Wiebke Ahrndt über "political correctness" in Museen

Wenn Schrumpfköpfe für Streit sorgen

Wiebke Ahrndt, die Direktorin des Übersee-Museums in Bremen.
Wiebke Ahrndt ist Direktorin des Übersee-Museums in Bremen. © dpa / picture-alliance
Wiebke Ahrndt im Gespräch mit Stephan Karkowsky · 08.05.2018
Wenn Ureinwohner religiöse Objekte in einem Museum wiederfinden, sorgt das schonmal für Streit. Umgekehrt kann es deutsche Museumsbesucher ärgern, wenn keine Schrumpfköpfe mehr ausgestellt werden. Die Direktorin des Bremer Überseemuseums spricht über die Wertedebatte in deutschen Museen.
Stephan Karkowsky: In Bremen tagt der Deutsche Museumsbund unter dem Oberthema: Eine Frage der Haltung – welche Werte vertreten Museen? Längst werden die Museen nicht mehr als neutrale Verwahrer von Erinnerungskultur und Kunst gesehen, sondern als durch Auswahl und Hauspolitik aktive Teilnehmer an politisch-gesellschaftlichen Debatten. Was politisch korrekt ins Museum gehört und was nicht, das erörtert Wiebke Arndt in Bremen auf einem Panel. Sie leitet seit 2002 das Bremer Überseemuseum. Frau Arndt, guten Morgen!
Wiebke Arndt: Guten Morgen!
Karkowsky: Und da fangen die Probleme ja schon an. Ist dieser Begriff – politisch korrekt – nicht selbst als rechter Kampfbegriff verbrannt?
Arndt: Wir wollten mit politically correct versus politically correct – für welche Werte stehen wir eigentlich es mal pointiert auf dem Punkt bringen. Es geht nicht darum, was in unseren Museen sich eigentlich befindet, sondern wie gehen wir damit um, wenn wir es ausstellen. Oder gibt es Empfindlichkeiten, Befindlichkeiten oder auch wirklich Dinge, wo wir sagen müssen, die können wir in den Ausstellungen nicht präsentieren oder nicht unkommentiert präsentieren, Da treffen in unserer pluralen Gesellschaft sehr, sehr viele unterschiedliche Werte aufeinander und die sind für die Museen eine große Herausforderung, und darum soll es auf diesem Panel gehen.

Was die Gefühle der einen verletzt, wollen andere unbedingt sehen

Karkowsky: Haben Sie denn aus Ihrem Museumsalltag in Bremen ein Beispiel, wo sich vielleicht mal jemand beschwert hat und gesagt hat, das können Sie doch nicht machen, und Sie mussten das daraufhin entfernen?
Arndt: Nein, umgekehrt haben wir das erlebt, wie konnten Sie die Schrumpfköpfe aus dem Schaudepot entfernen, die haben wir uns doch immer so gerne angeschaut. Das war genau so eine Sache, wo wir gesagt haben, das ist ein sensibles Kulturgut und ich muss es immer kommentieren, wenn ich es ausstellen will, und unkommentiert in ein Schaudepot legen, das geht heute nicht, das verletzt anderer Religionsgemeinschaften Gefühle, das tun wir nicht. Deshalb haben wir es tatsächlich aus dem Schaudepot rausgenommen. Und da gab es dann umgekehrt Beschwerden, dass wir es getan haben, was sehr deutlich zeigt, dass wir als Museumsmenschen oft, wenn wir in der einen Variante politisch korrekt sein wollen, anderen damit auf die Füße treten.

Kulturelle Missverständnisse beginnen in der Sprache

Karkowsky: Oft ergeben sich ja große Wertedebatten aus genau diesem Aufeinandertreffen der Kulturen, vor allem natürlich in den außereuropäischen Sammlungen der ethnologischen Museen. Die heißten ja schon länger nicht mehr Völkerkundemuseum, sondern etwa Weltkulturen Museum in Frankfurt am Main oder bei Ihnen Überseemuseum. Wie empfinden Sie eigentlich diese gewachsene Sensibilität für Sprache, ist das was Wichtiges, ist das dringend notwendig oder nervt das auch manchmal?
Arndt: Ach das kann natürlich manchmal auch nerven, aber es ist auch eine wichtige Sache, weil wir uns natürlich klarmachen müssen, dass wir mit den Worten, die wir wählen, mit denen wir etwas benennen, auch immer sofort Gedanken verbinden. Das benutzen wir in den Museen ja auch sehr gezielt in unseren Führungen, dass wir sofort Assoziationen bei den Besuchern auslösen, wenn wir ganz bestimmte Dinge sagen. Und da sollten wir immer unsere Worte sehr genau wählen. Das merken wir beispielsweise immer, wenn wir Begriffe wählen, die bei uns in Europa verbunden sind mit ganzen Gesellschaftskonstrukten, sowas wie jemand ist ein König, ein Kaiser, ein Herrscher. Dann haben wir ganz klare Vorstellungen, welche Rechte, welche Pflichten an so einem Titel hängen. Wenn wir das dann auf andere Kulturen anwenden, dann passt das zum Teil, und dann passt es an anderen Stellen auch wieder nicht. Da merken wir, dass in der täglichen Arbeit, dass Worte sehr genau gewählt werden wollen.

