Wie umgehen mit Corona?

Eine unendliche Geschichte

18:10 Minuten
Eine Händ hält die Titelseite der New York Times, vor die Kulisse der Time Square in New York.
Im Mai druckte die Zeitung "New York Times" ganzseitig die Namen von eintausend Verstorbenen auf ihrer Titelseite ab. © picture alliance / Photoshot
Von Vera Linß · 11.07.2020
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Ein Ende der Coronapandemie ist nicht in Sicht. Das fordert die Psyche der Menschen heraus. Und auch die Medien müssen sich an eine Welt anpassen, in der ein Thema nicht einfach abgeschlossen werden kann.
Manch einer wird vielleicht noch immer gehofft haben, dass es anders kommt. Doch langsam schleicht sich die Gewissheit ein: Die Coronapandemie wird uns noch lange begleiten. Das wirkt sich auf die Psyche aus. Mit der Folge etwa, dass man permanent Unsicherheit spürt.
Das "Philosophie Magazin" hat dazu Zahlen zusammengetragen. Demnach fühlt sich die Hälfte aller Europäer unsicher. Auch in den Vereinigten Staaten sieht es nicht besser aus: 45 Prozent der US-Amerikaner sagen, dass sich die Coronapandemie auf ihre psychische Gesundheit auswirkt. Und auch im Kleinen wirkt sich die Krise aus. So glaubt zum Beispiel ein Viertel aller Deutschen, dass ihre Arbeitskollegen denken könnten, sie leisteten im Homeoffice zu wenig.

Es wird Zeit, das Prozesshafte in den Vordergrund zu stellen

Hinzu kommt das Gefühl der Unendlichkeit: Dass diese Pandemie, die wir jetzt erleben, nie aufhören wird und unser Leben für immer verändern könnte. Doch warum fällt es uns so schwer damit umzugehen, dass es unmöglich ist ein Thema abzuschließen und zur Tagesordnung übergehen zu können? Warum brauchen wir Endpunkte?
"Es ist deshalb so schwer, weil wir uns daran gewöhnt haben, nach Post-its zu arbeiten, nach To-do-Listen – eine Sache wird angefangen, wird abgearbeitet, ist damit auch weg und der Kopf ist für etwas Neues frei. Das ist die normale Beschäftigungsroutine von Menschen in der Spätmoderne. Und die Konfrontation mit etwas, von dessen Ausgang man überhaupt nicht überzeugt sein kann, das uns jeden Tag vor neue Erfahrungen stellt, ist in dieser kleinteilig abzuarbeitenden Welt nicht mehr vorgesehen", erklärt die Kulturhistorikerin Ute Frevert.
Wäre es aber in Anbetracht dieser Ausnahmesituation nicht ein guter Zeitpunkt, sich von dem Gedanken zu lösen, in Abschnitten voran schreiten zu wollen? Sollte man mehr prozesshaft denken? Ute Frevert hält es nicht für realistisch, dass es zu so einem Paradigmenwechsel kommt, auch wenn solche Überlegungen existierten. Der Wunsch, zur alten Normalität zurückzukehren, sei doch sehr stark.
Andererseits könnte es aber sein, dass wir gezwungen werden, auf eine bestimmte Art und Weise neu zu denken. "Weil, ich vermute, dass das nächste Virus schon um die Ecke wartet. Dass wir diese Gefährdung nicht ein für allemal loswerden, vielleicht durch dieses Virus, aber nicht unbedingt durch ein anderes. Und insofern wird das eine Erfahrung sein, die wir jetzt vielleicht das erste mal in unserer Generation erlebt haben, aber sicherlich nicht das letzte mal."

Was bedeutet das nun aber für die Medien?

