"Sofort möglich auf Großteil der Kraftwerke zu verzichten"

Volker Quaschning im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 17.03.2011
Die Ankündigung von Schwarz-Gelb, sieben deutsche Atomkraftwerke vorläufig zum Netz zu nehmen, mache deutlich, wie verzichtbar diese für die Stromversorgung in Deutschland seien - eine Stromlücke enstehe auch nicht durch die Abschaltung weiterer AKW, so Quaschning.
Liane von Billerbeck: In diesen Tagen, mit den Bildern aus Japan vor Augen, da spaltet die Debatte um die Atomkraft das Land. Sogar bislang sehr heftige Verfechter der Atomkraft, die wollen nun zumindest neu darüber diskutieren. Und manche fragen sich, ob man die Atomkraft nicht aussetzen – zumindest vorerst –, sondern ganz und endgültig abschalten sollte und muss. Aber reicht dann der Strom noch für alle? Und wenn ja: Was wird das kosten? Volker Quaschning sagt, wir können in fünf Jahren ganz auf die Atomkraft verzichten. Der Professor für regenerative Energiesysteme von der Berliner Hochschule für Technik und Wirtschaft hat mehrere Bücher zum Thema geschrieben, unter anderem "Mülltrenner, Müsliesser und Klimaschützer. Wir Deutschen und unsere Umwelt", und als Alternative-Energie-Verfechter unterschreibt er seine E-Mails mit sonnigen Grüßen und ist hier auch mit einem Anti-AKW-Sticker im Studio. Herzlich willkommen, Volker Quaschning!

Volker Quaschning: Ja, schönen guten Tag!

von Billerbeck: Die Bundesregierung hat angekündigt, vorerst sieben deutsche AKWs abzuschalten, und mancher, der den Atomkraftverfechtern geglaubt hat, die von einer Stromlücke ohne Atomenergie warnten, der reibt sich jetzt verwundert die Augen. Es geht also ganz leicht ohne.

Quaschning: Natürlich geht das. Die Diskussion, die wir haben, ist ja nicht technischer Natur, sondern es geht schlicht und einfach um Geld bei dem Weiterbetreiben von Kernkraftwerken, und man hat einfach andere Gründe vorgeschoben. Wenn wir jetzt einfach mal schlicht auf die Zahlen gucken, was wir an Kraftwerkskapazität haben, ist es so, dass wir in Deutschland mehr Kraftwerke haben, als wir brauchen. Wir exportieren Strom – das sind etwa drei Prozent knapp, die wir hier pro Jahr exportieren –, das heißt, man kann sofort auf einen größeren Teil der Kraftwerke verzichten. Das sieht man ja jetzt auch, selbst die Bundesregierung hat anerkannt, dass man also die Atomkraftwerke vom Moratorium, die sieben Stück, und Krümmel ist ja auch noch vom Netz, ein achtes, auf die kann man eigentlich verzichten. Wir brauchen sie nicht, dass die Energieversorgung sichergestellt ist. Und wenn man mit spitzen Bleistift rechnet, dann denkt man, also ein oder zwei Kraftwerke würden auch noch gehen direkt jetzt vom Netz. Das heißt, es verbleiben gar nicht mehr so viele Kraftwerke, die übrig sind. Wenn wir die ersetzen wollen, dann müssen wir relativ schnell die erneuerbaren Energien weiter ausbauen, und da ist die Auffassung, die jetzt auch viele aus der Branche vertreten, dass es gelingen kann, hier im Zeitraum von fünf Jahren so viel regenerative Energien aufzubauen, dass wir wirklich von der Menge her den Strom ersetzen können.

von Billerbeck: Bleiben wir mal bei den Zahlen: Sie haben eben gesagt, wir können drei Prozent der Energie, die durch Atomkraft produziert wird, exportieren wir die, auf die können wir also mühelos verzichten. Das heißt ja, dass wir 97 Prozent brauchen, wenn ich da richtig rechne?

Quaschning: Das heißt drei Prozent der erzeugten Strommenge wird exportiert …

von Billerbeck: Ach so, die ist nicht aus...

Quaschning: Genau. Das heißt, selbst wenn wir jetzt praktisch, bei den 100 Prozent sind immer noch einige Kraftwerke in Reserve, die ausgeschaltet sind, das heißt also, selbst im Winter, im Dezember, wenn wir Höchstlast haben, laufen nicht alle Kraftwerke, die wir haben, auf voller Last, sondern wir haben einige in Reserve, das heißt, wir können auf Kraftwerke verzichten. Das ist ja auch ganz logisch. Wir bauen ja relativ stark aus die regenerativen Energien. Anfang der 90er-Jahre hatten wir drei Prozent regenerative Energien, jetzt haben wir 17 Prozent. Das geht ja relativ schnell, und das heißt, da kommen ganz schnell neue Kapazitäten ins Netz. Und das bedeutet, die alten Kraftwerke, die werden immer weniger gebraucht, das ist einfach durch den Ausbau der regenerativen Energien auch geschuldet.

von Billerbeck: Wie verlässlich ist dann aber nun regenerative Energie? Nicht immer weht Wind, um Windkraftwerke, Windturbinen zu betreiben, und die Sonne scheint hierzulande noch weniger. Wie verlässlich ist das da, dass wir dann tatsächlich genug Strom zur Verfügung haben?

