Schallplatten-Cover

Die Liebe zum gestalteten Objekt

29:51 Minuten
Die Beatles (von links nach rechts) George Harrison (1943 - 2001), Ringo Starr, John Lennon (1940 - 1980) und Paul McCartney halten die Hülle ihrer neuen LP "Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band" am 19. Mai 1967.
Die Platte wird zum Kunstobjekt: Die Beatles präsentieren 1967 ihr "Sgt. Pepper's"-Album, das als erstes Konzeptalbum gilt. © Getty Images / John Downing
Von Tobias Barth und Lorenz Hoffmann · 16.12.2020
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Musik ist allgegenwärtig geworden. Die Sinnlichkeit bleibt bei den Thumbnails auf unseren Smartphones aber oftmals auf der Strecke. Vinylfreude hören auch mit ihren Augen und Händen – ein großes Schallplatten-Cover ist für ihren Genuss unverzichtbar.
Was fällt Ihnen ein, wenn Sie "Dark Side of the Moon" hören, das Album von Pink Floyd aus dem Jahr 1973? Vermutlich nicht wenigen von Ihnen dieses Bild: Ein heller Lichtstrahl, gebrochen durch ein Prisma, verwandelt sich in viele Strahlen in den Farben des Regenbogens - das Plattencover des Albums. Eines von vielen auratischen Kostümen des Klangs.
"Ein Album ist auf jeden Fall ein Gesamtkunstwerk", sagt der aus Rendsburg stammende Fotograf und Kurator Arne Reimer. "Es gab einen Fotografen, einen Grafiker, einen Produzenten. Die haben sich alle was dabei gedacht. Oftmals wurden Schallplatten, wenn man sie aufklappen konnte, auch zu so einem kleinen Buch. Das kann eine digitale Datei eben wirklich nicht."

Der Vater des gestalteten Plattencovers

Was die wenigsten Musikliebhaber wissen: Das Motiv auf der legendären Schallplattenhülle von Pink Floyd spielt auf eine Schallplattenhülle aus den 40er-Jahren an, geschaffen vom Designer Alex Steinweiss für Columbia Masterworks: Beethovens Klavierkonzert Nr. 5 in E-Dur.
Auf diesem Cover lässt der Grafiker den Lichtstrahl aus der Tiefe des Raumes auf einen Konzertflügel treffen. Das Instrument bricht das Licht in die Spektralfarben, fächert den Strahl auf und leitet ihn breiter werdend in den Vordergrund. Die Farbenvielfalt lässt das ansonsten schwarze Albumcover leuchten.
Alex Steinweiss gilt in der Musikgeschichte als Erfinder der gestalteten Schallplattenhülle. Der Designer hatte 1940 die Hülle für die "Smash song hits by Rodgers & Hart" bedrucken lassen, eine Hit-Collection zweier Broadway-Stars. Dieses erste Album-Cover zeigt eine stilisierte nächtliche Szene am Broadway – ganz konzentriert auf die Schrift.
"Wie das zustande kam ist eigentlich eine ganz schöne Geschichte", erzählt Arne Reimer:
"Steinweiss hatte eben die Idee: Wir kennen das ja von Amerika, diese Leuchtreklame, die oftmals außen an Theatern an so einem Vorbau zu sehen ist. Um dieses Foto zu machen, hat er, nachdem dort eine Vorstellung lief, nachts noch mal mit den Elektrikern gesprochen. Die haben es extra noch mal für ihn und den Fotografen eingeschaltet. Ich weiß zwar nicht, ob er es selber fotografiert hat, aber ich glaube schon. Aus dieser in Ruhe fotografierten Werbung wurde dann dieses Bild, das erste Schallplattencover. Man spricht dann eben auch von einem Album, weil das damals oftmals wirklich so kleine Platten-Bücher waren, in denen sich zwei oder drei Platten befanden."

