Wiederentdeckte Schellack-Raritäten

Der Lack ist noch lange nicht ab

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Eine Illustration zeigt ein Grammophon.
Überall auf der Welt wurden Schellackplatten aufgenommen. Das Projekt "Excavated Shellac" will auf diese Vielfalt aufmerksam machen. © imago images/agefotostock/Zeferli
Von Arndt Peltner · 15.02.2021
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Hier kennen sie höchstens noch Grammophon-Liebhaber. Doch in vielen anderen Teilen der Welt wurde noch sehr viel länger auf Schellackplatten gesetzt. Ein kleines US-Label hat jetzt rund um den Globus 100 Raritäten gesammelt und veröffentlicht.
"Excavated Shellac" heißt die neueste und rein digitale Veröffentlichung des kleinen amerikanischen Indie-Labels Dust to Digital, das sich seit Jahren auf geschichtlich wichtige Musikveröffentlichungen konzentriert, darunter auch mehrfach grammynominierte und ausgezeichnete Boxsets - und nun eine Veröffentlichung, die ein ganz neues Licht auf die leicht zerbrechlichen Platten wirft.

"Wir haben den Umfang bis heute nicht verstanden"

"Auf was ich mit dieser Sammlung hinweisen will, ist, dass die Schellackplatten nicht verschwunden sind. Es ist nur so, dass die meisten Leute das einfach nicht wahrhaben wollen", sagt Jonathan Ward.
Er lebt in Los Angeles und hat das digitale Boxset "Excavated Shellac" zusammengestellt: eine 100 Songs umfassende Sammlung von Raritäten, die mit einem 186-seitigen PDF kommt. Darauf findet sich Musik aus aller Welt, die auf Schellackplatten, sogenannten 78ern, veröffentlicht wurde:
"Die globale Musikindustrie mit 78ern war wirklich gigantisch", erzählt er. "Aber wenn man von 78ern liest, dann dreht sich meistens alles um amerikanischen Jazz, Country, R ’n’ B oder klassische Musik. Aber die Industrie war riesig und über alle Kontinente verteilt. Wir haben das bis heute nicht verstanden und untersucht, welchen Umfang das alles hatte und was nun nahezu verschwunden ist."

Grammophone in Regionen ohne Strom noch lange wichtig

Bis zum Zweiten Weltkrieg war die Industrie fest in der Hand multinationaler Konzerne aus den USA und Europa. Bekannt sind auch Plattenfirmen, wie die deutsche Beka, die zum Beispiel in Istanbul und Kairo aufnahmen. All das änderte sich nach Kriegsende, als man im Westen mehr und mehr auf die 45er und die LP setzte.
"Aber das war nicht der Fall in Afrika und weiten Teilen Asiens", erklärt Ward. "Dort wurden weiter Schellackplatten produziert, denn die nicht-elektrischen Grammophone und die Jukeboxes waren noch immer gefragt."

Ein Klangbild der Welt

Auf "Excavated Shellac" hat Jonathan Ward ein musikalisches Klangbild der Welt gezeichnet, aufgenommen auf Schellackplatten, die noch in einigen Ländern bis in die 1970er-Jahre produziert wurden. Aufnahmen, die vergessen schienen, doch hier beeindruckend und mit klarer Klangqualität präsentiert werden und Neugier auf die weite Musikwelt da draußen machen.
"Ich wollte mit der Veröffentlichung zeigen, wie wir die ganze Breite der globalen Aufnahmeindustrie bislang nicht erfasst haben. Und das bleibt auch so, bis wir alles hören können. Wir dürfen nicht urteilen: Das hier ist das Beste oder das hier ist nicht so gut. Man darf solche Urteile nicht fällen, wenn Millionen von Aufnahmen nicht verfügbar sind. Die meisten von uns wissen gar nicht, was alles aufgenommen wurde, oder, was man heute noch finden kann."

Ganz bewusst als Download herausgebracht

Für diese jüngste "Dust to Digital"-Veröffentlichung hat Jonathan Ward sein umfangreiches Archiv in fünfjähriger Recherchearbeit durchforstet, Lieder ausgewählt, dazu all die wichtigen Informationen und Geschichten für das Begleitbuch zusammengetragen. Einen Lieblingssong unter den 100 ausgewählten Liedern hat er nicht:
"Ich habe einige, die, wie ich finde, wichtig für diese Sammlung sind, weil die meisten von uns im Westen oder diejenigen, die sich die Lieder anhören, nicht wissen, dass es sogar in Mauretanien, auf Mauritius, auf den Okinawainseln eine Plattenindustrie gab. Orte, die eine lebhafte Musikkultur hatten, mit 78ern und Plattenfirmen."
"Excavated Shellac" ist bei dem wunderbaren US-Indepent-Label "Dust to Digital" als Download erschienen, ganz bewusst. Denn somit kann, so Jonathan Ward, auch garantiert werden, dass in jenen Ländern, die hier in dieser Sammlung vorkommen, diese Musik wieder gehört werden kann. Eine Vinyl- oder eine CD-Box wären zu teuer und wahrlich nur für Sammler in den USA gewesen.
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