"Wir verkaufen keine Waschmaschinen"

Moderation: Dieter Kassel · 06.07.2007
Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels hat erneut vor einer Abschaffung der Buchpreisbindung gewarnt. Das Buch sei ein Kulturgut, betonte der Hauptgeschäftsführer des Vereins, Alexander Skipis. Ein Ende der Buchpreisbindung bedrohe die Vielfalt des Buchmarktes.
Dieter Kassel: Der neue Harry Potter wird am 27. Oktober in Deutschland erscheinen. Im Gegensatz zu Großbritannien besteht die Buchpreisbindung hier noch. Am Telefon begrüße ich Alexander Skipis, er ist der Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels. Schönen guten Tag.

Alexander Skipis: Schönen guten Tag!
Kassel: In England ist inzwischen die Freude doch sehr reduziert, was dieses Buch angeht. Wie ist es in Deutschland? Freuen sich die deutschen Buchhändler auf den 27. Oktober?
Skipis: Die deutschen Buchhändler freuen sich auf den 27. Oktober. Harry Potter ist eines der best- und meistverkauften Bücher in Deutschland, aber natürlich auch in der übrigen Welt und da es in Deutschland eine Preisbindung gibt, sieht die Situation auf dem Markt anders aus als in UK.
Kassel: Nun hieß es ja bisher immer, auch bei Ihnen, wenn über die Preisbindung und ein eventuelles Ende derselben – auch in Deutschland – diskutiert wurde, es geht da um die kleinen Bücher, um die, die man dann angeblich gar nicht mehr veröffentlichen könne, wenn man mit den großen kein Geld verdient. Ist das jetzt ein neuer Eindruck, den man in England gewinnt, dass auch die großen Bücher in Gefahr sind?
Skipis: Nein, das ist kein neuer Eindruck in England, sondern das ist die Konsequenz eines Marktes, in dem es keine Buchpreisbindung gibt. Und die Kausalität zwischen nicht vorhandener Buchpreisbindung und dem Sterben kleiner Buchhandlungen und infolgedessen Sterben kleinerer Verlag oder Verlage, die das spezielle Programm haben, also Experimentelles, Unbekanntes, Besonderes, ist infolgedessen dann auch Konsequenz. Das liegt daran, dass der Preiswettbewerb in England jetzt tobt, gerade bei Harry Potter, und in der Regel, so sind jedenfalls unsere Informationen, die Bücher zum Selbstkostenpreis verkauft werden, das heißt, es ist so gut wie keine Marge mehr drin, die Buchhandlungen verdienen kein Geld mehr. Und die Konsequenz dessen ist, dass kleinere Buchhandlungen gar nicht in der Lage sind, diesen Preis zu erzielen, weil sie gar nicht die Rabatte bekommen wegen der geringeren Nachfrage. Daraus folgt, dass die kleineren Buchhandlungen dann einen wesentlichen Faktor ihres Umsatzes, nämlich auch den Verkauf von Bestsellern, als Stütze ihres Geschäftes nicht mehr haben. Und von den kleinen, besonderen Ausgaben alleine ist es nur sehr schwer zu leben.
Kassel: Nun reden wir ja gerade im Fall von Großbritannien, im Fall des siebten Harry Potter-Bandes gar nicht nur von Buchhandlungen, kleinen und großen, sondern es geht darum, dass eine besonders preisgünstige Ausgabe, die ungefähr die Hälfte wohl kosten wird im Vergleich zur normalen Ausgabe, die soll vor allen Dingen natürlich in Supermärkten, in Tankstellen, in diversen Läden, die nicht in erster Linie dem Verkauf von Büchern dienen, angeboten werden. Ist denn das heutzutage noch so, dass Bücher unbedingt in reinen Buchhandlungen verkauft werden müssen?
Skipis: Nein, das müssen sie nicht, aber überall, wo sie verkauft werden, müssen sie – in Deutschland – mit der entsprechenden Preisbindung verkauft werden. Natürlich kann man darüber nachdenken, ob die Vertriebskanäle so diversifiziert sind. Man muss aber eines dabei bedenken. Wir verkaufen ein Kulturgut – das Buch – und keine Waschmaschinen. Das heißt also, während Produkte wie Waschmaschinen austauschbar sind, ist das Buch an sich nicht austauschbar. Es ist völlig klar – ich habe einen Harry Potter auf der einen Seite und meinetwegen der Prozess von Kafka, diese Bücher sind nicht austauschbar. Jetzt zählt jedes Buch. Und der Verkauf in Großmärkten, wie Sie es eben nannten, bedeutet natürlich auch, dass kein qualifiziertes Beratungspersonal da ist, die in dieser Buchwelt beraten kann. Und das ist das ganz Entscheidende, weswegen wir sehr Wert darauf legen, dass die Buchhandlungen so erhalten bleiben, in denen diese Beratung stattfindet, die Orientierung für die Kunden im Büchermarkt.
Kassel: Wie offen ist denn der Börsenverein, wenn jetzt zum Beispiel Schlecker ankäme, die haben ja ein paar Bücher, oder Lidl, und würde sagen, wir sind ja im Prinzip jetzt auch Buchhändler. Könnten die bei Ihnen eigentlich Mitglied werden?