Eine zweite Ebene des Musikhörens

Die Verkaufszahlen solcherart verpackter Alben schossen in die Höhe, erzählt Arne Reimer:
"Das Erlebnis Musikhören bekam eine zweite Ebene. Das fing schon mit dem Betrachten an und mit dem Entblättern aus der schön gestalteten, zum Körper des Klangs passenden Hülle. Und natürlich kopierten andere Plattenfirmen diese Idee."
Von da an schrieben Plattencover die Musikgeschichte mit, prägten das Image von Musikern, Plattenfirmen oder ganzen Stilrichtungen. Natürlich gab es – wie bei fast allen großen Erfindungen – auch Vorläufer des Plattencovers.
"Ich würde sagen, ab 1940 hat man es dann so genannt", erklärt der Musikjournalist Claus Fischer. "Aber es gab natürlich diverse Vorformen. Es ist schwierig zu sagen, wer genau das Plattencover erfunden hat. Es gab schon im Deutschen Reich zu Kaisers Zeiten Platten Ihrer Majestät, die dann in einer Schmuckdose mit Konterfei des Kaisers verkauft wurden. Da kann man rein theoretisch auch schon 1915 vom Plattencover sprechen. Aber es wurde natürlich nicht so genannt. Es ist eben ein schleichender Prozess, der dann irgendwann ins Cover, wie wir es heute kennen, gipfelte. Es gibt eine Art Übergangsstadium zwischen neutralen Plattenhüllen und Plattencovers, die so in der Zeit kurz vor 1930 in Gebrauch waren, nämlich die Plattenhülle mit Werbung für das jeweilige Label."

Im Anfang war die Werbung

In Claus Fischers Wohnung in einem Leipziger Jugendstilhaus stehen mehrere Grammofone und vor allem Regale über Regale voller Schellackplatten. In schlichtem Packpapier – streng genommen keine Plattencover.
"Ich habe hier eine Telefunken-Platte: Bernardo Alemany mit seiner Tango Kapelle, zwei argentinische Tangos. In Deutschland bei Telefunken in Berlin gepresst. Und auf der Hülle hat Telefunken gleich noch Werbung für seine eigenen Radiogeräte gemacht, hier also Werbung für den Telefunken Meistersuper: 'Ein Super auf allen Wellen. Er meistert sie alle leicht' und auf der Rückseite ist das Markenzeichen von Telefunken. Da konnte man aber jede Telefunken-Platte reinpacken. Die Werbung ist also nicht spezifisch auf dieser Telefunken-Tango-Platte."
Claus Fischer sammelt seit 30 Jahren Schellackplatten. Er findet sie auf Flohmärkten, in Antiquitätenläden, beim Trödler an der Ecke. Ihm geht es um die Musik, nicht um die Hüllen – denn in fast allen Fällen sind die Hüllen äußerst schlicht: braunes unbedrucktes Packpapier, manchmal auch etwas stabilerer Karton. Umso mehr stechen die bedruckten Plattenhüllen der Schellack-Ära heraus:
"Ich würde sagen, es ist schon eine Vorstufe, dass die Plattenfirmen die Hüllen dafür genutzt haben, um für sich Werbung zu machen: 'Doppelte Freude am Rundfunkapparat durch eigene Sendung mit Telefunken Schallplatten'. Das dürfte von 1929 oder 1930 sein. Der Meistersuper war natürlich noch erheblich teurer als der Volksempfänger der Nazis. Das war noch sehr aufwendig, aber da gab es natürlich auch schon die ersten Geräte, die mit dem Grammofon oder auch mit den Vorformen des elektrischen Plattenspielers gekoppelt waren. Aber es gab eben keine Hüllen in der Zeit, die auf den Interpreten oder auf die Musiktitel hingewiesen haben - oder so gut wie nie."
Claus Fischer sitzt auf dem Boden seiner Wohnung und hält eine seiner Schellack-Raritäten mit Radiowerbung in die Kamera.
Schellack-Sammler Claus Fischer und der Telefunken Meistersuper. © Deutschlandradio / Tobias Barth
In einem Grammofonschränkchen zwischen Jugendstil-Plüschsofa und Art-Deco-Stehlampe bewahrt Claus Fischer die für ihn besonders wertvollen Raritäten auf. Stücke, die Musikgeschichte erzählen. Oder eben die Geschichte der Musikverpackung:
"Das ist dann quasi schon die nächste Stufe in Richtung Cover, dass man also nicht nur das Etikett auf der Platte selbst hat und außen die Werbung für die Firma, sondern dass man auch noch einen Textzettel beigegeben hat. Hier etwa vom Label Christschall, das finanziell von den katholischen Bistümern in Deutschland unterstützt wurde. Deren Schwerpunkt lag also bei geistlicher Musik katholischer Provenienz.
Die waren damals relativ fortschrittlich: Die haben ihr Logo außen. Da sieht man Organisten an der Orgel sitzen und den Schriftzug Kristall mit dem stilisierten Kreuz. Auf der Platte ist die stilisierte Tiara, also die damalige Kopfbedeckung der Päpste. Die Platte enthält einen gregorianischen Choral und es ist ein Textzettel beigegeben. Da ist die marianische Antiphon 'Salve Regina' drauf, dann konnte man den Text lesen: 'Salve Regina, Mater Misericordia' und danaben auch die deutsche Übersetzung: 'Gegrüßet seist du, Maria'. Ich würde sagen, das ist dieses Übergangsstadium zwischen neutraler Plattenhülle und richtigem Plattencover: Man hat also die Firmenidentität auf der Hülle und einen Textzettel, der sich tatsächlich auf den Inhalt der jeweiligen Platte bezogen hat."