Die Coronakrise stellt auch die Medien vor eine neue Herausforderung. Denn diese arbeiten gern mit abschließbaren Themen. Der abgrenzbaren Geschichte. Der klaren Erklärung. Der schnellen Schlagzeile. Wenn die Gesellschaft jetzt aber in eine Realität eintritt, die sie zwangsläufig viel prozesshafter wahrnimmt, müssen sich auch die Medien umstellen – mit ihren Formaten, vielleicht auch mit ihren Geschäftsmodellen.
"Wenn wir uns die großen Themen der Menschen angucken, dann ist das immer ein Prozess. Das heißt, bei ganz vielen anderen Themen war das auch schon immer der Fall. Nur dadurch, dass diese Aktualität und dieses Akute nicht gegeben war, wird häufig ein bisschen so getan, als ob Themen fertig seien, abgeschlossen seien", sagt die Medienpsychologin Maren Urner.
Aber das sei etwas Trügerisches, wie jetzt durch Corona sichtbar werde. "Das zeigt uns, dass wir Themen in den Medien auch nicht künstlich abschließen sollten, weil die sich immer kontinuierlich fortsetzen." Dass es eine Nachfrage für nachhaltige prozesshafte Berichterstattung gibt, davon ist Maren Urner - die mit der Gründung der Online-Publikation "Perspective Daily" selbst ein Projekt für nachhaltigen Journalismus angestoßen hat - überzeugt.
Sie kritisiert, dass "häufig eine Unterschätzung der Kompetenz der Rezipienten von seiten der Medienschaffenden stattfindet. Es wird häufig angenommen, dass wir bei diesem Schwarz-Weiß-Denken bleiben müssen auf medienschaffender Seite. Also sprich, wir stellen die eine Position vor und dann setzen wir die andere gegenüber. Weil einfach nicht zugetraut wird, dass es diese Grautöne dazwischen gibt. Da gibt’s tatsächlich schon erste Untersuchungen, die zeigen, dass wenn eine gewisse Komplexität vermittelt wird, dass es durchaus nicht nur schätzend und dankbar angenommen wird, sondern auch verstanden wird."

Der Journalismus muss sich neu erfinden

Aber durch Corona stellt sich die Frage nach der Weiterentwicklung der Medien gleich doppelt. Einmal durch die thematische Herausforderung, zum anderen weil es durch Corona wirtschaftlich noch schwieriger geworden ist für den Journalismus. Jeff Jarvis, der Journalismus an der City University of New York lehrt, hat sechs Thesen aufgestellt für einen Journalismus nach Corona.
"Die größte Herausforderung für den Journalismus ist, dass er sich neu erfinden muss. Dass er nicht annehmen sollte, er muss so weitermachen wie bisher. Wir haben jetzt alle Möglichkeiten. Zuallererst der Allgemeinheit auf eine Weise zuzuhören, wie es vorher nicht möglich war. Und der Öffentlichkeit auf neue Weise zu dienen, unsere Definition darüber, was wir machen, zu verändern. Weg davon, einfach Inhalte zu produzieren. Anstelle dessen sollten wir uns als jemand imaginieren, der Kommunikation oder Bildung leichter macht. Oder als ein Aggregator von Qualität."
Auch Maren Urner meint, Journalisten müssten noch mehr auf die Rezipienten zugehen, um besser die Informationen an den Mann oder die Frau zu bekommen. Man müsse sich immer fragen: "Wie bekommen wir es hin, eine Nähe zu schaffen, ohne sich anzubiedern oder Dinge herbeizuschreiben, die nicht da sind. Wie können wir Dinge so in einen oder verschiedene Deutungsrahmen setzen, dass die Relevanz für die einzelnen Nutzer, deutlich wird? Und das ohne sich zu verstellen oder in eine Art Bittsteller-Rolle zu gelangen."

Einfacher gesagt, als getan

Allerdings lässt sich ein Nutzen oder die Relevanz für den Rezipienten nicht immer sofort erschließen. Trotzdem besteht die Verantwortung, darüber zu berichten. Unter diesem Gesichtspunkt sind Journalisten dann noch immer so etwas wie Gatekeeper, weil sie darauf spezialisiert sind, Zusammenhänge herzustellen, Hintergründe zu recherchieren, Relevanz zu erkennen, wo sie andere vielleicht noch nicht sehen.
Man kann also dem Rezipienten nur bedingt entgegenkommen. Und genau das ist die Herausforderung, wenn es jetzt darum geht, Prozesse nachhaltig zu beleuchten. Wir sollten überlegen, wie wir das Prozesshafte als solches deutlich machen können. Das ist vielleicht ein anderes Verständnis von Nutzwertjournalismus.
Der Autor Robin Detje sieht das so: "Ich glaube, die Medien sollten beschreiben und sie sollten die Menschen mit der Wirklichkeit konfrontieren. Professioneller Journalismus sollte sich auf seine Tugenden besinnen und berichten, was ist. Journalismus hat ja keinen pädagogischen Auftrag. Sondern einen informativen Auftrag, Informationsauftrag, der mich als Bürger in der Demokratie befähigen soll, mal wählen zu gehen oder mir meine Meinung zu bilden."
Über das "Wie?" wird es sicher noch weitere Diskussion geben.
(hte)
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