Wie Großkonzerne neue Kunden gewinnen wollen

Popmusik aus dem Magenta-Imperium

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Mehr als nur Marketing? Die Telekom drängt auf den Pop-Markt. © dpa / SVEN SIMON
Von Christoph Möller · 11.01.2018
Die Telekom drängt auf den Pop-Markt. Sie überträgt Konzerte als 360-Grad-Filme und betreibt ein Onlinemagazin für elektronische Musik. Ist das Kulturförderung oder reines Marketing, mit dem der angestaubte Konzern sein Image aufpolieren will?
Der Rapper Marteria hüpft auf der Bühne der Lanxess Arena in Köln herum. Man kann ihn von überall sehen, von rechts, von links, von vorne, von hinten. Mehrere Kameras filmen ihn in 360 Grad. Mit VR-Brille soll es sich so anfühlen, als stünde man im Publikum – in Wirklichkeit sitzt man aber zuhause vorm Bildschirm. "Die größte Wohnzimmerparty Deutschlands". So nennt die Telekom das Konzert, das sie für ihr MagentaMusik-Portal gedreht hat. Seit gut einem Jahr gibt es diese Konzertmitschnitte, erklärt Michael Schuld, verantwortlich für die Markenkommunikation des Unternehmens.
"Wir haben festgestellt, dass das einen unglaublichen Anklang gefunden hat, auch was die Reichweite anbetrifft. Und wir geben mit der Technik den Kunden die Möglichkeit, an Konzerten teilzuhaben, wo ich vielleicht mal kein Ticket bekommen habe, oder wo es mir vielleicht auch mal gerade zu teuer war."

Noch ist der Markt winzig

Marius Müller-Westernhagen, Rock am Ring, Wacken. 575 Millionen Abrufe hätten die Videos bislang. 1,2 Million Menschen haben sie sogar mit einer VR-Brille geschaut. Mit ihrem Portal zeigt die Telekom: Wir sind ein modernes Tech-Unternehmen und der Zeit voraus – denn noch ist der virtuelle Konzertmarkt winzig.
"Es gibt meines Wissens keinen vergleichbaren Produzenten und Kanal, der mehr Minuten und auch Kunden erreicht, was Pop- und Rockmusik anbetrifft."
Ist das Ganze also eine Win-win-Situation: für Musikfans und Großkonzerne mit angestaubtem Image? Bei 360-Grad-Videos hört es jedenfalls nicht auf: Mit dem passenden Magenta-Handytarif bekommen Telekom-Kunden Konzerttickets früher als andere. Die Street Gigs sind kleine Konzerte mit großen Stars. Exklusiv für, klar, Telekom-Kunden ... So werden Abhängigkeiten geschaffen. Etwa beim Depeche-Mode-Konzert – im 50er-Jahre-Ambiente des ehemaligen DDR-Funkhauses in Berlin.
Wer keine Lust mehr hat auf Großkonzerte mit schlechtem Sound – für den sind diese intimen Gigs perfekt.
"Die hat man mit großen Bands ganz selten …"
Sagt Marcus S. Kleiner, Professor für Kommunikations- und Medienwissenschaft an der Hochschule der Populären Künste in Berlin.
"Weil die müssen vor vielen Leuten spielen, damit ihre Gagen zahlbar sind. Und das finde ich eigentlich ganz spannend, zu sagen, wir machen den Markt etwas exklusiver, etwas kleiner, und laden dann Fans ein oder verlosen Tickets oder wie auch immer, und schaffen ein ganz intimes Musikerlebnis."

Die Musik und die Marke

Nur: Ein "echtes Liveerlebnis" – mit schweißnassem T-Shirt und schalem Bier – hat man zuhause im Wohnzimmer natürlich nicht. Aber, so Kleiner, um Kunden enger an die Marke zu binden, dazu tauge kaum etwas besser als Popmusik.
"Das ist der Soundtrack unseres Alltags. Das ist die Musik, die wir am meisten hören, generationsübergreifend, ob du zehn bist oder ob du 80 bist, Popmusik hat überall einen Einfluss. Und insofern ist es logisch, dass man Popmusik und nicht Klassik nimmt oder nicht Schlager nimmt, weil da die Märkte enger sind und viel fokussierter sind."
Neben MagentaMusik 360 und den Street Gigs betreibt die Telekom ein hauseigenes Magazin für elektronische Clubmusik: Electronic Beats. Als ambitioniertes, englischsprachiges Print-Magazin gestartet. Mittlerweile nur noch online. Mit vielen Fotos. Und vielen Videos.
Im Format B-Sides zeigen DJs rare Tracks aus ihrer Plattensammlung. Es gibt Reportagen über die deutsche Techno-Szene und Filme über Szenegrößen.
"Das wären Sachen, die so frei finanziert wahrscheinlich nie möglich gewesen wären."

Keine echte Konkurrenz für "Groove"

Meint Heiko Hoffmann, Chefredakteur des Magazins "Groove", ebenfalls ein Magazin für Clubkultur – nur eben nicht von einem transnationalen Technikriesen finanziert. Als echte Konkurrenz zur Groove sieht Hoffmann das Portal dennoch nicht. Allein schon, weil es auf Englisch ist. Dass Marken generell in Popmusik investieren, findet er in Ordnung, solange Formate entwickelt werden, die auf dem freien Markt so nicht entstehen würden, und das Engagement nachhaltig ist.
"Das gilt nicht nur für Electronic Beats, sondern auch für andere Firmen wie zum Beispiel Red Bull, die sich in der Musikszene engagieren."
Innovative Konzerterlebnisse, Förderung der elektronischen Musikszene. Medienwissenschaftler Kleiner meint, prinzipiell sei das positiv zu bewerten.
"Wenn es aber nur dieses Branding bleibt, also die Telekom ermöglicht, die Telekom ist der große Kulturförderer, der Kulturschaffer, dann ist es natürlich kritisch zu sehen, weil Popmusik für die Telekom einfach ein Produkt ist, mit dem man seine Produkte vermarktet."
Michael Schuld macht auch gar kein Hehl daraus, dass die Telekom mit Popmusik neue Kunden gewinnen will. Dass ein ständiges Branding Popfans aber auch nerven könnte und eine Szene wie die elektronische Musik für Markeninteressen ausgenutzt wird, glaubt er nicht.
"So lange man guten Content liefert, der Kunden begeistert, und man so positives Feedback bekommt, wie wir das momentan, in diesem Fall: Musik, bekommen, wüsste ich jetzt ehrlich gesagt nicht, wie man zu weit gehen könnte. Wir machen ja hier was Schönes und nichts Schlechtes."
Na ja. Manchmal treiben es die Marken-Spezialisten der Großkonzerne dann doch zu weit. Ein Auftritt von LCD Soundsystem in Berlin etwa ist letztes Jahr zum Dauerwerbekonzert verkommen. Ganze zwei Stunden mussten sich Fans einen Vortrag über eine bekannte Kopfhörermarke anhören. Als dann die Band dann endlich die Bühne betrat, hatte eigentlich niemand mehr so richtig Lust auf Musik.
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