Wie man heute Bibliotheken baut

Ein Zeichen setzen für das Buch

Studenten sitzen an Arbeitsplätzen im Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrum
Seit Oktober 2009 geöffnet: das Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrum in Berlin. © picture alliance / Christophe Gateau
Max Dudler im Gespräch mit Frank Meyer · 17.09.2018
Bibliotheken sind nicht nur Orte zum Lesen und Bücher ausleihen. Durch moderne Architektur sind sie zu Orten des öffentlichen Lebens geworden. Der Bibliotheksbaumeister Max Dudler erklärt, was ihm bei Neubauprojekten besonders wichtig ist.
Frank Meyer: Wir haben uns viel mit Bibliotheken beschäftigt in den letzten Tagen hier in der "Lesart", mit den vielen Dingen, die Menschen heute in Bibliotheken tun, neben dem klassischen Büchersuchen und -lesen. Und jetzt haben wir einen Bibliotheksbaumeister hier im Studio, den Schweizer Architekten Max Dudler. Er hat bisher sieben Bibliotheken entworfen, wenn ich richtig gezählt habe, unter anderem die neue Universitätsbibliothek der Berliner Humboldt-Universität, das Grimm-Zentrum – das wurde unter anderem mit dem Nike-Preis des Bundes Deutscher Architekten ausgezeichnet. Seien Sie willkommen in der "Lesart", Herr Dudler!
Max Dudler: Guten Tag!
Meyer: Wenn Sie in Berlin sind, wie jetzt gerade, besuchen Sie da eigentlich Ihr Baby, das Grimm-Zentrum, und schauen, wie die Menschen da rumwimmeln? Es ist ja immer voll da.
Dudler: Eher nicht. Aber ich freue mich jedes Mal, wenn ich wieder da bin in der Humboldt-Universitätsbibliothek. Nur, man hat halt – es gibt neue Aufgaben, und dann vergisst man die älteren wieder. Aber es ist immer wieder überraschend, wie toll dieses zehnjährige Gebäude sich heute noch darstellt, zeitlos und immer noch modern.
Meyer: Nach außen wirkt das ja recht streng, die Fassade ist sehr rechteckig, sehr rational. Welche Ausstrahlung sollte denn die Bibliothek nach außen haben? Was hatten Sie sich da vorgestellt?

