Wind of Change

Von Michael Meyer |
In den Ländern des Nahen Ostens ist die Pressefreiheit besonders bedroht: Von Marokko bis nach Irak steht es nicht gut um die sie, wenn auch in unterschiedlichen Abstufungen. Am Tag der Pressefreiheit diskutierte "Reporter ohne Grenzen" und der Bundesverband der deutschen Zeitungsverleger unter dem Titel "Wind of Change" über dieses Thema.
Wenn der Nachrichtensender Al Dschasira aus Khatar seine Sendungen via Satellit in fast alle arabischen Länder schickt – dann ist allein die Art und Weise, wie der Sender über Politik und Zeitgeschehen berichtet, bereits eine neue Qualität der Auseinandersetzung. Denn ganz im Gegensatz zu den gleichgeschalteten staatlichen Medien etwa in Ägypten oder in Syrien berichtet der Sender in ungewohnter Offenheit über die Zustände in den arabischen Ländern – vor allem die Diskussionssendungen von Al Dschasira, oder dem Konkurrenzprogramm Al Arabiya sind bei den Zuschauern äußerst beliebt. Das trifft natürlich nicht überall auf Gegenliebe: In vielen Ländern lässt man zähneknirschend die Programme zu – in einigen Ländern wie Saudi-Arabien oder im Iran hat man den Sender verbannt und das Einschalten unter Strafe gestellt.
Dennoch: Es bewegt sich etwas im Nahen Osten, zaghaft zwar noch, aber immerhin. Es gebe eine ganze Reihe von Anhaltspunkten dafür, sagt zum Beispiel der ORF-Korrespondent in Kairo, Karim El Gawhary. Die so genannte Zedernrevolution im Libanon etwa oder Kommunalwahlen in Saudi-Arabien seien erste vorsichtige Anzeichen für eine nachhaltigere Veränderung. Es gebe, so El Gawhary, in manchen Ländern eine offenere Debatte als früher, auch in Ägypten, wo erstmals bei der Präsidentenwahl mehrere Kandidaten antreten sollen:

" Man kann heute in vielen arabischen Zeitungen über den Präsidenten herziehen. Es ist, wenn ich mir die ägyptischen Tageszeitungen, nicht die staatlichen Zeitungen, anschaue, dann weiß man fast vorher schon, wie er zerrissen wird, das ist schon fast langweilig, wenn man die Kolumnen liest, eine einzige Mubarak-Beschimpfung von oben bis unten. Das ist eine neue Qualität. Ich glaube, wir erleben beides: Zum einen diese Hofschranzenberichterstattung, und wir haben inzwischen eine sehr kritische Berichterstattung. (...) Früher war es so: Präsidenten und Militärs waren die roten Linien, die Tabus. Diese Tabus sind absolut gefallen: Heute können sie in Kairo sich auf die Demonstration stellen und sagen: Die Zeit der Pharaonen ist vorbei. "

Dennoch müsse man sich hüten, so der ZDF-Korrespondent Ulrich Tilgner Freiheiten mit Demokratie zu verwechseln. In vielen Ländern gebe es heute zwar größere Freiheiten, aber dennoch noch keine Demokratie. Im Iran etwa sehe man die Zeichen der Veränderung unter anderem auch daran, dass immer mehr Journalisten ins Gefängnis kommen. Denn, so die etwas zynisch anmutende Logik, da sich immer mehr Journalisten etwas trauten, kämen sie auch häufiger mit der Zensur in Konflikt:

" Wenn Sie die Zahl der verbotenen Zeitungen auflisten, dann ist das natürlich immer sehr beeindruckend, aber wenn Sie hören, dass der stellvertretende Informationsminister sagt: Unter meiner Ägide sind einige zugemacht worden, aber ich habe auch 2000 neue genehmigt, dann steht das anders dar. Dass da jetzt möglicherweise ganz andere Mechanismen genutzt werden: Zum Beispiel die Subventionierung des Papierpreises wird abgebaut, das halte ich für viel dramatischer als die Inhaftierung eines Kollegen. (...) Das klingt alles furchtbar dramatisch aus der Entfernung: Wenn im Irak einer früher gesagt hat: Ich mag Saddam Hussein nicht, dann fehlte ihm zwei Tage später der Kopf, und wenn im Iran ein Journalist inhaftiert wurde und Haftverschonung bekommen hatte und kam nach Hause, dann kam möglicherweise der stellvertretende Staatspräsident, um sich mit ihm zu unterhalten. "

Dennoch ist das iranische Regime unzweifelhaft eines der autoritärsten, das nach wie vor verzweifelt um die Meinungsführerschaft in den Medien ringt.

Nach dem Irakkrieg hat sich im Nahen Osten vor allem eines verändert: Das Gefühl der herrschenden Eliten, auf ewig regieren zu können, ist dahin. Libanon, Palästina nach Arafat oder der Irak nach der ersten demokratischen Wahl – all das sind Synonyme für eine Veränderung, die irgendwann auch die anderen Länder erreichen könnte. Und dabei sei es ganz egal, so Volker Perthes von der Berliner Stiftung für Wissenschaft und Politik, woher das Demokratiemodell komme:

" Das heißt: Die Frage westliches Modell, östliches Modell stellt sich nicht, sie wollen mitbestimmen. Sie wollen auswählen, von dem, der uns regiert. (...) Ich glaub, was sich wirklich geändert hat, dass heute alle Regierungen und alle Parteien, auch Oppositionsparteien, die Legitimität gewinnen wollen in der arabischen und mittelöstlichen Welt, dass sie über Demokratie reden müssen. Das war nicht immer so: Es gab Zeiten, wo man hingehen konnte und sagen konnte. Islamische Einheit, viel wichtiger als Demokratie, Islamische Reinheit, viel wichtiger... damit kommen sie heute nicht mehr durch. Das zieht nicht mehr und das ist glaube ich ein qualitativer Sprung. "
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