Pest, Grippe, Seuchen

Was passiert nach dem Ende einer Pandemie?

07:04 Minuten
Blck auf das Bettenhochhaus der Charite. Das 1710 als Pesthaus gegründete Krankranhaus ist das älteste von Berlin.
Die Charité, das 1710 als Pesthaus gegründete Krankenhaus, ist heute mit eine der größten Universitätskliniken Europas. © imago/Ulli Winkler
Von Tim Schleinitz · 23.02.2022
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Schon immer forderten Pandemien wie die Pest oder die Spanische Grippe Millionen Todesopfer. Bei all der Tragik, die damit einherging, manchmal lernten Gesellschaften auch daraus.
„Irgendwie haben wir nach diesen langen zwei Jahren verdient, dass es wieder besser wird, und es sieht so aus, dass wir auch genau das vor uns haben“, erklärt Bundeskanzler Olaf Scholz am 16. Februar 2022 auf der Pressekonferenz nach einer Beratung mit den Regierungschef:innen der Länder.
Die Eindämmungsmaßnahmen hätten gewirkt, aber trotz guter Aussichten sei immer noch Vorsicht angesagt, denn: „Die Pandemie ist eben noch nicht vorbei.“

Wie enden Pandemien?

Was heißt das aber: Das Ende einer Pandemie? Es gibt dafür drei medizinische Modelle, erklärt Malte Thießen, Medizinhistoriker und Autor eines Buches über die Geschichte der Corona-Pandemie:
„Es gibt das Pockenmodell, das ist das schönste eigentlich, nämlich das ist das Modell Ausrottung dank einer globalen Impfkampagne. Es gibt das zweite Modell, das ist das Pestmodell. Da kann man ein Ausschleichen sozusagen beobachten.
Das hängt damit zusammen, dass Hygienemaßnahmen besser werden, sodass Flöhe und Nagetiere als Überträger keine so große Rolle mehr spielen. Es gibt das dritte Modell, und das ist das, was uns wahrscheinlich bei Corona begegnen wird, und das ist das Influenzamodell. Und das ist ein stückweit mit Viren leben lernen.“

Pestsäulen zum Gedenken

Wenn Gesellschaften eine Seuche überstanden haben, lassen sich bestimmte kulturelle Reaktionen beobachten. Es entstehen etwa regionale Feste, wie die Oberammergauer Passionsspiele. Außerdem wurden Denkmäler errichtet, die an die Pest erinnern sollen.
Besonders in katholischen Regionen entstehen die sogenannten Pestsäulen. Die Mariensäule in Prag etwa war regelmäßig das Ziel von Prozessionen. 1918 wurde sie als Symbol der Habsburgerherrschaft gestürzt, und ausgerechnet 2020 nach langer Kontroverse wieder errichtet.
Neben dem Feiern und Gedenken gibt es aber auch grundlegende Veränderungen des sozialen Wissens, das anderes politisches Handeln ermöglicht. Eine Folge der Choleraepidemie in Hamburg 1892 war laut Malte Thießen etwa.
„Die Verbesserung von Sanitätsmaßnahmen in Städten, man hat die Tuberkulose, die dazu führt, dass man das Leben und Arbeiten gesünder denkt, dass man Wohnungen versucht gesünder zu planen.“

Sozialer Wandel durch Pandemien?

Sind aber solche Sozialreformen nicht auch das Ergebnis gesellschaftlicher Kämpfe? Mark Honigsbaum, Medizinhistoriker und Autor des Buches „Das Jahrhundert der Pandemien“ sagt dazu:
„Es ist sehr schwierig zu sagen, in welchem Maß tatsächlich Pandemien für sozialen und politischen Wandel verantwortlich sind. Am deutlichsten lässt sich das noch anhand der Demografie zeigen.“
Zum Beispiel gab es nach dem Ende der spanischen Grippe 1920 einen echten Babyboom. Aber lag die hohe Geburtenrate nicht vielleicht auch am Ende des Ersten Weltkriegs? Heute wissen wir beispielsweise: Die Spanische Grippe von 1918 bis 1920 war eine weltweite Pandemie, mit bis zu 50 Millionen Toten. Aber, sagt Mark Honigsbaum:
„Vielen Zeitgenossinnen und Zeitgenossen war nicht bewusst, dass sie eine Pandemie erleben. Wenn man sich die damaligen Berichte ansieht, dann gehen diese von etwa sechs Millionen Toten weltweit aus. Und es gab nicht den einen Tag, an dem alle sagten: Oh, jetzt ist es endlich vorbei. Es gab keine Möglichkeit, das Virus nachzuweisen, keine PCR-Tests, keine Impfstoffe.“

Lernen Gesellschaften dazu?