Die Zeit der Revolutionäre

Springen wir 20 Jahre weiter: in die große Ära der Porträtfotografie auf Plattenhüllen. Der Fotogaf Arne Reimer hat in zwei großformatigen Büchern seine "American Jazz Heroes" porträtiert. Und natürlich sammelt auch er Schallplatten – seine stammen aus der Vinyl-Ära.
"Hier ist jetzt dieses bekannte Foto von Chet Baker. Das gibt es auch in Farbe, aber hier ist es in Schwarz-Weiß. Das heißt dann 'Chet Baker and Crew'. Wir sehen Chet Baker, wie er an der Reling steht, sehr demonstrativ nach oben gerichtet die Trompete spielt und sich mit dem linken Arm am Segel festhält. Er ist wie so eine Art Anführer von seiner Crew umgeben. Unten kniet relaxt seine Band. Das ist ursprünglich ein Farbfoto für Pacific Records gewesen. Und William Claxton war von Anfang an dabei als Gestalter, aber eben auch als Fotograf."
"Jazz ist das beste Beispiel dafür, um zu sehen, dass sich in der Gestaltung etwas tut. Man darf nicht vergessen, dass Jazz damals die populärste Musik war. Alex Steinweiss hatte angefangen, seinen Namen unter die von ihm gestalteten Cover zu setzen. Andere taten das auch: Paul Bacon, Gil Mellé - die haben alle ihren Namen ganz klein drunter geschrieben. Und dann kam 1954 Reid Miles, der hat auch seinen Namen auf die Hülle geschrieben, wenn er es mit seiner brachialen Art, mit Typografie umzugehen, gestaltet hat: Buchstaben groß machen, andere Schriften beschneiden oder auch Fotos ganz hart beschneiden, um Fläche und Raum zu geben. Um eben der Musik gerecht zu werden, ganz avantgardistisch. Dadurch hat Reid Miles die Plattencovergestaltung in den 50ern nochmal revolutioniert. Er hat das komplett anders gemacht als damals gängig."

