"Wir sind Partisanen"

Von Elfie Siegl |
Die "Woina"-Aktionskünstler sollten eigentlich assoziierte Kuratoren der 7. Berlin-Biennale werden. Doch gegen mehrere von ihnen liegt ein internationaler Haftbefehl vor - wegen Beleidigung und Gewaltanwendung gegenüber Staatsbediensteten. Ihr Leben im Untergrund ist längst zum Bestandteil ihrer Kunst geworden.
Wer sich mit Oleg Worotnikow, Spitzname Wor, Dieb, in Moskau verabreden will, braucht Geduld und Glück. Der Kontakt zum Chef der Gruppe Woina, auf Deutsch Krieg, läuft über das Internet. Es kann Tage dauern, bis sich abzeichnet, dass es zu einer Verabredung kommen könnte. Aber dann geht es plötzlich ganz schnell, von einer Stunde auf die andere. Bedingung: kein Handy. Warten auf ein Mitglied der Gruppe in einer U-Bahnstation. Kurze Begrüßung, Abfahren, Umsteigen, wieder fahren, aussteigen und längere Zeit zu Fuß gehen. Das Ziel des konspirativen Treffens ist ein kleines Cafe in der Kossygin-Straße.

"Einmal hat man uns geschnappt und ins Gefängnis geworfen. Seither führen wir ein recht vorsichtiges Leben im Untergrund. Wir kommunizieren öffentlich mit niemandem, achten sehr auf unsere Sicherheit. Eine unserer Aufgaben ist, zu beweisen, dass wir uns vom System nicht erwischen lassen. Wir sind Profis für das Leben im Untergrund und haben ja nichts außer uns selbst."

Oleg Worotnikow ist ohne seine Ehefrau Natalia Sokol und den drei Jahre alten Sohn Kasper gekommen. Er blickt misstrauisch um sich, hat Angst, dass die Kellnerinnen ihn erkennen und die Polizei holen könnten. Denn die Kunstaktivisten der Gruppe Woina leben in Russland gefährlich, weil sie sich gegen das System Putin auflehnen und bewusst dessen Gesetze verletzen.

"Wir sind eine eher kleine Gruppe von Leuten, die meinen, dass sie die Kraft haben, sich einem System entgegenzustellen, dass sich in vielen Jahren gefestigt hat und uns regiert. Für diesen Kampf braucht man nichts - kein Geld, keine Macht, keine Verbindungen. Wir hatten auch niemals mit dem so genannten 'Art Business' in Russland etwas zu tun, das lehnen wir ab. Wir stellen nicht in Galerien aus. Wir haben viel Talent und Begeisterung, und wir wollen die Welt verändern. Dank unserer Aktionen hat sich in Russland das gesellschaftliche Klima gewandelt."

Die Gruppe Woina macht, seit sie 2005 von Worotnikow und seiner Frau Natalia gegründet wurde, mit Straßen- und Aktionskunst auf politische Missstände in ihrem Land aufmerksam. International berühmt wurde Woina, nachdem ihre Aktivisten in den frühen Morgenstunden des 14. Juni 2010 in wenigen Sekunden mit weißer Farbe einen riesigen Penis auf eine Zugbrücke in Sankt Petersburg gemalt hatten. Als die Brücke sich öffnete, prangte der Phallus, optisch gesehen, vor dem Gebäude des Inlandsgeheimdienstes, wo einst Putin als KGB-Offizier gearbeitet hatte. Knapp ein Jahr später zeichnete ausgerechnet das russische Kulturministerium Woina dafür mit dem Innovationspreis für zeitgenössische Kultur aus. Für Oleg Worotnikow ist diese Entscheidung absurd. Das Preisgeld spendeten die Künstler politischen Gefangenen in Russland.

"Aktuelle Kunst sollte immer bestehende Grenzen erweitern und verletzen. In diesem Sinne kann und sollte sie vor nichts halt machen. Man fragt uns manchmal: Wie kann man Rowdytum von Kunst unterscheiden? Überhaupt nicht, denn in gewissen Augenblicken des öffentlichen Lebens kann Rowdytum zur Kunst werden. Ein frecher Künstler ist so wie Putin: Er kann sich alles erlauben und trägt dafür die Verantwortung. Er kann für seine Kunst leiden, bestraft werden, kann sogar dafür sterben. Das ist der Preis, den er bezahlt."

Oleg Worotnikow und seine Frau haben einst an der renommierten Moskauer Lomonossow-Universität studiert, er Philosophie, sie Physik. Der Weg von einer Eliteausbildung in den Untergrund hat Jahre gedauert und er hängt sicher mit der anarchisch geprägten Lebensphilosophie der beiden zusammen. So weigern sie sich etwa, mit Arbeit Geld zu verdienen, und nehmen sich das Recht heraus, für Lebensmittel im Supermarkt nicht zu bezahlen. Oleg Worotnikow und Natalia Sokol haben zwei kleine Kinder, die mit ihnen im der Illegalität leben - für sie eine Selbstverständlichkeit.

"Unsere Kinder sind von Geburt an Aktivisten der Gruppe Woina. Unser ältestes Kind Kasper ist noch nicht mal drei Jahre alt und hat schon an den besten Aktionen teilgenommen. Wir zeigen damit, dass wir keine Schutzschilde haben, hinter denen wir uns verstecken können. Deshalb lehnen wir auch Geld ab. Wir wollen mit unseren Aktionen kein Geld verdienen, sondern machen sie um der Politik willen. Wir besitzen nichts, weil wir uns nicht hinter Eigentum verstecken wollen."

Die Gruppe Woina besteht nach eigenen Angaben inzwischen aus einigen Dutzend Aktivisten in mehreren Städten Russlands, die Zahl ihrer Sympathisanten soll in die Tausende gehen.
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