"Wir haben alle das Gefühl, dass Jahre umsonst waren"
Moderatorin: Liane von Billerbeck · 20.07.2006
Die in Beirut lebende deutsche Filmemacherin Monika Borgmann hat nach den Angriffen Israels auf den Libanon vor einer humanitären Tragödie gewarnt. Alle Initiativen der vergangenen Jahre seien innerhalb von 48 Stunden zunichte gemacht worden. Die Bevölkerung decke sich mit Lebensmitteln ein und glaube, dass der Ausnahmezustand längern andauern könne.
Von Billerbeck: 23 Tonnen Bomben habe Israel heute auf einen Bunker abgeworfen, in dem die Führung der islamistischen Hisbollah vermutet wurde, sagen israelische Quellen. Widerspruch kam von der Hisbollah, die von einer im Bau befindlichen Moschee sprach, die angeblich getroffen wurde. Das Erste, was im Krieg auf der Strecke bleibt, ist bekanntlich die Wahrheit. Nachrichten sind oft schwer zu verifizieren. Tatsache ist, dass hunderttausende Flüchtlinge aus dem Süden des Libanon nach Beirut strömen. Tatsache ist auch, dass immer wieder Städte in Israel von der Hisbollah mit Raketen beschossen werden. Gestern sprachen wir hier im Radiofeuilleton mit Stephan Vopel von der Bertelsmann-Stiftung in Israel.
Und vor unserer heutigen Sendung konnten wir die deutsche Filmemacherin Monika Borgmann erreichen, die seit Jahren in Beirut lebt. Sie ist Leiterin des Projekts "Umám Documentation and Research". Das ist eine Nichtregierungsorganisation, die das Gedächtnis über Bürgerkrieg und Krieg im Libanon künstlerisch aufarbeitet und dabei auch versucht, diese Erinnerungsarbeit durch Beispiele aus dem Ausland zu unterstützen. "Umám" hat gemeinsam mit der Heinrich-Böll-Stiftung eine Ausstellung über Srebrenica nach Beirut gebracht. Büro und Archiv dieser Nichtregierungsorganisation liegen genau in dem Vorort Beiruts, der am stärksten unter Beschuss lag. Unsere Gesprächspartnerin war nur per Handy zu erreichen. Monika Borgmann, guten Tag nach Beirut! Wo leben Sie, seit Ihr Wohnviertel unter Beschuss liegt?
Borgmann: Ich war bis Samstagmittag, bis Samstagnachmittag war ich in Haret Hreik in unserem Haus, in unserem Büro, in all dem. Und dann wurde der Beschuss aber so unerträglich, dass ich mich doch entschlossen habe, eigentlich gegen meinen Willen, das Haus zu verlassen. Und seitdem fühle ich mich ehrlich gesagt so ein bisschen wie ein Flüchtling. Die Wohnung war sicher, aber trotzdem die Bombardements waren so laut, dass ich da auch wieder die Flucht ergriffen habe. Und seit gestern bin ich jetzt bei einer Freundin und komme wieder etwas zu mir.
Von Billerbeck: Wie müssen wir uns denn das Leben in Beirut dieser Tage vorstellen?
Borgmann: Die Beirutis selber versuchen, sich im Endeffekt zu organisieren. Das heißt, alle kaufen Vorräte ein, weil alle haben das Gefühl, dass es länger dauern kann. Alle decken sich wirklich mit, was weiß ich, mit Zucker, Mehl, Tunfisch, mit Dosen und ich weiß nicht was ein. Dann gleichzeitig ist die Stadt inzwischen voll mit Flüchtlingen, ganze Gärten sind voll damit. Dann gibt es diese Leute wie ich, die bei Freunden eine Unterkunft suchen, und irgendwie ein bisschen - ja wirklich, ich bin jetzt irgendwie mit einer Tasche die ganzen fünf Tage herumgereist. Und viele Beirutis wiederum versuchen, wenn sie irgendwie die Möglichkeit haben, versuchen irgendwo in die Berge zu gehen, weil sie sich da wiederum sicherer fühlen als in der Stadt selber. Das Ganze steuert auf eine große humanitäre Krise zu.
Von Billerbeck: Wie ist denn die Stimmung unter den Kulturschaffenden in der libanesischen Hauptstadt, seitdem da Raketen einschlagen? Kann man überhaupt noch miteinander reden?