Bauten wie ein Bücherregal

Dudler: Interessant ist ja, dass man diese Bibliothek von Weitem schon sehen kann, weil wir in die Höhe gebaut haben. Das war vom Städtebau her ein Platz, dass wir einen öffentlichen Platz vor der Bibliothek entwickeln konnten. Und die 50 Meter in die Höhe zu gehen, war natürlich wie so ein Buchregal. Und ein Buchregallager hat diese Ordnung, eine gewisse Ordnung, und hat auch natürlich – also diese Fassade ist so ein moderner Klassizismus, so wird das dargestellt. Und ich denke mir, für eine öffentliche Bibliothek von so hoher Wertigkeit muss auch ein Haus seine Typologie, seine Wertigkeit haben und seine Überhöhung. Und darum haben wir für uns entschieden, diese Fassade so zu gliedern.
Meyer: Und wenn Sie Überhöhung sagen, meinen Sie damit auch etwas Repräsentatives? Sollten Bibliotheken heute noch etwas Repräsentatives haben, also so was – eine moderne Interpretation der alten Kathedrale des Geistes?
Dudler: Völlig richtig. Es muss eine Überhöhung sein in dem Sinne, dass wirklich dem Buch eigentlich diese Wichtigkeit, in unserer digitalisierten Welt, dass man dem Buch irgendwie diese Überhöhung, diese freudvolle Sache, in diese Bibliothek reinzugehen, sollte eigentlich auch dargestellt werden. Und ich denke mir, Architektur muss auch eine gewisse Funktion haben, es muss auch eine gewisse Haltung dahinter sein. Und gerade für eine Bibliothek ist es wichtig, gerade in Berlin, weil die geht ja bis auf 50 Meter hoch. Und die wichtigen Gebäude ragen ja immer aus der Struktur des 19. Jahrhunderts raus, die 22 Meter. Und das war unser Gedanke, auch dem Buch irgendwie so ein Zeichen zu setzen.
Außenansicht des Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrums in Berlin
Nicht nur Bibliothek, sondern auch Treffpunk: das Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrum in Berlin.© picture alliance / Jens Kalaene
Meyer: 22 Meter ist die klassische Berliner Traufhöhe, so hoch sind die Häuser normalerweise. Aber wenn Sie sagen, eine Bibliothek sollte etwas Repräsentatives haben, herausstrahlen – wir haben in den letzten Tagen viel darüber geredet hier in unserer Sendung, dass Bibliotheken ja ganz neue Aufgaben heute haben, als Treffpunkte, wo Jugendliche zusammenkommen, da Fotos machen, oder wo Deutschkurse abgehalten werden. Also müssen Bibliotheken da nicht auch etwas Einladendes haben, also die Schwelle eher herabsetzen als sie repräsentativ zu überhöhen?
Dudler: Ich denke, es braucht beides. Wenn Sie gerade die Humboldt-Universitätsbibliothek ansprechen, die war ausgelegt für 3000 Leute pro Tag. Im Durchschnitt kommen momentan, glaube ich, 7000 bis 9000. Und wenn Sie da durchgehen durch die Bibliothek, da lungern die jungen Leute rum, sind im Caféhaus, sie treffen sich da – es ist wirklich wie eine kleine Stadt in der Stadt. Und der "Spiegel" hat ja einmal gesagt, das sei der größte Kontakthof von Deutschland, und ich finde es interessant, wie da Leben entstanden ist um diese Bibliothek herum. Über den Platz, im Entree drin, wenn man da durchgeht, über die Treppen hoch, da gibt es spezielle Räume, unter den abgetreppten Leseräumen, wo sich die Leute auch treffen können, wo sie rumhängen können, wo sie diskutieren können. Ich glaube, das ist auch der Grund, warum die Bibliotheken so einen unheimlichen Ansturm haben. Wir haben gerade in Heidenheim jetzt eine neue Bibliothek gebaut, eine Stadtbibliothek, für unterschiedliche Leser und Menschen, ältere und ganz junge. Und die kommt unheimlich gut an, weil es wie ein Treffpunkt geworden ist, weil die Leute sich treffen.

Einladend wie ein Café

Meyer: Und diesen Treffpunktcharakter, wie haben Sie den architektonisch vorbereitet in dem Gebäude?
Dudler: Zum Beispiel ist in Heidenheim alles viel offener, alles in Weiß, und die Räume sind sehr fließend. Man kommt rein, dann gibt es ein tolles Café auch, und Sie sehen vom Eingang aus, wie die ganze Bibliothek orientiert ist. Nebenbei ist das ähnlich auch in der Humboldt-Universitätsbibliothek, Sie kommen da rein, Sie können über die Treppen hochgehen, man kann sich sehr gut orientieren. Ich glaube, das ist auch ein Grund, warum die Leute da gern hingehen, weil sie sich gut orientieren können und weil sie unterschiedliche Raumerlebnisse entwickeln können, also Raumerlebnis in dem Sinn, wo sich die unterschiedlichen Menschen auch in unterschiedlichen Räumen treffen können.
Meyer: Ein besonders beeindruckender Raum im Grimm-Zentrum in Berlin, in dieser Universitätsbibliothek, ist der zentrale Lesesaal. Der ist riesengroß, und auf beiden Seiten gibt es wie Terrassen, fünf übereinander, Treppen da allmählich hoch. Dort sind die Leseplätze drauf. Ein sehr großer, fließender, man kann fast sagen erhabener Raum. Sollte dieser Lesesaal auch so etwas haben, so etwas Erhabenes?
Dudler: Interessant ist ja heute die Diskussion zwischen zentralem Lesesaal und dezentralem. Und wir haben beides geschafft. Durch diese Abtreppung haben wir … Auf jeder Abtreppung gibt es direkt auch den Zugang zu den Abteilungen, wo die unterschiedlichen Abteilungen sind. Und ich denke mir schon, dass gerade die – wo verwunderlich ist, die jungen Leute, die Konzentration suchen, aber auch Stadthektik, gehen unheimlich gern in den großen Lesesaal rein, wo es ganz ruhig ist, ganz konzentriert und ruhig ist. Aber dieses Lesen darin und Arbeiten ist wie so ein Raumerlebnis zusätzlich, und ich denke mir, das ist eigentlich das Wundermittel, dass man auch im Inneren eigentlich das Buch überhöht. Also der Vorgang, dass man ein Buch holt und man liest dabei und man arbeitet, schreibt dabei, dass diese Überhöhung auch im Lesesaal vorkommt. Und dieses Erhabene, wie Sie sagen, finde ich völlig richtig. Die meisten haben ja auch noch ihren Laptop dabei, sie arbeiten mit beiden Medien, Buch und dem ganzen Computerzeug. Und ich denke mir, in dieser Auseinandersetzung muss man auch eine Bibliothek sehen.