Skipis: Das wäre durchaus denkbar.
Kassel: Es klingt so, als ob die daran bisher noch kein Interesse hätten. Lassen Sie uns mal zu unseren Nachbarn gucken. Wir haben jetzt die ganze Zeit über England geredet. Vor wenigen Wochen erst – na ja, ein paar Wochen inzwischen – ist in der deutschsprachigen Schweiz ja die Buchpreisbindung gefallen. Fürchten Sie da jetzt ähnliche Entwicklungen wie in England, glauben Sie, dass … Ich weiß gar nicht, ob in der Schweiz auch am 27. Oktober der Termin ist, aber wenn da im Herbst auch der Harry Potter auf Deutsch herauskommt, dass der dann auch da viel billiger angeboten wird als zum Beispiel in Deutschland?
Skipis: Also, zweifellos würden wir auf längere Perspektive genau dieselben Verhältnisse wie in England bekommen. In der Tat beginnt gerade der Preiswettbewerb in der Schweiz, was wir mit Sorge betrachten, denn parallel zu der jetzt aufgehobenen Preisbindungsmöglichkeit hat ja das Schweizer Parlament beschlossen, ein Preisbindungsgesetz auf den Weg zu bringen, das voraussichtlich Ende 2008 dann Gesetz werden würde und damit die Preisbindung in der Schweiz fixiert.
Kassel: Nun haben Sie schon erwähnt, das ist ja ein Argument – ich darf das sagen –, das immer kommt bei der Diskussion. Das Buch ist ein Kulturgut, es ist eben kein Gegenstand wie Kugelschreiber oder ein Kühlschrank, Sie haben es selber gesagt. Andererseits sind doch – dem werden Sie zustimmen – Musik-CDs im Prinzip ein Kulturgut. Vielleicht nicht alle, aber auch nicht jedes Buch ist Hochkultur. Bilder können Kulturgut sein, viele andere Dinge, für die es keine Preisbindung gibt. Ist das wirklich noch zeitgemäß, das Buch so besonders zu schützen?
Skipis: Ich denke schon. Das Buch ist das Kulturgut, das ist das Leitmedium eigentlich in unserer Gesellschaft, und es geht um diese Vielfalt eines Buchmarktes. Wir haben in Deutschland circa 90.000 Neuerscheinungen pro Jahr. Diese Vielfalt, die einen Teil der Qualität des Marktes ausmacht – und da gibt es eben wenige kleine Auflagen, die sich eben, wie ich eingangs sagte, Experimentellem, Besonderem widmen –, das macht ja sozusagen den Wert des Marktes aus. Und diese Kleinteiligkeit würde sehr schnell verloren gehen und Beispiele wie UK aber auch USA und andere Länder, in denen es die Buchpreisbindung nicht gibt, genau diese Länder haben die Entwicklung durchgemacht, da gibt es das nicht mehr oder nur sehr selten, es gibt eher nur Mainstream. Das ist aus unserer Sicht genau das Problem, vor dem wir stehen, wenn die Preisbindung wegbrechen würde. Frankreich beispielsweise, die in den 90er Jahren die Preisbindung einmal aufgehoben hatten, haben sie nach zwei Jahren sofort wieder eingeführt, weil reihenweise die kleinen Buchhandlungen und damit auch das Angebot von besonderen Verlagen zurückgegangen ist.
Kassel: Kommen wir zum Schluss noch einmal zurück auf Harry Potter. Auch wenn sich die Buchhändler in Deutschland ab Ende Oktober freuen können, weil es eben diese Preisbindung nicht gibt und er überall gleichviel kosten wird, dieser siebte Band – das sehen die doch bestimmt mit einem lachenden und einem weinenden Auge, denn es ist nicht nur der siebte, sondern, wenn Frau Rowling es sich nicht noch anders überlegt, auch der letzte. Das heißt, danach fällt man in ein Loch, oder glauben Sie, dass auch noch Jahre nach Erscheinen des letzten Bandes das der Jugendliteratur nützen wird?
Skipis: Natürlich hat das für den Umsatz in den jeweiligen Buchhandlungen in Deutschland einen Riesen-Einfluss, die Harry Potter-Geschichten. Ich glaube aber, dass sie auch einen sehr positiven Einfluss auf das Bewusstsein dafür hat, wie wichtig, wie reizvoll und vor allen Dingen wie phantasievoll Lesen sein kann. Und da erwarten wir uns – und, ich glaube, das ist auch schon eingetreten – einen Impuls für das Lesen, was ja ein ganz wichtiger Punkt ist in der Entwicklung eines Menschen. Leseforschung beispielsweise belegt, dass die Möglichkeit, Sachverhalte zu begreifen, zu analysieren, sehr intensiv mit der Fähigkeit, lesen zu können, zusammenhängen und dieses Fenster wird vor allen Dingen gerade in der Jugend erst eröffnet. Also, was man in der Jugend gelesen hat und was man mit dem Lesen gelernt hat, prägt einen dann für die weitere Entwicklung.
Kassel: Herzlichen Dank, Alexander Skipis war das, der Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels über die Buchpreisbindung am Beispiel von – aber nicht nur bei – dem neuen Harry Potter-Band.
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