Borgmann: Wir reden miteinander und es gibt zwei, drei Cafés im Moment, wo wir uns alle treffen. Und 48 Stunden haben genügt, um irgendwo alle Initiativen, alle Versuche, alle Mühe, alle Zeit, alles Geld, um wirklich alles zunichte zu machen. Um Ihnen ein kleines Beispiel zu geben: Es gibt eine Initiative hier, die haben letzte Woche Dienstag, einen Tag, bevor das alles anfing, haben die das erste Programmkino eröffnet mit der "La semaine de la critique" aus Cannes. Und die Regisseure, zwei, drei Regisseure, die auch in Cannes waren, sollten nach Beirut kommen. Die Eröffnung war mit einem Film am Dienstag, und das ganze Projekt ist von den Franzosen finanziert worden: 35 Milimeter, Dolby und ich weiß nicht was, das erste Programmkino in ganz Beirut. Das Ganze, Mittwochabend haben die das Ganze abgesagt. Es gibt, im August gibt es regelmäßig ein Filmfestival, ein libanesisches Filmfestival, das heißt "Né à Beyrouth", abgesagt! Es gibt das Beiteddine-Festival, es gibt das Baalbek-Festival - ist alles abgesagt! Wir haben alle das Gefühl, dass irgendwo Jahre, Jahre umsonst waren, dass plötzlich wirklich einfach alles nur weggebombt wird.
Von Billerbeck: Haben Sie denn die Hoffnung, dass das Ziel Israels, die Hisbollah zu treffen, zu schwächen oder gar zu zerschlagen, durch die Angriffe erreicht wird?
Borgmann: Leider nein. Also ich meine, ich bin die Erste, weil, ich meine, wir leben mit der Hisbollah, da, wo wir leben in Hatacheik (Anmerk. d. Red.: Wort wie gehört). Wir leben mit der Hisbollah und wenn wir Veranstaltungen hatten, die Leute von der Hisbollah haben irgendjemanden geschickt, der irgendwo beobachtet hat, was wir gemacht haben und so weiter und so fort. Aber ich meine, wir haben mit der Hisbollah zusammengelebt. Aber wir sind die Ersten, die irgendwo gegen die Hisbollah sind, und die versucht haben, einfach auch in diesem Viertel, irgendeine Alternative zur Hisbollah zu schaffen. Einfach auch dadurch, dass wir das Viertel geöffnet haben, dass Leute aus anderen Vierteln von Beirut in dieses Viertel kamen, in das sie seit Jahren nie mehr ihren Fuß, es nie mehr betreten haben und so weiter. Es ist heute zu früh zu sagen, wie die Hisbollah im Endeffekt aus dem Ganzen herausgehen wird.
Von Billerbeck: Sie leben in einem Beiruter Viertel, in dem die Hisbollah stark ist. Kann man denn derzeit noch Kritik an der Hisbollah üben, wo Israel Libanon bombardiert?
Borgmann: Das ist genau ein Punkt, der extrem wichtig ist. Und das wird wirklich sehr, sehr schwierig werden oder ist schon sehr schwierig. Heute, und das ist genau das Drama, das ist eins der vielen Dramen im Endeffekt, und irgendwo, und das zeigt unter anderem auch, wie verkehrt diese israelische Politik ist oder wie wenig Israel wirklich im Endeffekt vom Libanon versteht. Jeder, der heute öffentlich an der Hisbollah Kritik übt, ist sofort der Kollaborateur. Das heißt, es wird extrem gefährlich.
Von Billerbeck: Meinen Sie denn, dass dieser Konflikt aufzulösen ist, weil wenn die eine Seite der anderen immer vorwirft, sie habe angefangen und sie bombardiere stärker?
Borgmann: Ich denke irgendwo, es sollten sich vor allem Europa und die USA, sollten sich für einen Waffenstillstand als Erstes einsetzen. Und dann, ich meine, ich weiß, dass Israel ihn zurückgewiesen hat, die Hisbollah hat ihn teilweise auch zurückgewiesen, und so weiter. Aber irgendwo, Europa und die USA sollten Druck machen, dass es hier zu einem Waffenstillstand kommt. Weil das Ganze, was hier passiert, das ist eine, das wird zur humanitären Tragödie. Mit dieser Situation, die wir im Moment erleben, der muss einfach Einhalt geboten werden.
Von Billerbeck: Frau Borgmann, mit Ihrem Projekt "Umám Documentation and Research" kümmern Sie sich ja darum, dass Kriegserinnerung künstlerisch aufgearbeitet wird. Weckt der Beschuss durch israelische Raketen nun Erinnerungen an den Bürgerkrieg im Libanon?
