„Wir haben durch dieses Unglück nicht eine einzige neue Information“

Joachim Weimann im Gespräch mit Liane von Billerbeck |
Das Verhalten der Politiker zeige, dass in so einer elementaren Frage wie der Kernkraft nicht die Ratio, sondern die Emotion regiere, kritisiert Joachim Weimann, Professor für Wirtschaftspolitik an der Uni Magdeburg, den politischen Kurswechsel in der Atomfrage.
Liane von Billerbeck: Mancher Atomkraftverfechter wurde abtrünnig in den vergangenen Tagen, so sehr haben ihn die Bilder aus Japan beeindruckt, aus welchen Gründen auch immer, Wahlen her oder hin. Wir haben vor einer Stunde von Volker Quaschning gehört, der geht davon aus, man könne die Atomkraft und damit die Atomkraftwerke schon in fünf Jahren abschalten, dann wären wir mittels regenerativer Energie schon 2015 in der Lage, uns ohne Atomkraftwerk zu versorgen. Professor Joachim Weimann ist da gänzlich anderer Meinung. Der Volkswirtschaftler mit Lehrstuhl für Wirtschaftspolitik an der Universität Magdeburg sagt: Im Moment können wir noch nicht auf die Atomkraft verzichten. Weimann hat 2009 ein Buch veröffentlicht mit dem Titel „Die Klimapolitik-Katastrophe“, und mit ihm bin ich jetzt telefonisch verbunden. Herr Professor Weimann, ich grüße Sie!

Joachim Weimann: Schönen guten Tag, Frau von Billerbeck!

von Billerbeck: In Japan droht immer noch eine atomare Katastrophe – bleiben Sie dabei, dass wir nicht ohne Atomkraftwerke können?

Weimann: Also, das ist eine sehr komplexe Frage, ob wir ohne Atomkraftwerke können und ob wir ohne Atomkraftwerke auskommen sollen. Dazu muss man zunächst einmal die Frage stellen: Was würde passieren, wenn wir jetzt einfach sämtliche Atomkraftwerke einfach abschalten? Dann hätten wir ein allerdings erhebliches Versorgungsproblem, was den elektrischen Strom angeht, denn immerhin decken wir zurzeit noch mehr als 20 Prozent unseres Energiebedarfs über Atomkraft. Und wenn die wegfallen, das kann man nicht so ohne Weiteres ersetzen durch einen anderen Energieträger, das ist kurzfristig ganz sicherlich nicht möglich.

Ich glaube auch nicht, dass das stimmt, was Sie eben von Herrn Quaschning gesagt haben, nämlich dass man innerhalb von fünf Jahren diese 20 Prozent durch erneuerbare Energien ersetzen kann. Dazu muss man sich vor Augen führen, dass Atomstrom in der Grundlast benötigt wird, das heißt, es sind Grundlastkraftwerke, die da eingesetzt werden, die also dafür sorgen, dass wir permanent eine bestimmte Leistung im Netz haben. Und erneuerbare Energien sind leider nicht grundlastfähig, weil sie eben nicht gleichmäßig anfallen. Wenn kein Wind weht und die Sonne nicht scheint, nachts zum Beispiel, haben wir eben ein Problem, und deshalb sind diese Kraftwerke nicht grundlastfähig, sodass wir da auch keine Eins-zu-eins-Substitution herstellen können. Wir können also nicht sagen, wir nehmen jetzt soundso viel Megawatt einfach mal aus dem Netz mithilfe von Atomkraft und ersetzen die durch soundso viel Megawatt erneuerbaren Strom, das funktioniert so nicht. Deswegen ...

von Billerbeck: Aber Gegner der Atomkraft sagen ja gerade, es ist ja nicht so, dass immer beides zugleich passiert, also dass keine Sonne scheint und kein Wind weht oder die Biomasse nicht einsetzt, die sprechen ja immer von einem Mix regenerativer Energien, mit dem sie die Atomkraft ablösen wollen. Das kann doch funktionieren?

