Wirtschaft in der Schule

Bringt den Kindern das Geldsystem bei!

06:51 Minuten
Ein Kind zählt Geld.
Schnell Geld verdienen oder lieber später? Fragen, die sich Schülerinnen und Schüler irgendwann selbst stellen müssen. © imago images/photothek/Ute Grabowsky
Von Thomas Klug · 14.07.2020
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Im Matheunterricht lernen wir den Satz des Pythagoras und Wurzelziehen. Bei Inflation und Zinsen sieht es hingegen schlecht aus. Der Verhaltensökonom Matthias Sutter plädiert dafür, auch die Finanzwirtschaft mit in den Lehrplan aufzunehmen.
"Geduld. Geduld. Geduld."
Da gehen Punkte nach oben, Pfeile nach unten. Es wird in Tastaturen gehämmert, in Telefone geschrien und gleichzeitig wild gestikuliert. Menschen eilen übers Börsenparkett. Im Supermarkt leuchten Zahlen, schreien große Buchstaben: Kaufen sie, nur heute so billig. Im Netzt nervt der Hinweis: Fünf weitere Personen interessieren sich für dieses günstige Angebot, buchen sie jetzt. Es geht um Prozentpunkte und Pünktchen, um Geld, um Geschwindigkeit, um Verheißung und die große Zukunft.
Und da kommt Matthias Sutter und sagt:
"Geduld. Geduld. Geduld."
Ein Begriff, wie gemacht fürs Nachschlagen: "Die Fähigkeit zu warten oder etwas zu ertragen. Und: "Gilt als Tugend". Noch so ein Begriff.
"Ein Wirtschaftswissenschaftler beschäftigt sich ganz häufig mit Fragen des Abwägens zwischen Gegenwart und Zukunft. Das ist das, was wir als Wissenschaftler als Geduld bezeichnen würden."

Aktienhandel in Millisekunden, Kaufentscheidungen blitzschnell. Wo genau ist da Platz für Geduld, fürs Warten?
"Ich glaube, das, was Sie beschreiben, trifft vollkommen zu, dass wir in einer Welt leben, in der die Ungeduld fast gepriesen wird im Sinne von, man muss schnell zugreifen, schnell zum Ziel kommen, möglichst nicht sehr langfristig planen. Das ist das, was wir ständig suggeriert bekommen und auch tatsächlich vorgelebt bekommen. Richtig ist aber, die ganze Forschung zur Bedeutung von Geduld und langfristige Ziele zu verfolgen, zeigt, dass das die Leute über lange Sicht erfolgreicher macht, glücklicher, gesünder, reicher und noch viele andere positive Dinge."

Die Verführung des schnellen Geldes

Zeit darf nicht einfach nur Zeit sein – Zeit ist Geld, lautet der gängige Schlachtruf. Geld und Geschwindigkeit als siamesische Zwillinge. Aber das stimmt gar nicht. Matthias Sutter, Direktor des Max-Planck-Instituts zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern in Bonn, sagt:
"In der Volkswirtschaftslehre beispielsweise sind Investitionsentscheidungen nichts anderes als die Frage, verzichtet irgendjemand heute auf Konsum, damit jemand anderer Geld verwenden kann, was machen kann und investieren kann, z.B. eine Firma auf die Wiese setzen, in der die Erträge erst in der Zukunft fließen. Selbiges gilt für junge Menschen, die Frage z.B., bleibt man länger in der Schule, um dann halt besser gebildet zu sein oder geht man früher von der Schule ab, um schneller Geld verdienen zu können."
Schnell Geld verdienen oder lieber später? Fragen, die sich Schülerinnen und Schüler stellen müssen. Aber wie sollen sie antworten, wenn sich gar nicht so viel wissen über Geld und die Welt, in der es als wichtig angesehen wird. Die Schule scheint für Finanzbildung keine große Hilfe zu sein.
"Der Startpunkt für unsere Forschung zur finanziellen Grundbildung, die wir an einigen deutschen Schulen gemacht haben, war die Beobachtung, die weltweit zutrifft, dass insbesondere junge Menschen sich mit ganz vielen finanziellen Konzepten nicht auskennen. Das ist nicht deren Schuld, sondern das hat im Bildungssystem, aber weltweit im Bildungssystem, hat das nicht wirklich Bedeutung. Jetzt müssen aber junge Menschen, besonders wenn sie dann junge Erwachsene werden, sehr viele finanzielle Entscheidungen treffen, zu welchen Konditionen verschulde ich mich für ein Auto, für eine Wohnung, wie lege ich das bisschen Geld, das ich auf die Seite bringe, sinnvollerweise an, was mache ich, wenn hohe Inflationsraten sind, was bedeutet das für meine Kaufkraft."