Borgmann: Ja, der weckt - also ich meine, ich war nicht während des Bürgerkrieges hier. Aber bei vielen weckt der Beschuss Israels im Moment Erinnerungen an 1982, das heißt an die israelische Invasion. Ich war selber nicht hier, 1982, aber ich denke nicht, dass wir heute in der gleichen Situation sind. Aber natürlich weckt der Beschuss extreme Erinnerungen, vor allem an all das, was mit Israel zu tun hat. Die Libanesen, diejenigen, die wirklich die Invasion von '82 erlebt haben, die fühlen sich heute um 24 Jahre zurückgeworfen.
Und vor unserer heutigen Sendung konnten wir die deutsche Filmemacherin Monika Borgmann erreichen, die seit Jahren in Beirut lebt. Sie ist Leiterin des Projekts "Umám Documentation and Research". Das ist eine Nichtregierungsorganisation, die das Gedächtnis über Bürgerkrieg und Krieg im Libanon künstlerisch aufarbeitet und dabei auch versucht, diese Erinnerungsarbeit durch Beispiele aus dem Ausland zu unterstützen. "Umám" hat gemeinsam mit der Heinrich-Böll-Stiftung eine Ausstellung über Srebrenica nach Beirut gebracht. Büro und Archiv dieser Nichtregierungsorganisation liegen genau in dem Vorort Beiruts, der am stärksten unter Beschuss lag. Unsere Gesprächspartnerin war nur per Handy zu erreichen. Monika Borgmann, guten Tag nach Beirut! Wo leben Sie, seit Ihr Wohnviertel unter Beschuss liegt?
Borgmann: Ich war bis Samstagmittag, bis Samstagnachmittag war ich in Haret Hreik in unserem Haus, in unserem Büro, in all dem. Und dann wurde der Beschuss aber so unerträglich, dass ich mich doch entschlossen habe, eigentlich gegen meinen Willen, das Haus zu verlassen. Und seitdem fühle ich mich ehrlich gesagt so ein bisschen wie ein Flüchtling. Die Wohnung war sicher, aber trotzdem die Bombardements waren so laut, dass ich da auch wieder die Flucht ergriffen habe. Und seit gestern bin ich jetzt bei einer Freundin und komme wieder etwas zu mir.
Von Billerbeck: Wie müssen wir uns denn das Leben in Beirut dieser Tage vorstellen?
Borgmann: Die Beirutis selber versuchen, sich im Endeffekt zu organisieren. Das heißt, alle kaufen Vorräte ein, weil alle haben das Gefühl, dass es länger dauern kann. Alle decken sich wirklich mit, was weiß ich, mit Zucker, Mehl, Tunfisch, mit Dosen und ich weiß nicht was ein. Dann gleichzeitig ist die Stadt inzwischen voll mit Flüchtlingen, ganze Gärten sind voll damit. Dann gibt es diese Leute wie ich, die bei Freunden eine Unterkunft suchen, und irgendwie ein bisschen - ja wirklich, ich bin jetzt irgendwie mit einer Tasche die ganzen fünf Tage herumgereist. Und viele Beirutis wiederum versuchen, wenn sie irgendwie die Möglichkeit haben, versuchen irgendwo in die Berge zu gehen, weil sie sich da wiederum sicherer fühlen als in der Stadt selber. Das Ganze steuert auf eine große humanitäre Krise zu.
Von Billerbeck: Wie ist denn die Stimmung unter den Kulturschaffenden in der libanesischen Hauptstadt, seitdem da Raketen einschlagen? Kann man überhaupt noch miteinander reden?
Borgmann: Wir reden miteinander und es gibt zwei, drei Cafés im Moment, wo wir uns alle treffen. Und 48 Stunden haben genügt, um irgendwo alle Initiativen, alle Versuche, alle Mühe, alle Zeit, alles Geld, um wirklich alles zunichte zu machen. Um Ihnen ein kleines Beispiel zu geben: Es gibt eine Initiative hier, die haben letzte Woche Dienstag, einen Tag, bevor das alles anfing, haben die das erste Programmkino eröffnet mit der "La semaine de la critique" aus Cannes. Und die Regisseure, zwei, drei Regisseure, die auch in Cannes waren, sollten nach Beirut kommen. Die Eröffnung war mit einem Film am Dienstag, und das ganze Projekt ist von den Franzosen finanziert worden: 35 Milimeter, Dolby und ich weiß nicht was, das erste Programmkino in ganz Beirut. Das Ganze, Mittwochabend haben die das Ganze abgesagt. Es gibt, im August gibt es regelmäßig ein Filmfestival, ein libanesisches Filmfestival, das heißt "Né à Beyrouth", abgesagt! Es gibt das Beiteddine-Festival, es gibt das Baalbek-Festival - ist alles abgesagt! Wir haben alle das Gefühl, dass irgendwo Jahre, Jahre umsonst waren, dass plötzlich wirklich einfach alles nur weggebombt wird.
