Wiederbewässerung von Moorgebieten

Nasse Moore – echte Klimaretter

07:32 Minuten
Mecklenburg-Vorpommern, Anklam: Ein Waldtümpel in einem Wald bei Anklam. Hier befindet sich das Anklamer Torfmoor.
Ein Sturmhochwasser führte 1995 zum Deichbruch und anschließender dauerhafter Überflutung des Anklamer Stadtbruchs und damit zur Bildung des Anklamer Torfmoores. © dpa / picture-alliance / Jens Kalaene
Von Thilo Schmidt · 08.07.2019
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Nasse Moore binden doppelt so viel CO2 wie alle Wälder dieser Welt. Trotzdem werden sie immer noch trockengelegt und stoßen dann extrem viel CO2 aus. Im Anklamer Stadtbruch wird ein Moor seit 1995 wieder vernässt – die Hitze schadet ihm.
Der Anklamer Stadtbruch, kurz bevor die Peene in den Peenestrom mündet. Vor uns ein Flachwassersee, dahinter eine Landzunge mit absterbenden Bäumen, noch dahinter der Peenestrom, dann die Insel Usedom. Seit 1995 wird das Moorgebiet wieder vernässt, nachdem die Menschen ihm Jahrhunderte einen Nutzen abgerungen hatten. Im letzten Sommer hat Naturführer Günther Hoffmann hier ein einzigartiges Naturschauspiel beobachtet.
"Wir waren jetzt gerade oben auf dem Aussichtsturm, und da ist diese Fläche Richtung Bugewitz letztes Jahr komplett trockengefallen. Seit 25 Jahren hat sich da ein sehr großer Fischbestand drin entwickelt, und die Fische haben sich dann immer auf die Restwasserflächen zurückgezogen. Die haben teilweise richtig gekocht, weil so viel Fisch drin war. Das haben die Seeadler mitgekriegt. Dann haben sich von Anfang Juli bis Ende Juli hier etwa 300 Seeadler versammelt und haben dann diese ganzen kleinen Tümpel leergefischt. Das war für die wie ein kaltes Buffet."

Adler fraßen, bis sie nicht mehr flogen

Die Flachwasserseen waren entstanden, nachdem 1995 zwei Deiche am Stettiner Haff brachen. Die Wiedervernässung war ohnehin geplant, aber viel langsamer, und so nahm man die Überflutung als vorweggenommene Renaturierung. Auch wenn die Artenvielfalt dadurch extrem zugenommen hat – eine solche Ansammlung von Seeadlern, sagt Günther Hoffmann, ist in der Geschichte noch nicht beschrieben worden.
"Die sind teilweise schon gar nicht mehr aufgeflogen. Sondern sind nur schwerfällig zu dem Tümpel hin, haben sich wieder einen Fisch rausgegriffen, haben den gefressen und sind dann wieder sitzengeblieben. Weil Adler haben keine Fressbremse, Adler fressen, bis sie nicht mehr fliegen können. Und da haben wir Adler gehabt, die saßen teilweise drei, vier Tage an einem Platz und sind überhaupt nicht mehr hochgeflogen."
Der sonst eher von Naturtouristen vereinzelt besuchte Stadtbruch erlebte einen ungewohnten Besucheransturm. Mehrere hundert Leute säumten den vertrockneten Flachwassersee.
"Alles, was ein Teleobjektiv tragen kann, stand dann hier auf der Straße, da waren teilweise bis zu zwei, dreihundert Leute, und haben dann die Seeadler fotografiert. Da sind dann mitunter schon auch merkwürdige Vögel dabei, die dann mit ihrem SUV ins Schilf reinfahren, oder komplett die Straße blockieren."
Der Dürresommer war im Nordosten an der Wasserkante gar nicht so heiß, aber extrem trocken. Es gab von April bis Oktober kaum Niederschläge. Ein Vorgeschmack darauf, wie ein sich änderndes Klima die Tier- und Pflanzengesellschaften dauerhaft verändern könnte.
"So haben zwei Drittel aller Kraniche kein Brutrevier gefunden, weil ihre Brutreviere einfach trocken sind", sagt Hoffmann. "Kraniche brüten in nassen Wäldern oder am Rande von nassen Söllen, und die haben dieses Jahr einfach keine Brutreviere gefunden. Hier in der Nähe stehen jetzt morgens immer 2000 Kraniche und bummeln ihre Zeit ab, bis dann der Herbstzug kommt – ein vollkommen ungewöhnliches Bild für diese Jahreszeit."

