Schriftsteller Wiktor Jerofejew

„Russland ist mehrheitlich Stalin, Putin und Iwan der Schreckliche“

11:21 Minuten
Der russische Schriftstelle Wiktor Jerofejew
Der russische Schriftstelle Wiktor Jerofejew sieht eine Untertanenmentalität seiner Landsleute. © dpa / picture alliance / Ralf Hirschberger
Wiktor Jerofejew im Gespräch mit Vladimir Balzer · 30.04.2022
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Wiktor Jerofejews Blick in die Zukunft ist düster: „Dieser Krieg hat etwas Apokalyptisches: Er dauert Jahre oder führt zu einem Atomkrieg“, sagt der russische Schriftsteller.
„Wenn zwei Zivilisationen aufeinanderstoßen, ist leider vieles möglich, auch eine Atombombe, die nicht nur auf Kiew und Lwiw fällt, sondern auch in die Ostsee vor Deutschland“, sagt Wiktor Jerofejew. Er gehört zu den renommiertesten Schriftstellern Russlands und sieht einen grundlegenden Konflikt zwischen der russischen und der westeuropäischen Zivilisation.
„Wenn es die richtige Diplomatie gibt, dann könnte man diesen Krieg anhalten, ganz stoppen wird man ihn nie können, weil Putin eine Niederlage nie akzeptieren würde. Bisher laufen die Gespräche aber sowieso schlecht", sagt Jerofejew.

85 Prozent der Russen unterstützen Putin

Sein Blick in die Zukunft ist düster, auch weil er selbst nicht weiß, wie diese Verhandlungen wieder aufgenommen werden können. Jerofejew hat seine Heimat mittlerweile verlassen, weil er „weg muss von diesen Lügen in Russland“. Er wohnt zurzeit in Deutschland.
Der Schriftsteller beklagt die Untertanenmentalität seiner Landsleute. Seiner Einschätzung nach unterstützen 85 Prozent der Bevölkerung immer schon die Macht, sei es der Zar, der Generalsekretär der Kommunistischen Partei oder eben jetzt Putin und dessen Politik. Nur 15 Prozent sind anderer Meinung. Diese haben entweder das Land verlassen oder haben Angst.

Putin sitzt fest im Sattel

Die vielen Sanktionen, die der Westen gegen Russland verhängt hat, seien diesen 85 Prozent im Grunde egal, sagt Jerofejew: Politische Isolation sei für diese Mehrheit keine Kategorie. Letztlich könne der Westen „nichts, gar nichts“ tun, um Putins Machtbasis zu erschüttern. 
„Klar, es gibt ein paar praktische Probleme wie zum Beispiel Computertechnik, die man nicht mehr kaufen kann“, so Jerofejew, „aber die meisten Russen sagen sich: Ja, Gott, so ist es halt, trinken ein Gläschen, lesen ein Buch und spucken auf den Westen. Es ist in Russland gar nicht zu vermitteln, dass in der Ukraine um die Demokratie gekämpft wird, denn in Russland gab es nie Demokratie.“
Der Westen liebe zwar die russische Kultur, „aber diese zahlt eher auf das kulturelle Konto des Westens ein", meint Jerofejew, "nicht auf das russische. Alle sagen Tschaikowsky, ja, aber Russland ist mehrheitlich Stalin, Putin und Iwan der Schreckliche. Die sind stärker als die russische Kultur".

 Gescheiterte Appeasement-Politik des Westens

Jerofejew macht auch die europäische Appeasement-Politik seit dem Georgien-Krieg 2008 gegenüber Putin für die aktuelle Situation mitverantwortlich: „Westliche Politiker fuhren immer wieder nach Moskau. Angela Merkel tat dies auch oft. Jede Reise hat Putin weiter gestärkt", erklärt Jerofejew. Jetzt sei es zu spät. „Jetzt greift sich der Westen an den Kopf.“
Die Lieferung schwerer Waffen werde Putin „vor allem dann beeindrucken, wenn er merkt, dass immer mehr russische Soldaten sterben", vermutet der Autor. "Dieser Krieg hat etwas Apokalyptisches: Er dauert Jahre oder führt zu einem Atomkrieg.“

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