Zwischen Gebrauchsgrafik und Kunst

Arne Reimer hat an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig gelehrt. Schallplattenhüllen bewegen sich in diesem Feld zwischen Gebrauchsgrafik und Kunst.
Sehr schön, sagt Arne Reimer, lässt sich das zeigen am New Yorker Jazzlabel Blue Note Records. Die Alben spielen oft mit monochrom eingefärbten Porträtfotos der Musiker, aufgenommen von Werbefotograf Frank Wolff und sehr modern bearbeitet vom Art Director des Labels, Reid Miles.
"Das ist zum Beispiel eines meiner Lieblingsalben. Dafür hat Francis Wolff den Orgelspieler Larry Young in Paris fotografiert, vor dem Gebäude der UNO, wenn ich das richtig weiß. Interessant ist, dass Wolff Larry Young nur sehr, sehr klein am unteren Bildrand aufgenommen hat. Man würde ja denken, dass da ganz viel Fläche in der Mitte ist, wo man die Schrift draufsetzen könnte. Aber was macht der Grafiker? Er setzt die Schrift oben in einen weißen, circa fünf Zentimeter breiten Balken. Er gibt dem Auge ganz viel Freifläche, um herumzuwandern und Dinge zu entdecken. Er gibt dem Auge sehr viel Freiraum. Und das ist natürlich auch in der improvisierten Musik des Jazz sehr, sehr wichtig: Improvisation braucht Freiraum. Das spiegelt dieses Albumcover sehr gut wider."
Manche dieser extravaganten Plattencover der Jazz-Ära schaffen es in die Galerien und Kunsträume. Bezeichnenderweise sind es gerade solche, die den großen Foto- und Porträtboom dieser Jahre konterkarieren, erzählt Reimer. "Sunny Side Up" von Lou Donaldson etwa.
"Da ist das Wort oben ganz groß zu sehen: weiße Schrift auf schwarzem Grund. Hier wurde gar kein Foto verwendet. Ich habe das neulich in einer Ausstellung im Museum of Modern Art in New York gesehen: Damals war das natürlich Gebrauchsgrafik. Aber rückblickend wurde verstanden, dass dies eine sehr hohe Form der Grafik und der Kunst war. Die war zwar ursprünglich als Gebrauchsgrafik gemeint, hat dann aber ihren Weg ins Museum gefunden, wie das bei gewissen Möbeln oder anderen Gebrauchsgegenständen, wie zum Beispiel Stereoanlagen, ja auch der Fall war."
Derweil legt uns Claus Fischer eine weitere Platte auf und zwar "eine Platte mit deutschen Volksliedern, gesungen von der Berliner Liedertafel. Da sind die Berliner Philharmoniker mit dabei. Eine Edition "Das deutsche Lied", ich schätze so Mitte der 30er-Jahre. Ich denke, da hat die Firma Telefunken auch versucht, sich beim neuen Zeitgeist anzubiedern: patriotische Lieder, mit von Dr. Otto Hönig gesprochenen Texten. Dazwischen singt die Berliner Liedertafel Volkslieder, begleitet von den Berliner Philharmonikern. Das ist sehr aufwendig gestaltet."
Unter den Raritäten des Schellack-Sammlers Claus Fischer findet sich ein grafisch erstaunliches Album.
"Vorne drauf ist eine Burg und eine Mühle, also eigentlich der Inbegriff der deutschen Landschaft. Man klappt es auf, links ragt dann das Ulmer Münster heraus, rechts hat man den Hafen – das könnte Kiel oder Bremerhaven sein. Im Hafen sind Schiffe und auf der Rückseite ist ein deutsches Mädel im Wald. Der deutsche Wald darf natürlich nicht fehlen.
Man hat hier wirklich schon vier aufwendig bedruckte Bildseiten als Beigabe zu dieser Volksliedplatte. Und es ist ja so: Eine Plattenseite hat damals etwa fünf bis fünfeinhalb Minuten Spielzeit. Wir haben also sicher etwa zehn Minuten Speicherkapazität, und da hat man dann versucht, möglichst viele deutsche Volkslieder drauf zu bringen. Und die patriotischen Texte dienten natürlich dem, diese Volkslieder untereinander zu verbinden. Ich denke, ohne den Zweiten Weltkrieg hätte sich auch um 1940 ein Deutschland-Cover serienmäßig entwickelt. Zu dieser Zeit war es aber immer noch ein Sonderfall."

