Wippchen in Bernau

Den Nerv der Zeit ins Gesicht getroffen

Ein Federkiel mit Papier und Kerze
Ein Federkiel mit Papier und Kerze © imago/Mito
Von Claus-Stephan Rehfeld |
Mit fiktiven Kriegsberichten hat "Wippchen in Bernau" um die Jahrhundertwende seine intellektuelle Leserschaft amüsiert. Er und sein Erfinder Julius Stettenheim sind fast vergessen.
"Ich gedenke, Ihnen täglich eine größere Schlacht zuliefern."
3. Mai 1877. Die Bedingungen in Bernau sind günstig. Bier und Tabak gibt es so reichlich wie Kriege. Und Wippchen ist Spezialist für Scharmützel, denn er hat bereits mehrere Eröffnungen von Bockbierausschanks mitgemacht. Die Leser warten schon schmerzlich auf seine Berichte.
"Das war ein blutiger Tag. Mit dem ersten Hahnenschrei des Sonnengottes verfügte ich mich auf das zu erwartende Feld der Ehre."
Als Kriegsschauplatzer kennt Wippchen seine Oblügenheiten, eilt von Scharmützel zu Gemenge, wo
"der Tod seine Hippe schwingt, von deren Ufern kein Wanderer wiederkehrt."
Ermattet schließt Wippchen manches Kabel nach Berlin, die Redaktion weicht keine Zeile zurück, fordert
"umgehend einen der blutigsten Zusammenstöße aus Ihrer geschätzte Feder",

Berlin amüsiert sich wie Bolle

ansonsten, so mancher werte Kollege habe sich schon empfohlen. Nun, Wippchen wird die Stellung in Bernau tapfer halten und 30 Jahre lang die Lunte an die Kriegspfeife legen - immer im Kampf mit der Heimatredaktion um einen Vor-Schuß.
"Sie wissen, wie viele Kriege ich … unter der Feder hatte, wie manchen Feind ich aufs Papier warf. Manchen Bogen Papier bedeckte ich mit Leichen, und oft genug habe ich die eisernen Würfel kein Auge schließen lassen."
Eine Mutter hatte Wippchen nie, ein Vater sandte ihn auf den Metaphernberg: Julius Stettenheim. Redakteur der "Berliner Wespen". Und wie das Wochenblatt ein Satiriker von Format. Berlin amüsierte sich wie Bolle ob der herbeigefaselten Kriegsgründe und wahrhaft erlogenen Frontberichte. Amtlichen Heroismus und gespreizte Sprache führte Stettenheim-Wippchen am Nasenring vor.
"Keiner entkam; ich befinde mich unter denselben."
Wippchen ließ Flotten ins Seegras beißen und Generäle ohne Beine nicht schwanken. Stettenheim griff die Kriegslüsternheit bei der Locke und drehte der Dummheit ein Haar.
"Solange es Haare gibt, werden sich die Völker in denselben liegen."
Das Publikum hat die Berichte verschlungen, aber nicht verdaut. Es war schon schwerhörig.
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