Weimann: Nein, das kann in der Grundlast nicht funktionieren. Sie müssen wirklich sicherstellen, dass Sie verlässlich tatsächlich diese Leistung abrufen können, und das ist leider mit den regenerativen Energien zurzeit nicht möglich. Es ist deswegen nicht möglich, weil wir leider nicht die notwendige Technologie haben, die es erlauben würde, den Strom, den wir produzieren, gewissermaßen auf Lager zu legen, um ihn dann abzurufen, wenn wir ihn brauchen. Es gibt Phasen, in denen wir haben viel zu viel Strom, produzieren viel zu viel Energie, mehr als wir brauchen, und es gibt eben Phasen, in denen wir nur sehr wenig regenerativen Strom produzieren können, wo wir aber Strom benötigen. Und dieses Zwischenlagern, was man eigentlich brauchen würde, um das auszugleichen, darüber verfügen wir bis jetzt noch nicht. Und es ist auch nicht absehbar, wann wir in der Lage sein werden, dieses Zwischenlager zu installieren. Dazu kommt, dass wir, wenn wir die erneuerbaren Energien einsetzen, natürlich eine Strukturveränderung im Kraftwerkspark haben. Das heißt, wir stellen dann um auf eine dezentrale Energieversorgung.

von Billerbeck: Was ist schlimm dran?

Weimann: Das ist erst mal nicht schlimm, setzt nur voraus, dass man die notwendigen Leitungen hat, die diese dezentrale Versorgung dann auch bewerkstelligen. Und die zu bauen, stellt sich immer mehr als großes Problem heraus, weil niemand möchte neue Leitungen in seiner Umgebung. Und wenn man den Energieexperten Glauben schenken darf, dann würde es nicht damit getan sein, dass wir ein paar neue Hochspannungsmasten errichten, sondern das würde bedeuten, dass wir unser Leitungsnetz um einen Faktor zwei, drei erweitern. Und das sind erhebliche Investitionen, die notwendig sind, die nicht kurzfristig zu machen sind und gegen die es sehr große Widerstände gibt.

von Billerbeck: Nun ist es ja so, dass man sagen kann, das geht nicht und jenes geht nicht, aber wir haben schon oft gelernt in der Geschichte, dass man bestimmte Entscheidungen auch treffen kann, mit den Leuten, die davon betroffen sind, auch reden kann und dann vielleicht Überzeugungsarbeit leisten muss, dass wie vielleicht doch einsehen, dass sich da etwas verändert, sowohl an der Landschaft als auch durch die Leitungen, von denen Sie gerade gesprochen haben, wenn man denn möchte, dass man auf die Atomkraft verzichtet.

Weimann: Ja, die Erfahrung lehrt leider, dass es nicht funktioniert. Die Erfahrung lehrt, dass es so ist, dass Menschen vor allen Dingen bereit sind, dafür zu kämpfen, dass Dinge nicht passieren. Wir sind mehrheitlich der Meinung, dass wir aus der Atomkraft aussteigen wollen, wir sind mehrheitlich der Meinung, dass wir etwas für den Klimaschutz tun wollen, aber wir sind auch mehrheitlich der Meinung, dass wir beispielsweise keine neuen Kraftwerke, Kohlekraftwerke bauen dürfen, obwohl die natürlich durchaus positiv zu bewerten wären, weil sie alte Kohlekraftwerke ersetzen, die deutlich mehr CO2 emittieren und weil sie uns helfen, von der Atomenergie ein Stück unabhängiger zu werden. Es sind genauso, wir wollen die erneuerbaren Energien ausbauen, aber wir sind eben nicht bereit, die Leitungen in unseren Vorgärten zu haben. Wir schreien mehr oder weniger immer nach der Quadratur des Kreises, das ist die Erfahrung, nicht die Erfahrung, die Sie gerade schildern. Das ist, glaube ich, eher eine Hoffnung.

von Billerbeck: Volker Quaschning hat gesagt, ja klar ist es so, als ich ihn fragte, dass viele Leute, die zwar gegen die Atomkraft sind, dann aber nicht akzeptieren können, wenn Windparks in ihrem Dorf oder Solaranlagen, Biomasse-Kraftwerke dort gebaut werden, aber er sagte, man muss die Leute bei anderen Dingen packen, dass man ihnen nicht nur sagt, wir stellen dir dort ein Windrad hin, sondern du kannst möglicherweise damit auch Geld verdienen, also dass diese dezentrale Energieversorgung nicht bloß in Stadtwerken, sondern möglicherweise auch bei Privatleuten ist, die damit durchaus Geld verdienen, also motiviert werden. Das wäre doch auch ein Weg.

Weimann: Na ja, das machen wir ja schon. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz ist ja nichts anderes als genau dieser Weg. Wir subventionieren ja bereits die Fotovoltaik massiv, wir subventionieren die Windkraftwerke massiv ...

von Billerbeck: Die Subventionen sind gerade etwas zurückgefahren worden, kann ich mich erinnern.

