Wiener Kongress

Beethovens Haare und Metternichs Aprilscherz

Ludwig van Beethoven wurde am 17.12.1770 in Bonn geboren.
Ein Kapitel von David Kings Buch "Wien 1814" beginnt mit Beethovens struppiger äußerer Erscheinung © picture-alliance / dpa
Von Stephan Speicher  · 06.12.2014
Für die öffentliche Meinung hat der Historiker David King kein Ohr - dabei hat doch das Volk um 1814 erstmals die Politik entscheidend bestimmt. Der Autor verliert sich in Anekdoten und Histörchen.
Wiener Kongress 1814/15: Für eine mythologische Szene musste ein österreichischer Husarenoffizier auf Geheiß der Kaiserin den Schnurrbart abrasieren, um den Apollo zu spielen. Talleyrand, Leiter der französischen Delegation, trug des Nachts Flanellbinden, Strümpfe, Unterhosen, Westen und weiteres. Das sind Schnurren, von denen David Kings Buch "Wien 1814" nur so wimmelt.
Wer einen Eindruck von den Bällen, Schlittenpartien, Jagden, Diners, Paraden Gottesdiensten, Schauspielen bekommen möchte, ist hier richtig. Der amerikanische Historiker trägt allerhand kulturgeschichtliches Material herbei. Das meiste ist nicht ganz neu, es stammt aus den bekannten Quelleneditionen und Darstellungen. Aber nicht das ist das Problem des Buches.
Erzählt King gut? Er erzählt munter vor sich hin, mit kräftigen Urteilen: Napoleon ist der "geniale Wahnsinnige", Wien die "dekadente Habsburgerhauptstadt" und Metternichs reichsgräfliche Familie passte "ins Beuteschema" der französischen Revolutionsarmeen.
Aber was sich zwanglos liest, folgt einer so straffen wie schlichten Ordnung: der strengen Chronologie. Die wird nicht richtig deutlich, aber um ihretwillen zerreißt King immer wieder gedankliche Zusammenhänge.
Deutsche Frage bleibt links liegen
Da beginnt ein Kapitel mit Beethovens struppiger äußerer Erscheinung – über die Musik weiß der Autor nichts zu sagen –, geht über höfische Jagden zum Problem der italienischen Staaten, dann zur deutschen und der Schweizer Frage bis zu einem aufwendigen Ritterspektakel. Selbst Napoleons Rückkehr von Elba nach Frankreich und die Inbesitznahme Frankreichs wird hier durchschossen von Liebesaffären – und dann naht auch schon ein Aprilscherz Metternichs.
Weil der Autor so unbeirrt auf dem Zeitstrahl vorwärtsstiefelt, nimmt er sich keine Zeit, an wichtigen Punkten ausführlicher zu werden. Es gelingt ihm nicht, den allerdings höchst verwickelten Stoff zu disponieren. So gehen auch die Überlegungen, die er anstellt, gleich wieder unter in den Anekdoten, die danach an der Reihe sind.
Buchcover: David King - "Wien 1814. Von Kaisern, Königen und dem Kongress, der Europa neu erfand"
Buchcover: David King - "Wien 1814. Von Kaisern, Königen und dem Kongress, der Europa neu erfand"© Piper Verlag
Das aber liegt nicht allein an dem gewählten Darstellungsprinzip. Es liegt auch an dem analytischen Unwillen, der Begriffsschwäche Kings.
Er sieht nicht die fundamentalen Interessen, die Existenzbedingungen, Hoffnungen und Zwänge der Staaten. Er sieht aber auch nicht die neuen Ideen und deren Ansprüche. Das Legitimitätsprinzip der alten Monarchien, die auf dem Wiener Kongress um ihre Bestätigung oder Wiederherstellung kämpfen, es steht gegen Nation und Volksrechte.
Das beschäftigt King nicht, obwohl doch selbst Talleyrand, der stärkste Vertreter der Legitimität, das neue Argument kennt und benutzt – und zuletzt dran scheitert, als deutlich wird, dass sein Herr, Ludwigs XVIII., Frankreich nicht hatte hinter sich versammeln können. Kein Wunder, dass King kein Ohr hat für die öffentliche Meinung, die doch zum ersten Mal die Politik entscheidend bestimmt.
Und dazu passt auch, dass er die deutsche Frage links liegen lässt, die nach dem künftigen Zusammenhang jener Länder, die einmal das Heilige Römische Reich gebildet hatten.

David King: Wien 1814. Von Kaisern, Königen und dem Kongress, der Europa neu erfand
Aus dem Amerikanischen von Helmut Dierlamm, Hans Freundl und Norbert Juraschitz
Piper Verlag München, 01. September 2014
512 Seiten, 29,99 Euro

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