Nullzinspolitik

Sparer müssen kreativer werden

Reihe von pinkfarbenen Sparschweinen mit einem großen grünen Sparschwein in der Mitte
Chancen für die Sparer biete auch die Niedrigzinspolitik, so Inge Kloepfer. © imago/Ikon Images
Von Inge Kloepfer · 25.07.2018
Vor etwa zehn Jahren entstand aus der US-Immobilienkrise eine allgemeine Finanzkrise. Dafür zahlen bis heute die deutschen Sparer – weil sie praktisch keine Zinsen bekommen, so eine gängige Erklärung. Stimmt nicht, meint die Ökonomin Inge Kloepfer.
Es gab Zeiten, in denen die Welt der Finanzen noch in Ordnung war. Mitte der 80er-Jahre zum Beispiel. Da trugen wir das bisschen Geld, das wir mit Schüler- oder Studentenjobs verdienten, auf die Bank, verpflichteten uns, es etwas länger als nur einen Monat dort liegen zu lassen und bekamen sechs bis acht Prozent Zinsen. Praktisch hieß das: Wer monatlich 100 Euro zur Seite legte, hatte nach 30 Jahren fast 100.000 Euro auf dem Konto, zu denen er gerade einmal 36.000 Euro selbst beigetragen hatte.

Deutsche Sparer verlieren bis zu 344 Milliarden Euro

Seit ein paar Jahren macht eine andere Rechnung die Runde. Es ist die, dass den traditionell eifrigen deutschen Sparern durch die extreme Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank seit Beginn der Finanzkrise zwischen 200 und 344 Milliarden Euro an Zinsen entgangen sind. 2009, ein paar Monate, nach dem Zusammenbruch der Lehmann-Bank, begannen die Notenbanken, die Zinsen zu senken, um die Wirtschaft irgendwie in Gang zu halten.
Seit knapp zehn Jahren also lohnt es sich nicht mehr, Geld am Geldmarkt oder auf dem Sparbuch anzulegen. Dabei bringen die Zentralbanken die konventionellen Sparbuchdeutschen ausgerechnet um jenen Effekt, der es ihnen früher mal ermöglichte, ein bisschen Vermögen aufzubauen: den Zinseszins.

Fast 30 Prozent verzichten auf private Altersabsicherung

Was dazu gedacht war, Unternehmen zum Investieren anzuregen, wird seit einigen Jahren deshalb als Enteignung der Sparer gebrandmarkt. All diejenigen, die - ganz der deutschen Natur entsprechend - ihr Geld auf Sparbüchern und in Lebensversicherungen angelegt haben, haben seither tatsächlich das Nachsehen: Die Garantiezinsen der Lebensversicherer sind gesunken.
28 Prozent der Deutschen sorgen überhaupt nicht mehr privat für das Alter vor. Bei einem Zinsniveau von Null - warum auch?

Sparer hätten Aktien oder Häuser kaufen sollen

Kritiker dieser Krisen-Geldpolitik fordern ein Ende der Zeit des wertlosen Geldes. Recht haben sie mit ihrer Forderung. Aber nicht, weil den Sparern Milliarden entgehen, sondern weil der Zins in der Volkswirtschaft eine wichtige Steuerungsfunktion innehat. Damit die zum Tragen kommt, sollte er auf Dauer nicht Null sein.
Nun ist die Notenbank aber politisch unabhängig. Das muss auch so sein, sonst wird die Geldpolitik für politische Zwecke missbraucht. Eine staatliche Kompensation für missliebige Zinspolitik kann es deshalb nicht geben. Wer den niedrigen Zins umgehen will, muss sein Geld anders investieren als ausgerechnet in Lebensversicherungen, Sparplänen, in Riester- und Rürup-Verträgen.
Der Deutsche Aktienindex hat sich in den vergangenen zehn Jahren verdoppelt, was einem durchschnittlichen Wertzuwachs von jährlich zehn Prozent entspricht. Breitgestreute Indexfonds bieten auch den Mittelschicht-Sparern gute Möglichkeiten. Die Nullzinsen ermöglichten es ferner auch Normalverdienern, in eigene Immobilien zu investieren – zumindest als die noch nicht so teuer waren.

Eine Enteignung der Mittelschicht gab es nicht

Fazit: Chancen für die Sparer hat auch die Phase der Niedrigzinspolitik reichlich geboten. Von Enteignung kann also nicht die Rede sein, weil dies eine Ausweglosigkeit impliziert, die es nicht gab. In den Vereinigten Staaten steigen die Zinsen wieder. In Europa ist das derzeit - noch - nicht absehbar.
Ende des Jahres will die EZB allerdings ihre Geldschleusen schließen. Lehrreich war das vergangene Jahrzehnt vor allem in einer Hinsicht: Warten auf die Notenbank mehrt nicht unbedingt Vermögen. Die Sparbuchsparer müssen nur kreativer werden.

Inge Kloepfer, Jahrgang 1964, studierte Volkswirtschaftslehre und Sinologie. 1992 wurde sie Mitglied der Wirtschaftsredaktion der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Seit 2001 schreibt sie für die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung". Bei Hoffmann und Campe erschien 2005 ihr Bestseller über die Verlegerin Friede Springer, für den sie mit dem Preis "Wirtschaftsjournalistin des Jahres 2005" ausgezeichnet wurde und 2008 "Aufstand der Unterschicht – Was auf uns zukommt". Sie lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Berlin.

Die Journalistin, Autorin und Ökonomin Inge Kloepfer
© picture alliance / dpa / Horst Galuschka
Mehr zum Thema