Weimann: Aber sie sind immer noch massiv, deswegen, auch wenn sie zurückgefahren worden sind.

von Billerbeck: Aber was ist schlecht dran, wenn man so eine Technologie, die ja Zukunft hat, subventioniert? Ich weiß, Volkswirtschaftler leiden immer unter dem Wort Subvention.

Weimann: Ich wäre vorsichtig mit diesen Zwischenwertungen, die Zukunft hat. Woher wissen Sie, dass das die Zukunft ist? Ich glaube nicht, dass Fotovoltaik unsere Zukunft ist, das glaube ich ganz und gar nicht, jedenfalls nicht in unserem so armen Land. Und ich glaube auch nicht, dass wir gut daran tun, Techniken zu subventionieren, von denen wir eigentlich wissen, dass sie die Lösung unserer Probleme nicht bereitstellen können. Also wir geben sehr, sehr, sehr, sehr viel Geld für diese Dinge aus, das wir deutlich besser gebrauchen könnten, beispielsweise im Klimaschutz, wenn wir das richtig einsetzen würden. Aber das führt uns ein bisschen, glaube ich, auch von der Frage weg, die Sie doch intendieren. Die Frage ist doch: Welche Lehren sollten wir jetzt aus Fukushima ziehen und was sollten wir für unsere eigene Energiepolitik daraus lernen? Ist das nicht richtig?

von Billerbeck: Die Bevölkerung sagt ganz eindeutig, die Lehre daraus lautet, wir wollen mehrheitlich, dass diese Atomkraftwerke abgeschaltet werden.

Weimann: Ja, und da frage ich mich, wie das kommt. Ganz ehrlich gesagt habe ich da ein ungutes Gefühl, aus einem ganz einfachen Grund: Wir müssen uns doch die Frage stellen, was haben wir durch diese zugegeben absolut schrecklichen Ereignisse dort in Japan über die Sicherheit oder die Risiken von Kernkraft Neues gelernt? Was wussten wir vorher nicht, was wir jetzt durch die Ereignisse in Fukushima wissen?

von Billerbeck: Viele Atomkraftgegner, für die ist das nicht neu, dass diese Technik durchaus unsicher sein kann.

Weimann: Nicht nur für die Atomkraftgegner, Frau von Billerbeck, das sind alles bekannte Tatsachen. Wir haben durch dieses Unglück nicht eine einzige neue Information, die uns hinsichtlich der Einschätzung der Sicherheit von Atomkraftwerken irgendeine Veränderung ...

von Billerbeck: Da sind wir d'accord, das war nur das Argument, das die Bundesregierung brachte, um dieses Moratorium einzurichten.

Weimann: Wenn Sie mich rausreden ließen, könnte ich meinen Gedanken zu Ende führen. Wenn das so ist, wenn also dieses Ereignis nicht dazu führt, dass wir jetzt neue Informationen haben, die uns sagen, Atomkraftwerke sind doch unsicherer, als wir gedacht haben, wenn wir das alles schon vorher wussten, da stellt sich doch die Frage, warum sich dann trotzdem jetzt alle Entscheidungen umdrehen. Und dann stellt sich doch die Frage, wie wir mit der Information, die wir vorher ja schon hatten, und zwar alle hatten, nicht nur die Atomkraftgegner, sondern auch die Politiker, auch die Medien, warum sind wir dann vorher mit diesen Informationen offensichtlich nicht richtig umgegangen.

Das heißt doch nichts anderes, als dass wir bisher bei der Frage, wollen wir Atomkraft nutzen oder nicht, völlig irrational vorgegangen sind, weil wir nicht alle Informationen ausgenutzt haben. Und das, muss ich sagen, ist etwas, was mir durchaus Angst macht, denn es bedeutet, dass unsere Politiker – beim Umweltminister angefangen – offensichtlich nicht in der Lage waren, Informationen in einer elementaren Frage richtig zu verarbeiten. Und das kann einen schon beunruhigen. Und wenn ich dann sehe, dass jetzt aufgrund dieses emotionalen, sehr aufwühlenden Ereignisses in Japan plötzlich sich alles rumdreht, dann zeigt mir das, dass in so einer elementaren Frage offensichtlich nicht die Ratio regiert, sondern die Emotion. Das macht mich erst recht sehr betroffen und nachdenklich.

von Billerbeck: Professor Joachim Weimann, Professor für Wirtschaftspolitik an der Universität Magdeburg, war das. Ich danke Ihnen!

Weimann: Ich danke Ihnen!
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