Seit den Beatles ist alles möglich

Nach dem Zweiten Weltkrieg dauerte es nicht lange, bis der Schallplattenspieler in vielen deutsche Haushalten zum Standard gehörte. Schlager, Operetten und Jazz dominierten die 50er-Jahre, dann kam der Rock’n’Roll und der Beat.
"Bei dem 'Revolver'-Cover sehen wir vier gezeichnete Köpfe und eine Fotocollage von Fotografien der Beatles", erklärt Arne Reimer. "Bisher war es eigentlich immer so, dass entweder eine Gruppe einheitlich fotografiert wurde oder ein einzelner Kopf das Produkt den Inhalt der Schallplatte repräsentieren sollte."
"Aber hier war es jetzt schon eine Mischform aus Zeichnungen und Fotografie, die fast, aber noch nicht ganz psychedelisch wirkt. Man merkt, dass da eine Aufbruchstimmung herrscht, dass man andere Formen der Covergestaltung suchte, die eher unkonventionelle Wege gehen wollte Das ist jedenfalls mein Eindruck. Man hat es ja auch durchaus mit einem Vorreiter des Konzeptalbums zu tun. Ein Jahr später, 1967, kam das Beatles-Album, das von der Kunstgeschichte als das Konzeptalbum schlechthin bezeichnet wurde: 'Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band". Das war der Durchbruch. Ab da an war alles möglich."
Der Geist ist aus der Flasche: Immer aufwändigere und experimentellere Grafiken schmücken die Schallplattenhüllen im Format zwölf auf zwölf Zoll oder 31,5 auf 31,5 Zentimeter. Künstler wie Andy Warhol entdecken das Format für sich – und sprengen es.
"Die Rolling Stones, das berühmte Schallplattencover mit dem Original-Reißverschluss, entworfen von Andy Warhol. Die Schallplatte selbst hat eben einen Reißverschluss, den man auf- und wieder zumachen kann. Angeblich ist es Joe Dallesandro, dieses Model aus Warhols Factory. Auf der Rückseite sehen wir den Hintern. Und, ja, das Album heißt 'Sticky Fingers', eine der bekanntesten Schallplatten der Rockgeschichte."

Die Stars werden lebensgroß

13 Jahre später präsentiert die Fotografin Annie Leibowitz den Hintern von Bruce Springsteen auf der Vorderseite von dessen Cover zu "Born in the USA". In der gesamten Ära des Rock und Pop gibt es zahllose Beispiele für Provokationen und Versuche, das Cover immer wieder neu zu erfinden:
"Hier ein Album von Isaac Hayes, das man in jegliche Richtung aufklappen kann. Und dann hat man zum Schluss fast ein riesiges Poster in Form eines Kreuzes. Darauf sieht man dann den Hände ausstreckenden Isaac Hayes, Black Moses. Wahnsinn, lebensgroß. Fast, nicht ganz. Und ich glaube, das war schon so gemeint, dass man sich das in der Wohnung auch aufhängt. So wie später den 'Bravo'-Starschnitt."
Auch die Queen of Pop erscheint lebensgroß in den Jugendzimmern ihrer Fans. Madonna schafft es, ihren Fans einen Starschnitt in Lebensgröße mitzuliefern. "True Blue" heißt das legendäre Album:
"Das ist so groß, dass es fast wie eine Bettdecke wirkt mit dieser Werbung für ihre Tour 1987: London, Frankfurt, Paris. Wieder mit dem Foto von Herb Ritts. Wunderbar, großartig."

Ästhetische Experimente in der Mangelwirtschaft

Ungewöhnliche Formate und Materialien sind nicht immer nur ein Ausdruck des Strebens nach Originalität, sondern manchmal auch des Mangels. 1972 wollte die ungarische Hard-Rock-Band Omega ein Live-Album veröffentlichen. Aber die Pappe war knapp. In der realsozialistischen Planwirtschaft war Papier kontingentiert und wurde am liebsten für Propagandamittel benutzt. Aber "die Platte sollte kommen", erklärt der Leipziger Kultursoziologe Bernd Lindner.
"Ungarn war schon immer liberaler gegenüber dieser Musik, Omega war ja beizeiten so etwas wie eine Vorzeigeband. Und wie das so üblich war in der Mangelgesellschaft: Man kannte einen, der kannte einen. Und dann kannte man jemanden, der arbeitete in einer Aluminiumfabrik. Die haben Folien gemacht. Und dann kam die Idee mit dem Siebdruck: Dann nehmen wir halt Aluminium und so entsteht eine Kultplatte, die in der Verpackung vergleichsweise einmalig war. Ich habe sie leider nicht mehr. Wer die Platte heute hat schon ein kleines finanzielles Gewicht."
Bernd Lindner war Lehrling und konnte die Platte im ungarischen Kulturzentrum in Leipzig erstehen. Wobei erstehen im Zusammenhang mit Schallplatten für die DDR ein zutreffendes Wort ist.
"Einmal im Monat gab es so eine Schlange an den Plattenläden, wenn es Lizenzplatten gab. Da stellte man sich an, egal, was es gab. Hauptsache, man kriegte eine und zur Not könnte man sie ja noch kaupeln."
16 Mark und 10 kostete eine solche beim staatlichen Produzenten Amiga in Lizenz von westlichen Labels vertriebene Platte. Der Preis für die reichlich vorhandenen Klassikplatten der Marke Eterna lagen bei 12 Mark und 10, genauso wie für die Eigenproduktionen von DDR-Bands.
Bei der Band Silly mit Frontfrau Tamara Danz musste sich Bernd Linder auch anstellen:
"Das ist eins der schönsten Cover, die Amiga je produziert hat. Die Platte ist auch gut. Das Cover ist einfach so originell, dass ich das hier vorne stehen habe. Und immer, wenn ich mich in Richtung zum Plattenspieler bewege, strahlt mich Tamara an. Das heißt, eigentlich strahlt sie nicht. Eigentlich ist es ja ein etwas gruseliger Effekt mit dieser Blutspur, die ihr da übers Gesicht läuft. Aber es ist grafisch einfach perfekt gestaltet. Da ich eine Affinität zur Kunst und Gestaltung habe, habe ich das nicht von ungefähr da vorne stehen."