Junge Menschen wissen zu wenig über die Finanzwirtschaft

Jugendliche wissen oft sehr gut, wie und wo sich Geld ausgeben lässt. Sie kommen einfach den Forderungen der Werbung nach.
"Eine andere Frage ist, wie sieht es mir Ihrer Kaufkraft aus, wenn sie zwei Prozent Inflation haben und ein Prozent Zinsen in einem Jahr. Können Sie mit den 100 Euro dann real mehr kaufen oder weniger. Antwort ist natürlich weniger. Dann gibt es noch eine dritte Frage, warum Portfolios auf Aktienmärkten weniger Risiko haben, als wenn ich in einzelne Aktien investiere beispielsweise."
Die Ergebnisse sind ernüchternd. Aber immerhin: Deutschland gehört diesmal zu den guten, wobei gut nicht wirklich gut ist:
"Es zeigt sich, dass weltweit betrachtet, die Anzahl der Leute, die diese drei relativ einfachen Fragen korrekt beantworten kann, im Schnitt weit unter 50 Prozent liegt. Länder wie Amerika und Deutschland schneiden da noch relativ gut ab, in dem die Lösungsraten von 40 bis im Idealfall sogar 60 Prozent haben. Aber das ist schon ‚Weltspitze‘. Wenn die Hälfte der Leute selbst solche Fragen nicht beantworten kann, muss ich mir keine Gedanken machen, ob die überhaupt verstehen, was Kaufkraft eigentlich bedeutet und wie Wertentwicklung von Vermögen aussieht, wenn z.B. die EZB Negativzinsen usw. letztlich bewirbt."

Wirtschaft als Pflichtfach einführen?

Die Studien von Matthias Sutter haben immerhin gezeigt: Es lässt sich lernen, wie das mit den Zahlen funktioniert und der "Tugend des Wartens".
"Die Unterrichtseinheiten zum Thema finanzielle Grundbildung haben – im Vergleich zu zwei anderen Schulgruppen, die andere Inhalte bekommen haben, dazu geführt, dass junge Menschen geduldiger werden im Abwägen zwischen Gegenwart und Zukunft."
In Baden-Württemberg gibt es das Pflichtfach Wirtschaft. Allerdings nur dort. In anderen Bundesländern zeigen Bildungspolitiker kein Interesse:
"Die Lehrer sind ja an Lehrpläne gebunden, die können nicht einfach Sachen erfinden und in den Lehrplan aufnehmen, die die Bildungspolitik als nicht passend erachtet. Da finde ich, darf man nicht den Schwarzen Peter an die Lehrer weiterreichen. Aber richtig ist natürlich: Wenn sowas in einem Lehrplan verankert würde, kann man das mit mehr oder weniger Engagement unterrichten und mehr oder weniger Bedeutung dem beimessen. Insofern hat natürlich die Vermittlung durch Lehrpersonen dann eine Bedeutung, das ist sicher richtig. Aber ich glaube, im ersten Sinne verantwortlich ist die Bildungspolitik."
Vielleicht kommen irgendwann auch andere Bundesländer auf die Idee, Wirtschaftswissen vermitteln zu wollen. Bis dahin gilt:
"Geduld. Geduld. Geduld."
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