30 Jahre UN-Kinderrechtskonvention: Wie wird Deutschland kinderfreundlicher?
Darüber diskutiert Vladimir Balzer am 10. September mit der Autorin Nathalie Klüver und mit Anne Lütkes, der Vizepräsidentin des Deutschen Kinderhilfswerks – live von 9. 05 bis 11 Uhr. Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der Telefonnummer 0800 2254 2254 sowie per E-Mail unter gespraech@deutschlandfunkkultur.de.
30 Jahre UN-Kinderrechtskonvention
Ein unerreichbarer Spielplatz in Berlin. © picture alliance / dpa / dpa-Zentralbild / Jens Kalaene
Wie wird Deutschland kinderfreundlicher?
89:20 Minuten
Deutschland wird immer älter. Es sollten mehr Kinder geboren werden, fordern Politiker. Doch wird genug getan für Kinder und ihre Eltern? Wie steht es um die Kinderrechte, die hierzulande seit 30 Jahren verbrieft sind? Was muss besser werden?
„Kinder sind unsere Zukunft“ – diesen Spruch hört man allerorten. Die Realität sieht anders aus: Kinder und Jugendliche mussten während der Lockdown-Phase massiv zurückstecken. Die Folgen von Homeschooling und mangelnden sozialen Kontakten sind derzeit noch nicht zu überblicken. Doch auch ohne die Corona-Einschränkungen stellt sich die Frage, welchen Stellenwert Kinder in unserer Gesellschaft haben. Und das 30 Jahre nach Inkrafttreten der UN-Kinderrechtskonvention hierzulande.
„Wir leben in einer kinderentwöhnten Gesellschaft“
„Kinder haben in Deutschland keine Lobby“, sagt Nathalie Klüver. Die Journalistin ist Mutter von drei Kindern im Alter von vier, acht und elf Jahren. Ihre Erfahrung: „Wohl fast alle Familien kennen dieses diffuse Gefühl zu stören, wenn sie mit Kindern in der Öffentlichkeit unterwegs sind, dass sie auf andere Leute Rücksicht nehmen müssen. Zum Beispiel die schrägen Blicke, wenn man in der Bahn sitzt, die Kinder sind unruhig und laut, die anderen Fahrgäste gucken.“
In ihrem Blog „Ganz normale Mama“ und ihren Büchern erzählt Nathalie Klüver von den Höhen und Tiefen des Mutter- und Familiendaseins. Ihr neuestes Buch trägt den Titel „Deutschland, ein kinderfeindliches Land“. Darin erzählt sie von den Nöten der Familien während des Lockdowns, von der verzweifelten Wohnungssuche von Eltern mit mehreren Kindern, vom Mittagsspiel-Verbot auf deutschen Spielplätzen.
Ihre Analyse: „Wir leben in einer kinderentwöhnten Gesellschaft.“
Ihre Analyse: „Wir leben in einer kinderentwöhnten Gesellschaft.“
Ihre Forderungen: „Wir brauchen mehr Kinderfreundlichkeit in allen Bereichen, eine andere Renten- und Steuerpolitik, Kinderrechte im Grundgesetz, echte Kinderpartizipation und mehr Chancengleichheit – und davon profitiert letztlich die ganze Gesellschaft, nicht nur die Familien.“
„Die Kinderrechte müssen ins Grundgesetz“
„Kinderbeteiligung ist kein nice-to-have – sie kostet was und sie bringt was“, sagt Anne Lütkes, Vizepräsidentin des Deutschen Kinderhilfswerks. Die Juristin und frühere Grünen-Politikerin war unter anderem Bürgermeisterin in Köln und von 2000 bis 2005 Ministerin für Justiz, Frauen, Jugend und Familie in Schleswig-Holstein. Ihre Erfahrung: „Das Bewusstsein, dass Kinder kleine Persönlichkeiten und Träger von Rechten sind, dass sie Gestaltungsfähigkeiten haben, ist noch nicht angekommen. Weder in der Bevölkerung, der Verwaltung und auch nicht bei den politischen Entscheidungsträgern.“ Umso wichtiger sei es, die Kinderrechte durchzusetzen.
Dafür gründete Anne Lütkes vor zehn Jahren das Pilotprojekt „Kinderfreundliche Kommunen“. Städte, die sich für dessen Siegel bewerben, müssen klare Bedingungen erfüllen. „Wir erwarten schon den klaren politischen Willen, vom Oberbürgermeister hinunter, die Kinderechte in ihre Verwaltung zu tragen, so dass das im Alltag der Kinder auch ankommt. Das reicht von der Gestaltung von Spielplätzen, der Verkehrsführung bis hin zur Frage: Wie baut man kindergerechte Wohnungen?“ Kinder sollten direkt beteiligt und bei allen Vorhaben gehört werden, so Anne Lütkes.
Ihre Überzeugung: "Die Kinderrechte müssen ins Grundgesetz, weil das auch ein Paradigmenwechsel für die Gesellschaft wäre. Nach 30 Jahren UN-Kinderrechtskonvention hat sich schon viel verändert, aber es gibt keinen Anlass, aufzuhören. Wir müssen weitermachen."
(sus)