Schwarzer Humor in grün

Als Silly in den 80er-Jahren zur populären Band wurde, arbeitete Bernd Linder als Kultursoziologe am Zentralinstitut für Jugendforschung der DDR. Später wurde er Direktor am Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig und hat dort viele Ausstellungen zur Ost-West-Geschichte kuratiert – auch eine über Rock und Pop. Zu den emblematischen Covern des Jahres 1989 zählt Linder das von Feeling B. – einer der sogenannten "anderen Bands", aus denen Rammstein hervorging. Die Platte heißt "Hea Hoa Hoa Hea Hea Hoa".
"Das war ja die Spitze des schwarzen Humors, obwohl die Platte grün ist. Sie haben einfach nichts weiter genommen als das gängige Fluchtschild, das heute noch international gültig ist. Ein Mann, eine Figurine, die durch eine aufgeschlagene Tür ins Freie rennt. Heute würde man sagen, was das denn soll. Aber damals hat sich alles vor Begeisterung auf die Schenkel geschlagen, dass die denen das untergejubelt haben. Und dass das durchgegangen ist. Das war ja im Jahr ’89, die große Fluchtwelle. Das war das Zeichen, dass alle auf und davon sind. Das waren die pfiffigen Dinge, die möglich geworden sind."

Musik wird handlich - die Cover schrumpfen mit

Parallel zur Zeitenwende 89/90 vollzieht sich auch in der Musikindustrie ein Wandel. Inzwischen haben Musikkassette und CompactDisc der Schallplatte Konkurrenz gemacht und laufen ihr den Rang ab.
Die Kassette und ihr Abspielgerät, der Walkman, machen die Musik tragbar, die CD punktet mit knisterfreiem Klang und dem Vorteil, dass man sie nicht wenden muss. Das handliche Format aber geht auf Kosten der Gestaltungsmöglichkeiten, erzählt Arne Reimer:
"Hier mal ein Beispiel bezüglich der Haptik: das berühmte weiße Album der Beatles, das vorne eine geprägte Schrift hatte, die man mit den Fingern fühlen konnte. Das hat eine CD natürlich nicht wiedergeben können. Da ist der Schriftzug 'Beatles' vorne grau aufgedruckt. Die Prägeschrift gibt es nicht mehr. Erst ein bisschen später hat man noch mal eine neue Version auf den Markt gebracht, die mit einer fühlbaren Prägeschrift kam. Aber das ist natürlich etwas ganz anderes, weil die Größe komplett anders ist."

