannt. Fakten werden bereits geschaffen. 270 Personen, meist Schmerzpatienten, sind in Deutschland im Besitz einer Sondergenehmigung. Sie dürfen Cannabis-Blüten aus der Apotheke erwerben und konsumieren. Im Juli gab es ein höchstrichterliches Urteil, dass diesen Menschen auch der private Anbau von Medizinalhanf erlaubt werden müsse.
Eine Legalisierung von Cannabis in Deutschland hätte einen massiven Boom zur Folge. In den USA hat ein ehemaliger Microsoft-Manager bereits erklärt, er wolle der weltgrößte Cannabis-Händler werden. Auch die Konzerne sitzen schon in den Startlöchern.
"Machen wir uns doch nichts vor: Wenn wir eine international weitgehend ähnliche Situation beim Cannabis hätten wie beim Tabak - nur als Beispiel, nicht als Unterstellung – dann hätten wir Marlborough Grün nicht mit Menthol, sondern mit THC. Das ist ein Industriezweig, im Moment ein illegaler, mit riesigen Gewinnspannen, und wenn das ein legaler ist, ist es einer mit geringeren Gewinnspannen."
Die illegalen Konzerne, die kriminellen Banden, würden ihr Geschäftsmodell verändern - und sich anpassen. Das Nachsehen würden die Dealer im Görlitzer Park in Berlin-Kreuzberg haben. Sie würden dann arbeitslos.
"Dann werden die Leute also in den Coffeeshop gehen und dort kaufen, was sie wollen. Aber was sollen wir dann tun? Die Leute, die bisher verkaufen, werden anfangen zu stehlen oder sie werden auf der Straße betteln gehen."
Oder sie verkaufen Kokain. Das wäre das einfachste.
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