Wenn Ureinwohner das Museum besuchen

Karkowsky: Die Museumsdirektorin des Weltkulturen Museums in Frankfurt bekam Besuch von australischen Ureinwohnern, die sich dann weigerten, mit ihr eine Sammlung von für religiöse Zeremonien bedeutsame Kulthölzern zu besichtigen, weil sie eine Frau ist.
Arndt: Ja, das ist genau einer der Fälle, über die wir heute Nachmittag sprechen wollen. Dass es tatsächlich natürlich so ist, dass wir uns in den ethnologischen Museen sehr freuen über Besuch aus den Herkunftsgesellschaften und uns ja auch bemühen, ihm mit dem größten Respekt zu begegnen, und auch die Religionsfreiheit anderer Glaubensgemeinschaften wirklich auch respektieren wollen. Und da ist es tatsächlich bei den Aborigines so, dass es heilige Gegenstände gibt, die in der Kultur der Aborigines nicht von Frauen angesehen werden dürfen. Und das war genau so ein Konflikt, der sich in Frankfurt dann zugetragen hat, weil das natürlich nicht zu unseren Werten der Gleichstellung von Mann und Frau passt, und man dann als Museumsmensch sehr schnell in ein Dilemma gerät, dass man, wenn man der einen Werte verletzt, die der anderen damit dann respektiert oder vice versa.

Unterschiedliche Wertvorstellungen müssen permanent verhandelt werden

Karkowsky: Ist das nicht genau das Schwierige, dass eigentlich jeder seine eigenen Werte mit sich herumträgt, egal in welchem Wertekosmos er sich gerade lokal aufhält?
Arndt: Ja, das ist so, das ist die Herausforderung. Und es zeigt sich am Ende, es ist ein konstanter Aushandlungsprozess, der eben oftmals auch sehr schwierig werden kann.
Karkowsky: Wie gehen Sie denn damit um? Wird es künftig häufiger sogenannte "trigger warnings"geben, also Warnschilder für kritische Inhalte, so nach dem Motto, dieses Ausstellungsstück könnte ihre religiösen Gefühle beschädigen?
Arndt: Das werden wir auf dem Panel auch diskutieren, weil das wird in Teilen mittlerweile getan. Noch nicht so bei uns, aber beispielsweise in Australien gibt es solche Warnhinweise schon. In Bibliotheken oder auch im Vorspann von Kinofilmen, weil es dort Bevölkerungsgruppen gibt bei den Ureinwohnern, wo eben tatsächlich Restriktionen da sind, bestimmte Dinge nicht sehen zu dürfen, und man auch persönlichen Schaden nehmen kann, wenn man es tatsächlich tut, weil die Glaubensüberzeugungen natürlich auch sehr stark sind. Da wird mit solchen Warnhinweisen gearbeitet.

Trigger-Warnungen vor rassistischen Objekten

In den ethnologischen Museen diskutieren wir das beispielsweise im Zusammenhang mit Darstellungen, die unstrittig ausgesprochen rassistisch sind, beispielsweise auch Werbefiguren aus der Kolonialzeit wie der Sarotti-Mohr, wo wir merken, dass Menschen aus außereuropäischen Ländern sehr schockiert reagieren, so etwas in deutschen Museen zu sehen, weil sie vorher oft noch nicht einmal wussten, dass sowas überhaupt je existiert hat. Und dass es dann, wenn es schon existiert, heute noch ausgestellt wird, tatsächlich ein schockierendes Moment ist. Das können wir nicht mehr unkommentiert tun, da müssen wir uns zu verhalten, und auch da wird natürlich diskutiert, müssen wir dann auch in gewisser Weise darauf hinweisen und darauf vorbereiten, dass man nicht an so einem wunderschönen Sonntag wie heute einen Familienausflug ins Museum macht und steht auf einmal vor etwas, was einen völlig schockiert.

In einer pluralen Gesellschaft ist es oft schwer, Grenzen zu ziehen

Karkowsky: Das macht die Museumsarbeit natürlich nicht leichter, aber macht es sie vielleicht spannender?
Arndt: Es ist spannend, es ist anspruchsvoll, es macht uns sensibel, was ja auch kein Fehler ist. Es macht es natürlich in Teilen auch schwieriger, weil in so einer pluralen Gesellschaft die Grenzziehungen nicht mehr so eindeutig sind und weil solche Sachen natürlich auch, wenn wir unsere Debatten in Deutschland anschauen, sehr schnell oft wechseln und auch sehr schnell dann andere Ansichten dazukommen, auf die die Museen dann auf einmal auch entsprechend schnell reagieren müssen.
Karkowsky: Zur Tagung "Eine Frage der Haltung – welche Werte vertreten Museen?" sprachen wir mit der Vizepräsidentin des Deutschen Museumsbundes, der Leiterin des Überseemuseums in Bremen, mit Wiebke Arndt. Frau Arndt, besten Dank und eine gute Diskussion auf dem Panel wünschen wir!
Arndt: Ganz herzlichen Dank auch an Sie! Danke, auf Wiederhören!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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