Von Billerbeck: Haben Sie denn die Hoffnung, dass das Ziel Israels, die Hisbollah zu treffen, zu schwächen oder gar zu zerschlagen, durch die Angriffe erreicht wird?
Borgmann: Leider nein. Also ich meine, ich bin die Erste, weil, ich meine, wir leben mit der Hisbollah, da, wo wir leben in Hatacheik (Anmerk. d. Red.: Wort wie gehört). Wir leben mit der Hisbollah und wenn wir Veranstaltungen hatten, die Leute von der Hisbollah haben irgendjemanden geschickt, der irgendwo beobachtet hat, was wir gemacht haben und so weiter und so fort. Aber ich meine, wir haben mit der Hisbollah zusammengelebt. Aber wir sind die Ersten, die irgendwo gegen die Hisbollah sind, und die versucht haben, einfach auch in diesem Viertel, irgendeine Alternative zur Hisbollah zu schaffen. Einfach auch dadurch, dass wir das Viertel geöffnet haben, dass Leute aus anderen Vierteln von Beirut in dieses Viertel kamen, in das sie seit Jahren nie mehr ihren Fuß, es nie mehr betreten haben und so weiter. Es ist heute zu früh zu sagen, wie die Hisbollah im Endeffekt aus dem Ganzen herausgehen wird.
Von Billerbeck: Sie leben in einem Beiruter Viertel, in dem die Hisbollah stark ist. Kann man denn derzeit noch Kritik an der Hisbollah üben, wo Israel Libanon bombardiert?
Borgmann: Das ist genau ein Punkt, der extrem wichtig ist. Und das wird wirklich sehr, sehr schwierig werden oder ist schon sehr schwierig. Heute, und das ist genau das Drama, das ist eins der vielen Dramen im Endeffekt, und irgendwo, und das zeigt unter anderem auch, wie verkehrt diese israelische Politik ist oder wie wenig Israel wirklich im Endeffekt vom Libanon versteht. Jeder, der heute öffentlich an der Hisbollah Kritik übt, ist sofort der Kollaborateur. Das heißt, es wird extrem gefährlich.
Von Billerbeck: Meinen Sie denn, dass dieser Konflikt aufzulösen ist, weil wenn die eine Seite der anderen immer vorwirft, sie habe angefangen und sie bombardiere stärker?
Borgmann: Ich denke irgendwo, es sollten sich vor allem Europa und die USA, sollten sich für einen Waffenstillstand als Erstes einsetzen. Und dann, ich meine, ich weiß, dass Israel ihn zurückgewiesen hat, die Hisbollah hat ihn teilweise auch zurückgewiesen, und so weiter. Aber irgendwo, Europa und die USA sollten Druck machen, dass es hier zu einem Waffenstillstand kommt. Weil das Ganze, was hier passiert, das ist eine, das wird zur humanitären Tragödie. Mit dieser Situation, die wir im Moment erleben, der muss einfach Einhalt geboten werden.
Von Billerbeck: Frau Borgmann, mit Ihrem Projekt "Umám Documentation and Research" kümmern Sie sich ja darum, dass Kriegserinnerung künstlerisch aufgearbeitet wird. Weckt der Beschuss durch israelische Raketen nun Erinnerungen an den Bürgerkrieg im Libanon?
Borgmann: Ja, der weckt - also ich meine, ich war nicht während des Bürgerkrieges hier. Aber bei vielen weckt der Beschuss Israels im Moment Erinnerungen an 1982, das heißt an die israelische Invasion. Ich war selber nicht hier, 1982, aber ich denke nicht, dass wir heute in der gleichen Situation sind. Aber natürlich weckt der Beschuss extreme Erinnerungen, vor allem an all das, was mit Israel zu tun hat. Die Libanesen, diejenigen, die wirklich die Invasion von '82 erlebt haben, die fühlen sich heute um 24 Jahre zurückgeworfen.