Neubauten mit Bezug zur Vergangenheit

Meyer: Das hat ja auch eine sehr alte Geschichte, auch diese großen repräsentativen Räume in Bibliotheken, das kennt man von alten Zentralbibliotheken in London oder Paris, auch von alten Klosterbibliotheken. Diese Geschichte der Bibliothek, welche Geschichte spielt die für Ihre modernen Entwürfe?
Dudler: Eine sehr große. Weil wir beziehen uns, wenn ich das ganz kurz sagen darf, wir beziehen uns viel auf die Antike, auf die Renaissance und auf die frühe Moderne. Und es gibt ja wunderschöne, gerade im 16. Jahrhundert, unheimlich schöne Bibliotheken, Cesena zum Beispiel, die sind wir Kirchenräume darin. Von irgendwoher kommt ja die Bibliothek, sie sind halt früher Kirchenräume gewesen, wo teilweise die Leute darin gearbeitet haben, die Priester. Und weiter ist er gekommen im 19. Jahrhundert, wo es wunderbare Bibliotheken – wo also der Bürger wieder angefangen hat, Bücher in Bibliotheken auszuleihen und zu lesen. Und ich denke mir, dass eigentlich diese Historie zu transformieren in was Neues, was die Zukunft bestimmt, das ist doch ein interessanter Vorgang. Also die Vergangenheit zu transformieren in die Zukunft.
Die französische Nationalbibliothek in Paris von außen
Schon vor 30 Jahren gebaut: die französische Nationalbibliothek in Paris© imago/Marius Schwarz
Meyer: In Birmingham wurde vor fünf Jahren eine riesige neue Bibliothek eröffnet, ein neuer Palast für die Stadt, so haben das einige Begeisterte geschrieben. Gibt es denn Bibliotheken von Kolleginnen oder Kollegen von Ihnen, die Sie so richtig begeistern?
Dudler: Ja, ich finde die von Perrault in Paris, die Bibliothèque Nationale am Seine-Ufer.
Meyer: Das sind diese vier Büchertürme.
Dudler: Vier Büchertürme und unten dieser wunderbare Lesesaal. Und ich denke mir, das ist auch eine städtebauliche Erhaltung, aber auch eine inhaltliche. Und ich glaube, die funktioniert auch bis heute noch. Vor 30 Jahren ist die gebaut worden, und ich denke mir, das ist ein gutes Beispiel von einem Kollegen.
Meyer: Der Bibliotheksbaumeister Max Dudler war bei uns zu Gast. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Dudler!
Dudler: Vielen Dank auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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