Quaschning: Wir haben Konzepte, dass es gelingen kann in 20 bis 30 Jahren, die komplette Energieversorgung auf regenerativen Energien aufzubauen. Da braucht man natürlich einen gewissen Mix von regenerativen Energien, genau das Problem haben wir: Tagsüber scheint die Sonne, nachts nicht, dann haben wir Wind, der entsprechend weht, aber die regenerativen Energien ergänzen sich relativ gut. Es kommt sehr selten vor, dass wir praktisch keine Sonne haben und auch kein Wind weht, sondern wir haben eine ganz gute Ergänzung. Es gibt dann noch die Biomasse, die Geothermie, und wenn wir einen intelligenten Mix haben, dann reduzieren sich die Schwankungen schon sehr deutlich. Und wenn wir dann relativ kleine Speicher – wir brauchen also keine Speicher, die über ein halbes Jahr lang den Strom speichern, sondern das nur über wenige Tage überbrücken können, die lassen sich auch realisieren, dann gelingt es uns hier auch relativ kurzfristig, eine hundertprozentige regenerative Energieversorgung umzusetzen.

von Billerbeck: Aber gerade um die Speichertechnologien gibt es viele Debatten, diese Energie eben eine Weile zu speichern oder für gewisse Zeiten. Die Technik ist offenbar noch nicht vorhanden.

Quaschning: Na ja, das ist eine Preisfrage. Es ist auch nicht eine Frage der Technik. Ich hab mal ein ganz einfaches Rechenbeispiel: Ich hab vorhin mal überschlagen, wenn wir mal gucken, wir haben in Deutschland ja Batterien – jedes Auto hat eine –, das heißt, die Anzahl der Autobatterien, wenn man die mal zusammenzählt, dann kommt man auf eine erstaunliche Summe. Das heißt, die Autobatterien, die wir täglich durch die Gegend fahren, haben genauso viel Speicherkapazität wie sämtliche Pumpspeicherkraftwerke in Deutschland für die Stromversorgung. Dann kann man sich ganz einfach überlegen, wenn ich jetzt schnell was legen will, dann kann ich auch einfach auf bekannte Speichertechnologien zurückgreifen, auf Batterietechnologien, und damit kann ich die nächsten fünf Jahre so viel Speicherkapazitäten aufbauen, dass ich eine sichere Stromversorgung machen kann. Es ist nicht die preiswerteste Variante – es geht hier ums Geld, aber technisch haben wir heute auch Lösungen, hier schnell reagieren zu können.

von Billerbeck: Das ist ja auch ein Argument der Verfechter der Atomtechnologie. Die sagen, ja, wenn wir auf regenerative Energien umsteigen, dann wird der Strom viel, viel teurer. Nun wissen wir aber auch, dass auch Atomtechnologie nicht umsonst zu haben ist. Was wird denn der Strom in Zukunft kosten?

Quaschning: Von dem billigen Strompreis müssen wir uns sowieso verabschieden, aber ich hab auch nicht gesehen, dass der Weiterbetrieb oder die Laufzeitverlängerung von Kernkraftwerken hier zu Strompreissenkungen geführt hat. Wenn wir sehen, im Jahr 2000, ich hab mal die Preise rausgesucht, haben wir knapp 14 Cent pro Kilowattstunde für Endkunden bezahlt, wir sind jetzt im Jahr 2011 bei 25 Cent. Das sind elf Cent mehr, trotz Laufzeitverlängerung und sonst irgendwelche Beschlüsse. Jetzt kann man gucken, wie viel machen die regenerativen Energien? Da haben wir ja lange Zeit gestritten, das sind derzeit knapp drei Cent – man hat letztes Jahr dreieinhalb Cent ausgerechnet, da hat man sich verrechnet zu Ungunsten der regenerativen Energien, die Mehrkosten sind eigentlich wesentlich weniger –, sodass gut acht Cent irgendwie durch andere Leute dazugekommen sind die letzten elf Jahre. Das heißt, der Strom wird teurer, egal ob wir regenerative Energien ausbauen oder nicht. Und die Mehrkosten, die wir haben beim Ausbau der regenerativen Energien, sind unwesentlich höher, als wenn wir es laufen lassen wie bisher. Wir haben ja bei den Kernkraftwerken auch ein hohes Risiko. Wenn Sie jetzt einfach mal versuchen auszurechnen, wie in Japan die Strompreise durch Kernenergie jetzt sind – das klingt jetzt natürlich irgendwie pervers in diesem Zusammenhang –, aber wenn wir jetzt einfach mal die Kosten umrechnen auf die Kilowattstunde, dann ist Solarenergie ein Schnäppchen dagegen.

von Billerbeck: Nun ist es ja so, dass selbst Kritiker der Atomenergie nicht begeistert sind, wenn sie die Folgen der Abschaltung selbst aushalten müssen. Wir erinnern uns an viele Bürgerbewegungen, die dann große Windkraftanlagen in der Nähe ihres Dorfes sind oder gegen Biomasse-Kraftwerke oder auch gegen Solarfelder – also das ist immer so das Ding, ich bin dafür, aber nicht in meinem Dorf. Was sagen Sie denen, wie wird der Preis aussehen, den sie zahlen müssen infolge von Landschaftsveränderung?

