Wie Überbehütung den Kindern schadet

27.08.2013
In seiner Streitschrift "Helikopter-Eltern" prangert Josef Kraus nervöse Eltern, verwöhnte Kinder und lasche Lehrer an. Doch der Autor schwächt seine Argumentation mit einigen Widersprüchen. So fordert er beispielsweise mehr Selbständigkeit der Kinder, zugleich aber auch einen höheren Leistungsdruck. Insgesamt ist das Buch rückwärts gewandt.
Von der Kita bis zum Universitätsabschluss kreisen sie über ihren Kindern, behüten den Nachwuchs vor Kritik und Mühen und pushen ihn gleichzeitig auf die Eliteplätze der Gesellschaft - die "Helikopter-Eltern".

In seinem heiß diskutierten gleichnamigen Buch prangert Josef Kraus, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, nervöse Eltern und Babytuning im Mutterleib an, verwöhnte Kinder und lasche Lehrer, die Sucht nach Erziehungsexperten und "Gleichmacherei in Einheitsschulen".

In der schwungvoll formulierten Streitschrift finden sich eine Fülle bedenkenswerter Empfehlungen: Kinder brauchen Freiräume ohne Erwachsene, mahnt der Autor, in denen sie auf eigenes Risiko und unter eigener Anstrengung ihre Möglichkeiten und Grenzen austesten können. Die Zukunft eines Menschen steht und fällt nicht mit dem Abitur, gibt er zu bedenken.

Das deutsche Schulsystem wurde in den letzten Jahren immer durchlässiger, sodass eine Vielzahl an zweiten Bildungswegen junge Menschen in interessante Berufe führen kann. Sinnvolle Erziehung liegt weder in einem hilflosen Laisser-faire noch im eiskalten Drill früherer Jahrzehnte, betont Josef Kraus dann noch.

Kinder brauchen starke Erwachsene, die ihnen zeigen, wie das Leben geht. Die Hirnforschung, regt er sich auf, beansprucht Deutungshoheiten in der Kindererziehung, die an Erklärungskraft weit hinter dem zurückbleiben, was Psychologie und Pädagogik seit Jahren wissen. Leider ertrinkt solche Vernunft in einem wilden Potpourri an unbegründeten Meinungen, geratenen Prozentzahlen und offener Häme.

Den obersten Lehrer der Nation nervt so gut wie alles: Dass Kinder im Klassenraum mehr Wasser trinken als früher. Dass Eltern Mitsprache fordern, was das Kantinenangebot der Schule angeht. Dass es einen Vater aufgeregt, wenn sich sein Sohn im Sportunterricht die Knochen bricht. Dass Mütter und Töchter die gleichen Schuhe tragen. Dass Eltern Mobbing im Klassenraum verhindern möchten. Dass Kinder mitreden dürfen, wenn es daheim um die Frühstücksmüsli-Sorte geht.

Dazu schwächt Josef Kraus seine Argumentation mit zahllosen Widersprüchen: Einerseits sollen Erwachsene Kindern mehr Raum lassen und Selbständigkeit zutrauen, andererseits plädiert er kompromisslos für Leistungsdruck, Auslese, Disziplin. Dann sollen Eltern ihrem pädagogischen Instinkt folgen und vermeintliche Erziehungsexperten links liegen lassen, gleichzeitig ist sein Buch nichts anderes als die Einmischung in einen Erziehungsstil, zu dem die meisten Eltern heute in einer Abstimmung mit den Füßen überlaufen. Bei aller Notwendigkeit, hier und da Grenzen zu ziehen, bevorzugen sie einen freundschaftlich-respektvollen Umgang mit ihren Kindern.

So ist "Helikopter-Eltern", selbst wenn man ihm die übertriebene Schärfe einer Streitschrift zugesteht, ein ärgerlich rückwärtsgewandtes Buch. Hier wirft sich ein Lehrer in Pose, der sich mit der Demokratisierung der sozialen Beziehungen - sprechen, verhandeln, Ernst nehmen, zuhören, sinnvolle Wege immer wieder neu ausloten - nicht abfinden möchte.

Besprochen von Susanne Billig

Josef Kraus: Helikopter-Eltern - Schluss mit Förderwahn und Verwöhnung
Rowohlt Verlag
224 Seiten, 18,95 Euro
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