Klassiker müssen fürs Netz neugestaltet werden

Inzwischen hat der Schrumpfungsprozess eine neue Stufe erreicht: Statt der zehn mal zehn Zentimeter eines CD-Covers sind die Thumbnails für das Smartphone nur noch wenige Quadratzentimeter groß – Gestaltung im Daumennagelformat.
"Das ist natürlich in der Tat ein Problem im Katalogbereich, wenn wir alte und auch ikonische Cover dort wieder anbieten wollen", erklärt Anja Rittmöller, Vice President Catalogue and Operations bei der Deutschen Grammophon GmbH: "Die funktionieren leider nicht alle wirklich gut in der Größe, die das Smartphone bietet."
Rittmöllers Firma bietet nach wie vor Schallplatten und CDs an, aber längst hat sich ihre Hauptgeschäftsfeld dorthin bewegt, wo die Konsumenten heute Musik am häufigsten abrufen: ins Netz.
"Man muss dann manchmal, wenn man neu designt, kleine Anpassungen vornehmen. Wenn man ein neues Projekt angeht, weicht das digitale Cover auch mal ab vom physischen Cover. Das ist kein Problem, solange es einigermaßen subtil passiert. Denn es soll ja nicht den Eindruck erwecken, dass man zwei unterschiedliche Produkte anbietet. Viele Kunden konsumieren ja sowohl digital wie physisch. Da muss natürlich eine Einheit entstehen."

Das schnelle digitale Glück

Anja Rietmöller kann der Entwicklung viel Positives abgewinnen: Mit ein, zwei Klicks sei man bei der Musik, ohne erst umständlich eine CD oder eine Platte auspacken und einlegen oder auflegen und anwählen zu müssen. Und überhaupt biete das Digitale auch viele Vorteile – man denke nur an die Streaming- und Video-Plattformen.
"Heute gibt es für die Künstler natürlich sehr viel mehr Kanäle, die wichtig sind, in denen sie ihre Image-Entwicklung betreiben. Aber ich glaube, dass ein Cover weiterhin ein zentraler Teil der visuellen Strategie eines Künstlers ist."
Gibt es ein Plattencover, das für sie als Thumbnail denn besser funktioniert denn als Schallplattenhülle?
"Was hat mich zuletzt beeindruckt? Da müsste ich jetzt echt ein bisschen überlegen. So spontan fällt mir nichts ein. Ich kann mich gut an ein Cover erinnern, das mich in meiner Frühzeit bei der Deutschen Grammophon, Mitte oder Ende der 80er-Jahre, sehr beeindruckt hat: Das Cover von Mischa Maisky und seinen Bach-Suiten. Das war einfach ein sehr mutiges Foto für einen Klassikkünstler. Sehr schlicht in Schwarz und Weiß gekleidet, steht er leicht breitbeinig mit seinem Cello oder Cellokasten, da erinnere ich mich jetzt gerade nicht mehr genau. Das wirkt sehr einfach, aber eindrücklich. Da kam etwas rüber, was mich angesprochen hat."

"Eine Schallplatte kann man lieb haben"

Arne Reiner fragt sich unterdessen, wie es um die Erinnerungen an Musik bestellt ist. "Wenn Menschen heute Schallplatten sehen und an ihre Kindheit denken - Bilder sind ja generell Träger von Erinnerungen. Bei Schallplattencovern ist es ja genauso, dass man denkt: 'Ah, das habe ich ja früher gehört. Das ist das Album meiner Jugend!' Da kann man sich natürlich schon fragen, was die Menschen von heute in 30 Jahren über ihre Thumbnails auf dem Smartphone sagen werden. Werden die sagen: 'Ach, das war meine Jugend?' Werden sie sich diese Bilder überhaupt noch ansehen? Werden wir auf dem Telefon überhaupt noch diese Art von Bildern haben? Oder wird es dann längst überholt sein und es gibt komplett andere Arten von Bildern?
Wir wissen das nicht, wie sich die Technik entwickeln wird. Aber das frage ich mich eben. Ob ein digitales Thumbnail ebenfalls in dieser Form Erinnerungen auslösen wird, vergleichbar mit dem, wie es damals Schallplatten gemacht haben. Man weiß es nicht, man wird es sehen. Man kann es sich schwer vorstellen. Eine Schallplatte kann man irgendwie lieb haben. Eine digitale Datei nicht unbedingt."

Ein Feature von Tobias Barth und Lorenz Hoffmann
Es sprachen Tobias Barth und Ellen Schweda
Ton und Regie: Tobias Barth und Lorenz Hoffmann
Redaktion: Winfried Sträter

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