Quaschning: Ja, wir haben natürlich – es ist immer ne Frage, der Mensch hat Schwierigkeiten, sich an was Neues zu gewöhnen. Wir haben ja auch nicht eine Landschaft, die hier Jahrhunderte geprägt ist, es ist ja eine Kulturlandschaft, die wir haben, und dann ist eine Windkraftanlage, die sich dort befindet, eine Ansichtssache. Aber man muss natürlich dann schon die Sorgen der Bevölkerung ernst nehmen, genauso was den Ausbau von Leitungen anbelangt, auch da gibt es gewisse Risiken, darüber muss man reden.

von Billerbeck: Welche Risiken wären das?

Quaschning: Na ja, man redet ja über Elektrosmog, das ist ja zum Beispiel eine Sache, ja, kann man drüber streiten, ob das ein Risiko ist oder nicht, aber das muss man auf alle Fälle ernst nehmen. Ich halte nichts davon, dass man jetzt eine Technik, die man verteufelt, abschafft und durch eine andere ersetzt, die auch keine Akzeptanz hat, das ist also auch ganz wichtig. Und es ist relativ spannend. Wenn man eine Windkraftanlage aufbaut und man stellt die einfach hin, sind die Leute dagegen, wenn man irgendwie sagt, ihr könnt euch daran finanziell beteiligen und ihr kriegt Geld davon ab, sind plötzlich in dem Dorf dann auch die meisten der Leute dann dafür. Das heißt, es gibt auch Möglichkeiten, Akzeptanz zu schaffen, und das funktioniert auch. Das ist versäumt worden, und das muss man entsprechend machen. Und wenn man das macht, dann kann man auch die Bevölkerung sicherlich dafür überzeugen, weil die Mehrheit der Bevölkerung weiß, dass es ein sinnvoller und wichtiger Weg ist.

von Billerbeck: Sie klingen jetzt so ein bisschen wie die Bundesregierung, die auch immer sagt, es ist alles bloß schlecht kommuniziert worden.

Quaschning: Nein, es sind auch Konzepte, die vielleicht nicht sinnvoll sind oder die vielleicht auch, die man überdenken muss. Man hat ja zum Beispiel die Sache Offshore-Wind, die man jetzt ausbauen möchte, und es gibt da Szenarien, dass man die ganze Nordsee vollstellt und eine ganz dicke Leitung bis nach Bayern macht – da muss man sich überlegen, ob es vielleicht nicht sinnvoller ist, die Solaranlagen auch regional zu verteilen, also auch mal eine Windkraftanlage in Bayern aufzustellen oder eine Photovoltaikanlage in Hamburg. Dann kann man nämlich auch auf Leitungen verzichten und hier eine wesentlich dezentralere Lösung machen. Das ist nicht im Sinne der Energieversorgungsunternehmen, die wollen zentrale Sachen haben, die sie auch kontrollieren können, aber wir können das auch regeln und wir können das auch so regeln, dass die Akzeptanz der Bevölkerung da sein wird.

von Billerbeck: Könnte man denn die großen Energiekonzerne, die jetzt über die Atomkraft gebieten, mit ins Boot holen bei dem Weg weg von der Atomkraft hin zu regenerativer Energie?

Quaschning: Ist schwierig, weil die haben natürlich den falschen Kraftwerkspark, das ist immer das Problem. Das Dilemma, was die Energiekonzerne haben, das heißt, jede Solaranlage oder jede Windkraftanlage, die sie selber aufbauen, machen ihren eigenen Kraftwerken Konkurrenz, deswegen haben die da erst mal momentan nicht sonderlich großes Interesse dran. Wenn sie das machen, dann wollen sie große, zentrale Offshore-Windparks haben, weil sie die gut kontrollieren können. Momentan haben wir über eine Million Photovoltaikanlagen in Deutschland verteilt, das ist viel zu kleinteilig und überhaupt nicht interessant für die Energieversorgungsunternehmen. Wir werden uns dran gewöhnen müssen, dass es eine andere Versorgungskultur in Deutschland geben wird, aber natürlich dann auch mit den Widerständen der Energieversorgungsunternehmen, die heute das kontrollieren.

von Billerbeck: Also kleinere Unternehmen, städtische Unternehmen?

Quaschning: Dezentral Sachen verteilt, auch teilweise im Besitz von Privatkunden. Wenn ich eine Photovoltaikanlage baue, gehört die mir irgendwann, auf dem eigenen Dach, und dann nicht mehr den Energieversorgungsunternehmen.

von Billerbeck: Sagt Professor Volker Quaschning, Professor für regenerative Energiesysteme an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin. Danke für das Gespräch!

Quaschning: Danke auch!

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