Wirtschaft

Back to the roots

Ein Korbflechter bei der Arbeit im portugiesischen Camacha, aufgenommen 1998. Etwa 800 Arten von Flechtereien werden in der Stadt Camacha produziert.
Ein portugiesischer Korbflechter bei der Arbeit. © picture alliance / dpa / Udo Bernhart
Von Tilo Wagner  · 15.05.2014
Die portugiesische Wirtschaft wächst wieder, der Export bekommt neuen Schwung. Junge Portugiesen versuchen den Neustart mit innovativen Projekten und besinnen sich auf die Vermarktung von traditionellen Waren - mit neuen Ideen.
Nuno Henriques drückt ein Metalltor auf und tritt in einen kleinen Innenhof. Ein Hund bellt, Schilf liegt auf dem Boden, in einem Schuppen stehen zwei kleine, stämmige Frauen.
Hier lebt eine von den alten Korbflechterinnen, sagt Nuno und läuft zu dem Schuppen.
Vor 83 Jahren wurde Emília Pimenta in Castanheira geboren, ein kleiner Ort im ländlichen Portugal, rund 120 Kilometer nördlich von Lissabon. Mit dem Korbflechten begann sie schon als Kind:
"Ich mache das, seit ich 13 Jahre alt bin. Wir haben früher in einer größeren Werkstätte alle zusammen gearbeitet. Jungs und Mädchen. Mindestens sieben oder acht. Und nicht nur Körbe haben wir gemacht. Heute ist ja alles aus Plastik oder Stoff, aber damals haben wir sogar Teppiche aus Binsen geflochten."
Jetzt arbeitet Emília nur noch an manchen Tagen, ihre Schwiegertochter und eine alte Freundin helfen aus. Die Binsen werden aus dem Flusstal des Tejo in dicken Bündeln angeliefert. In Emílias Hinterhof entstehen dann die Körbe auf traditionelle Weise: Die Binsen werden erst geschnitten, dann in einem alten Holzfass geschwefelt, ein Teil wird in Trögen grün, rot oder blau gefärbt und schließlich auf einem speziellen Webstuhl zusammengeflochten.
Nuno Henriques kennt diesen aufwendigen Arbeitsprozess von seinem Großvater, der aus dem Ort stammt. Nach ihm hat der 29-jährige Unternehmer seine Marke benannt: "Toino Abel" heißen die Binsenkörbe aus Castanheira, die jetzt übers Internet ihren Weg zu den Kunden in Lissabon, Wien oder Berlin finden:
"Ich wollte nicht mitansehen, wie diese Tradition zu Ende geht. Denn damit geht auch ein Stück von Identität verloren. Irgendwann ist dann alles überall gleich. Und diese Körbe sind einfach wunderschön und haben ganz gewiss Platz in dieser Welt."
Schuhindustrie wiederbeleben
Nach dem Kunststudium ist Nuno für ein paar Jahre nach Berlin gegangen, wo er die Idee für die Vermarktung der Binsenkörbe aus seiner Heimat zunächst umsetzte. Doch jetzt kehrt Nuno zurück in die portugiesische Provinz. Er will zusammen mit den lokalen Kunsthandwerkern an neuen Motiven arbeiten, die in die Körbe eingearbeitet werden sollen:
"Ich bin weg aus Berlin. Ich muss mich um die Körbe kümmern. Und das geht über die Entfernung nicht wirklich gut."
Nuno Henriques gehört zu einer jungen Generation von Portugiesen, die versuchen traditionelle Handwerkszweige mit neuen Ideen zu beleben. Die kleinen, ledernen Markenschilder, die Nuno an seine Körbe binden lässt, werden in einem anderen kleinen Provinzstädtchen in der Region produziert. Dort, wo auch Portugals einstmals blühende Schuhindustrie zu Hause ist.
Benedita steht beispielhaft für das Auf und Ab in der portugiesischen Schuh- und Lederwarenindustrie. Seit den 1960er-Jahren erlebte der Ort einen Boom, der nach dem Beitritt in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft in den 1980er-Jahren seinen Höhepunkt erreichte. Dann ging es bergab.
Lino Serralheiro sitzt in seinem Büro und blickt auf die angrenzende, rund 500 Quadratmeter große Fabrikhalle. Der kleine Mann mit der schimmernden Glatze und den freundlichen Augen stammt aus einer Familie von Schuhfabrikanten.
"Nach der Nelkenrevolution in den 1970er-Jahren fing mein Vater an für europäische Unternehmen zu produzieren. Wir haben fast alles exportiert. Wir haben hier zwar keine eigenen Marken gehabt, aber es gab sehr viel Arbeit. Allein in unserer Fabrik hatten wir 120 Arbeiter."
Das Schlimmste überstanden
Mit der EU-Osterweiterung und dem wirtschaftlichen Aufstieg Chinas zogen die internationalen Unternehmen ihre Produktion aus Portugal ab. Viele Unternehmen mussten schließen, Lino Serralheiros Betrieb überlebte, aber er beschäftigte nur noch ein Dutzend Angestellte.
Das war vor zwei Jahren. Jetzt scheint das Schlimmste überstanden. Und hinter dem zarten Aufschwung in Benedita steckt ein alter Schuh mit einem neuen Konzept:
Pedro Olaio zieht ein Stück Gummi von einem Stapel. "Das war mal ein Reifen", sagt der 44-jährige Mode-Unternehmer mit dem angegrauten Fünf-Tage-Bart. Aus dem recycelten Material lässt Pedro die Sohlen für seine Schuhe herstellen. Er nennt sie deshalb "Green Boots", doch Form und Design erinnern stark an einen traditionellen portugiesischen Arbeitsstiefel.
"Vor zwei Jahren brachte ich einem Modeschuhunternehmer in Mailand als Geschenk ein paar traditionelle portugiesische Arbeitsstiefel mit. Er war von dem Design begeistert. Also dachte ich: Da kann man was draus machen. Wir haben uns also an den ursprünglichen portugiesischen Modellen orientiert und haben sie verbessert, vor allem das Design und den Komfort - denn das wird heute verlangt."
Pedro Olaio hat gerade eine Luxusedition seiner handgefertigten Green Boots auf den Markt gebracht. Den Lederstiefel schmückt eine Zeichnung von Portugals zurzeit wichtigster Konzeptkünstlerin Joana Vasconcelos. Der Preis: schlappe 350 Euro. Portugals Schuhindustrie hat die Wandlung vom Produktionsort zum Land der eigenen Designerschuhmarken erfolgreich gemeistert. Und Pedro Olaio glaubt, dass sich dieses Konzept auch in anderen Wirtschaftszweigen umsetzen lässt:
"Wir haben nur einen Weg, wie wir unsere Wirtschaft beleben können. Wir müssen auf unsere Produkte setzen. Wir müssen an die alten Traditionen anknüpfen, und das weiterentwickeln, was wir schon immer gut gemacht haben. Das gilt nicht nur für Schuhe. Portugal hat noch viel mehr davon. Dieses Erbe müssen wir wahren, die alten Dinge verbessern und im Ausland bekannt machen."
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