William A. Ewing und Holly Roussell: "Civilization"

Atemberaubende Fotos unserer Zeit

Das Buch "Civilization" - ein Blick auf die Welt durch die Linse zeitgenössischer Fotografen.
Das Buch "Civilization" - ein Blick auf die Welt durch die Linse zeitgenössischer Fotografen. © Knesebeck / dpa
Von Eva Hepper · 16.10.2018
Wohnanlagen, die vollgepferchte Tokioter U-Bahnen oder moderne Kreuzfahrtschiffe. Mehr als 140 Foto-Künstler zeigen in dem hervorragenden Bildband "Civilization" von William A. Ewing und Holly Roussell ihre Blickwinkel auf die Welt.
Suchte man eine Fotografie als Sinnbild für den aktuellen Zustand der Welt, was würde sie zeigen? Hochhausfluchten und Elendsviertel in den globalen Metropolen? Shoppingmalls? Autobahnkreuze? Menschentrauben auf Flughäfen? Flüchtlingslager? Arbeiterinnen beim Fertigen von Billigklamotten? Genveränderte Pflanzen unter Kunstlicht? Tonnen von Plastikmüll? Roboter und Androiden? Jugendliche im Selfiemodus?

400 Aufnahmen aus den letzten 25 Jahren

Tatsächlich ist jede dieser Fotografien ein Zeugnis unserer Zeit. Ausgewählt wurden sie von den Kuratoren William A. Ewing und Holly Roussell für ihr außergewöhnlich ambitioniertes Projekt "Civilization. Wie wir heute leben". Der opulente Bildband zeigt über 400 Aufnahmen aus den letzten 25 Jahren von 140 Fotografinnen und Fotografen aus aller Welt; darunter berühmte wie Cindy Sherman, Thomas Struth oder Taryn Simon, bedeutende wie Edward Burtynsky, Lynne Cohen oder Olivo Barbieri und auch viele – namentlich weniger bekannte – Dokumentarfotografen und Newcomer.
Acht Kapitel strukturieren die große Überblicksschau. Sie thematisieren moderne Wohn- und Architekturmodelle ("Bienenstock"), Massenphänomene und soziale Vereinzelung ("Zusammenallein"), Technik, Mobilität und Kommunikation ("Fluss"), Freizeitverhalten ("Flucht"), Wirtschaft und Konsum ("Verführung"), Politik ("Kontrolle"), Bedrohungen wie Klimawandel, Terror oder Big Data ("Bruch") und Zukunftsvisionen wie Kryonik oder künstliche Landschaften ("Ausblick").

"Fotografieren heißt die Welt sammeln"

Es sind durchweg atemberaubende Fotografien, hervorragend gedruckt und meist doppelseitig abgebildet, die das eindrückliche Porträt unserer Zeit zeichnen. Manche sind äußerst drastisch wie etwa die Aufnahmen modernster Operationssäle von Thomas Struth oder der plastikdurchsetzten Körperinhalte junger Albatrosse von Chris Jordan. Andere, wie Michael Wolfs Bilder vollgepferchter Tokioter U-Bahnen oder die Reiner Riedlers von Vergnügungssüchtigen in diversen Freizeitparks regen eher zum Kopfschütteln an. Und wieder andere machen Staunen: etwa die hochästhetischen Fotografien der Greifswalder Kernfusionsexperimentieranlage "Wendelstein 7-X" von Christian Lünig oder die Aufsichten moderner Kreuzfahrtschiffe, die Jeffrey Milstein als schlanke Hochformate nebeneinander präsentiert.
Orientierung innerhalb dieser enormen bildlichen wie inhaltlichen Vielfalt bieten das Vorwort William A. Ewings und die die Kapitel einleitenden Texte von Holly Roussell. Beide erläutern die Herausforderungen einer sich immer schneller drehenden Welt – übrigens ohne Werturteil – und beschreiben zudem die Werke, Motivationen und die Arbeitsweisen der ausgewählten Fotografinnen und Fotografen. Und auch diese selbst kommen zu Wort; am Ende des Bildteils und mit eingestreuten Zitaten über die gesamten 500 Seiten hinweg.
So bekennt etwa der portugiesische Künstler Edgar Martins: "Fotografieren heißt die Welt sammeln". Nichts anderes macht dieser hervorragende Bildband in beeindruckender Weise.

William A. Ewing und Holly Roussell: "Civilization. Wie wir heute leben"
Knesebeck, München, 2018
485 Seiten, 55 Euro

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