Wie vom Donner gerührt

Von Susanne Güsten |
Seit Hunderten Jahren graben deutsche Archäologen in Anatolien nach Spuren vergangener Zivilisationen, doch seit einigen Jahren wird die Konkurrenz schärfer. Ankara stellt Ansprüche an die von Ausländern geleiteten Ausgrabungen. Jetzt gibt es Streit um die Steinzeitgrabung in Göbeklitepe.
Die Grabung in Göbeklitepe - unbestritten eines der wichtigsten archäologischen Forschungsprojekte der Welt. Die mehr als zehntausend Jahre alten Stelen und Mauern, die hier im Südosten der Türkei ausgegraben werden, bilden nicht nur die älteste bekannte Tempelanlage der Menschheitsgeschichte. Die mächtige Steinzeitanlage bringt seit ihrer Entdeckung vor gut 15 Jahren auch alles ins Wanken, was wir bisher über die Entwicklung der menschlichen Zivilisation zu wissen glaubten.

Dass schon Jäger und Sammler so organisiert zusammenarbeiten konnten, hatte die Wissenschaft ihnen zuvor nicht zugetraut. Göbeklitepe wirft die revolutionäre Frage auf, ob religiöse Bauten wirklich erst von sesshaften Bauern errichtet werden konnten, wie bisher geglaubt - oder ob Sesshaftigkeit, Ackerbau und Viehzucht nicht vielmehr als Folge der Zusammenarbeit von Jägern und Sammlern beim Tempelbau entstanden.

Gespannt blickt die Fachwelt deshalb auf die Grabung von Göbeklitepe, die bisher kaum zwei Prozent der gewaltigen Anlage hat freilegen können. Seit 1995 gräbt der deutsche Archäologe Klaus Schmidt hier, seit 2001 für das Deutsche Archäologische Institut. Klaus Schmidt war es, der die Bedeutung der Stätte überhaupt erst erkannte, nachdem frühere Erkundungen von amerikanischen und türkischen Wissenschaftlern ergebnislos geblieben waren.

Umso befremdeter sind Fachleute deshalb von der Kampagne, die eine der führenden Zeitungen des Landes nun gegen seine Grabung gestartet hat. Seit zehn Tagen polemisiert der Kolumnist Fatih Cekirge fast täglich in "Hürriyet" gegen die deutsche Grabung. In einem ersten Kommentar regte er sich nur allgemein darüber auf, dass eine so kostbare Grabung in den Händen von Ausländern sei. Doch schon in der nächsten Kolumne griff er den Diebstahl einer Stele aus der Grabung auf, der sich vor eineinhalb Jahren ereignet hatte. Zitat:

"Die Grabungswächter werden wahrscheinlich von den Deutschen bezahlt. Da brauchen wir uns nicht aufregen, wenn unsere Kulturschätze in den Museen fremder Länder auftauchen."

Mit Diplomatenpässen hätten deutsche Archäologen das zwölftausendjährige Stück aus dem Land geschmuggelt, unterstellt Cekirge und steigert sich zu der Behauptung:

"Die von Ausländern geleiteten Grabungen werden schlampig geführt und vernachlässigt. Wir lassen uns bestehlen, wir lassen uns ausplündern, und wir werden erst stutzig, wenn wir unsere Sachen in den Museen anderer Länder sehen."

Die deutschen Archäologen sind wie vom Donner gerührt von diesen Vorwürfen, zumal Raubgrabungen, Antiquitätenschmuggel und Schwarzhandel mit Grabungsfunden in der Türkei praktisch an der Tagesordnung sind. Der Diebstahl von Göbeklitepe dagegen liegt schon länger zurück und wurde auch schon gesühnt, wie erst jetzt bekannt wurde: Das Deutsche Archäologische Institut bezahlte demnach als Entschädigung für den Verlust der Stele rund 70.000 Euro an den türkischen Staat.

Damit schien der Fall erledigt - jedenfalls erneuerte das türkische Kulturministerium im vergangenen Jahr die Grabungslizenz der Deutschen. Doch seit "Hürriyet" auf die Pauke haut, wird der 17 Monate zurückliegende Diebstahl zum Politikum. Im türkischen Fernsehen erzählt ein örtlicher Kulturbeamter von der Tat, als habe sie sich gerade erst ereignet:

"Sie haben diese Statue gefunden, die Hälfte war noch unter der Erde, und so wurde sie über Nacht liegen gelassen, nach dem Motto: Die graben wir morgen fertig aus. Morgens kamen sie wieder, da war die Statue fort. Verantwortlich dafür ist der Grabungsleiter, der ausländische, also Klaus Schmidt."

Ausgestanden ist der Fall noch längst nicht, sagt auch Kulturminister Ertugrul Günay, der für die Vergabe der Grabungslizenzen auf den archäologischen Stätten der Türkei zuständig ist:

"Was in Göbeklitepe geschehen ist, ist völlig inakzeptabel. Wenn man eine mehr als zehntausendjährige Statue findet, wie kann man dann als verantwortlicher Grabungsleiter fortgehen und sich schlafen legen? An seiner Stelle hätte ich die ganze Nacht auf der Statue gelegen."

Es dürfte kein Zufall sein, dass der Fall gerade jetzt hochkocht, denn in den kommenden Wochen hat das Kulturministerium über die jährliche Verlängerung der Grabungslizenzen zu entscheiden. Ob die Deutschen in Göbeklitepe weiter graben dürfen, ist nun ungewiss. Das letzte Wort sei noch nicht gesprochen, sagte Kulturminister Günay:

"Wir sehen uns an, was auf der Grabung getan worden ist, was in diesem Jahr gemacht werden soll, welche Mittel dafür bereitgestellt werden, und auf dieser Grundlage entscheiden wir dann. Aber eines sage ich Ihnen ganz offen: Mit Göbeklitepe bin ich nicht sehr zufrieden."
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