So schwierig es ist, die Auswirkungen am Ende von Pandemien dingfest zu machen: Am Anfang von Pandemien stellen Gesellschaften oft fest, dass ihr Wissen sehr unzureichend ist, sagt Malte Thießen:
„Also die unbekannten Bedrohungen sind die, die das Aufmerksamkeitsfenster weit aufreißen, und dann ist natürlich auch das Engagement besonders groß.“
Das allerdings nimmt ab, je mehr wir aber über eine Bedrohung wissen – oder zu wissen glauben. An der sogenannten Hongkong- oder auch Mao-Grippe starben 1969/70 allein in der Bundesrepublik etwa 30.000 Menschen, weltweit bis zu vier Millionen. Sie wurde in Westdeutschland aber kaum wahrgenommen. Das Problem schien weit entfernt, in Maos China, wie der Name nahe legt. So konnte sie als Pandemie auch keine sozialen Folgen in der Bundesrepublik zeitigen. Der Züricher Historiker Philipp Sarasin stellt fest:
„So reagieren Gesellschaften in allen Zeiten in einer bestimmten Art und Weise darauf, was da von außen kommt.“

Soziale Herkunft und die Gefahr einer Erkrankung

In Anführungszeichen, denn selbst wenn eine Krankheit von Menschen dorthin getragen wird, wo sie zuvor nicht war: Erreger brauchen eine für sie günstige Umgebung. Die wird auch sozial geschaffen: Während der Pest 1713 in Hamburg etwa schlichen sich hungernde in abgeriegelte Seuchenhäuser, weil dort die Essensversorgung besser war. Und auch während der aktuellen Pandemie hat man feststellen können:
„Natürlich zeigt die Pandemie eine sehr ungleiche Verteilung von Verletzlichkeit und Gefährdung. Das zeigt sich auch bei Spitaleinweisungen. Das sind in erhöhtem Maß zum Beispiel Leute mit migrantischem Hintergrund, die in schlechteren Arbeitsbedingungen sitzen und einfach einem höheren Risiko ausgesetzt sind, als ich als Prof zu Hause im Homeoffice.
Grad in der Schweiz wurde zum Beispiel nachgesagt, schaut doch mal, die Migranten sind mehr im Spital, also sind es die Migranten, die Schuld sind. Also das ist natürlich eine Interpretation dieser Daten.“
Entscheidende Kriterien sind also nicht die Herkunft, Sexualität oder Religion eines Menschen, sondern dessen Lebens- und Arbeitsbedingungen – und der Zugang zu medizinischer Versorgung. Trotzdem schaffen diese Interpretationen Fakten: Der soziale Umgang mit Seuchen sagt immer etwas über den Zustand der Gesellschaft aus. Malte Thießen:
„Das ist tatsächlich ein Armutszeugnis im 21. Jahrhundert, dass Menschen vor Gesundheit und Krankheit immer noch so ungleich sind, das finde ich als Historiker tatsächlich geradezu erschreckend.“
Können wir also Pandemien ganz einfach durch stringente und begrenzte Eindämmungsmaßnahmen beenden und endlich einen echten „Freedom Day“ feiern? Mark Honigsbaum:
„Pandemien passen nicht zu netten, erzählerischen Enden. Wir müssen vorsichtig sein: Das ist kein Hollywoodroman, in dem am Ende Brad Pitt mit einem Impfstoff auftaucht und die Welt vor der Zombieapokalypse rettet.“
Das gilt insbesondere für die Verstorbenen oder an Long Covid Leidende. Aber eben auch für besonders Gefährdete an den globalen Peripherien oder vor unserer eigenen Haustür.

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