Von der Wärme profitierten seltene Schmetterlinge

So fehlt eine ganze Generation Kraniche, sagt Günther Hoffmann, was angesichts der Populationsdichte der Kraniche nicht problematisch ist. Andere Arten wiederum profitieren.
"Ähnliche Geschichten haben wir auch bei ein paar seltenen Schmetterlingsarten, die über diesen trockenen Sommer und den praktisch ausgefallenen Winter sehr profitiert haben. Wir haben hier in der Nähe, am Galenbecker See den goldenen Scheckenfalter, der an sich auf einer großen Wiese vereinzelt vorkommt. Das ist eines der wenigen Gebiete überhaupt in Norddeutschland, wo der noch vorkommt. Und dieses Jahr haben wir dort mehrere tausend Exemplare gehabt."

Wiederbewässerte Moore sind gut fürs Klima

Doch was bedeutet es für das Moor, wenn sich Hitzesommer häufen? Wenn Dürren wie letztes Jahr die Regel werden? Es ist weniger Flora und Fauna als vielmehr das Trockenfallen des Moores selbst, das Stefan Schwill, den Landeschef des Naturschutzbundes (Nabu), beunruhigt.
"Gerade hier in Mecklenburg-Vorpommern haben Moore in diesem Kontext eine ganz zentrale Bedeutung. Wenn man sich die Klimagasemissionen des Landes Mecklenburg-Vorpommern anguckt, dann spielen entwässerte Moore, also trockengelegte Moore, mit Abstand die Hauptrolle. Das heißt im Umkehrschluss: Die Notwendigkeit, solche auch wieder zu vernässen, ist eine ganz, ganz zentrale. Und da spielen natürlich solche großen, zusammenhängenden Flächen wie hier im Anklamer Stadtbruch auch noch mal eine ganz besondere Rolle."

Das bedeutet: In Mecklenburg-Vorpommern sind entwässerte Moore der größte CO2-Einzelemittend, noch vor Verkehr, der Industrie oder der Gebäudeheizung. Sie sind extreme Klimakiller. Andererseits: Wenn man trockengelegte Moore vernässt, lässt sich dieser Prozess sofort stoppen, sagt Stefan Schwill, der auch Gebietsbetreuer der Nabu-Stiftung ist, die seit letztem Jahr Eigentümerin des Anklamer Stadtbruchs ist.
"Die Veratmung des Torfes, also die CO2-Freisetzung, wird ganz stark beschleunigt werden, insbesondere dann, wenn sich feuchte Phasen und trockene Phasen abwechseln. Wenn Feuchtigkeit kommt, sorgt das dafür, dass Mikroorganismen erstmal auch Wasser haben, brauchen sie ja auch zum Leben, und wenn dann danach der Luftsauerstoff wieder an den Torf herankommt, wird diese mikrobielle Aktivität erst mal so richtig angeheizt."
Die Natur des Anklamer Stadtbruchs.
Seit 1934 ist der Anklamer Stadtbruch ein Naturschutzgebiet. Es leben dort zahlreiche Schmetterlinge und 100 Brutvogelarten.© Deutschlandradio / Thilo Schmidt

Moore werden immer noch trockengelegt

Ein Hektar Moor trockenzulegen erzeugt genau so viel CO2 wie ein Auto, das einmal um die ganze Welt fährt. Andererseits binden alle Moore dieser Welt doppelt so viel CO2 wie alle Wälder zusammen. Dennoch werden auch heute noch Moore trockengelegt.
"Das ist eine ganz fatale Entwicklung, die da nach wie vor stattfindet – auch in Deutschland, auch in Mecklenburg-Vorpommern beispielsweise, dass Torf also abgebaut wird, um Blumenerde zu gewinnen. Voraussetzung zum Abbau dieser Torfe ist eben auch eine Entwässerung dieser Moore, also Moorzerstörung. Wenn jeder einzelne was zum Klimaschutz beitragen will, dann soll er sehen, dass er torffreie Blumenerde kauft", sagt Schwill. "Und ich hab es selbst im Baltikum gesehen, auf riesigen Flächen, wo die Moore schwarz sind, wo sie entwässert werden, wo dann große Pflüge quasi versuchen, den Torf zu trocknen. Und dann kommt am Ende ein großer Staubsauger und sammelt diesen Torf ein. Also ganz verheerende Eingriffe in die Landschaft und natürlich auch ganz verheerende Einflüsse auf den Klimawandel."
In Deutschland waren einmal fünf Prozent von Mooren bedeckt. Heute sind es noch 0,1 Prozent. Ein trockengelegtes Moor wiederzuvernässen würde den CO2-Ausstoß dieses Moores sofort stoppen. Zudem würde das Wachsen des Torfkörpers zusätzliches CO2 binden, und zwar effektiver als es Wälder tun – wenn auch nur sehr langsam. Und auch ohne Dürresommer ist nirgendwo in Mitteleuropa die Chance, Seeadler zu sehen, höher als im Anklamer Stadtbruch: Aktuell gibt es hier elf Brutpaare – auf 14 Quadratkilometern. Normalerweise liegt das Revier von einem Brutpaar zwischen fünf und einhundert Quadratkilometern.
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