Wie erklär' ich es meinen Kindern?

Von Maria Riederer |
Braucht Gott ein Dach über dem Kopf oder wozu bauen Gläubige Kirchen? Wenn Kinder nach dem Sinn der Kirche fragen, wollen sie auch wissen, warum man an einen bestimmten Ort gehen muss, um zu Gott zu beten.
"Warum macht man eigentlich in der Kirche eine Messe? Weil man will ja, dass die ganzen Leute zusammen bei Gott sind, aber eigentlich sind ja alle miteinander bei Gott, weil Gott hält ja die Welt in seiner Hand sozusagen."

"Ja, eigentlich ist es schon schön, und auch gut, dass man so was macht und dass man sich die Hand schüttelt und dann Frieden halt, aber wenn jeder zu Hause beten würde, wär das doch eigentlich gar nicht nötig."

"Eigentlich muss man ja nicht in die Kirche gehen, man kann genauso gut in den Wald gehen und dann beten oder einfach auf 'ne Brücke gehen oder am See spazieren gehen und beten, man braucht dafür nicht in eine Kirche gehen, also nicht unbedingt."

"Ich wollte nur sagen, Gott ist kein normaler Mensch und braucht doch kein Dach über dem Kopf."

Braucht Gott ein Dach über dem Kopf? Oder brauchen das die Gläubigen und ihre Gebete? Seit Menschengedenken bauen sie – egal, welcher Religion sie angehören – Gotteshäuser aller Arten zur Verehrung und zur Versammlung. So entstanden – und entstehen bis heute – Tempel, Kirchen, Moscheen, Synagogen – oder auch Versammlungsplätze in Wohnhäusern, unter Bäumen, unter freiem Himmel.

Wenn die Kinder nach dem Sinn der Kirche fragen, dann meinen sie nicht die Institution, sondern den Gottesdienst, die Gemeinschaft - und die Frage, warum man zum Beten an einen bestimmten Ort gehen muss, wo Gott doch überall zu finden ist.

Aus dem Buch Genesis: Jakob zog aus Beerscheba weg und ging nach Haran. Er kam an einen bestimmten Ort, wo er übernachtete, denn die Sonne war untergegangen. Er nahm einen von den Steinen dieses Ortes, legte ihn unter seinen Kopf und schlief dort ein. Da hatte er einen Traum: Er sah eine Treppe, die auf der Erde stand und bis zum Himmel reichte. Auf ihr stiegen Engel Gottes auf und nieder. Und siehe, der Herr stand oben und sprach: Ich bin der Herr, der Gott deines Vaters Abraham und der Gott Isaaks. Das Land, auf dem du liegst, will ich dir und deinen Nachkommen geben. Deine Nachkommen werden zahlreich sein wie der Staub auf der Erde. Du wirst dich unaufhaltsam ausbreiten nach Westen und Osten, nach Norden und Süden und durch dich und deine Nachkommen werden alle Geschlechter der Erde Segen erlangen. Ich bin mit dir, ich behüte dich, wohin du auch gehst, und bringe dich zurück in dieses Land. Denn ich verlasse dich nicht, bis ich vollbringe, was ich dir versprochen habe. Jakob erwachte aus seinem Schlaf und sagte: Wirklich, der Herr ist an diesem Ort und ich wusste es nicht. Furcht überkam ihn und er sagte: Wie Ehrfurcht gebietend ist doch dieser Ort! Hier ist nichts anderes als das Haus Gottes und das Tor des Himmels. Jakob stand früh am Morgen auf, nahm den Stein, den er unter seinen Kopf gelegt hatte, stellte ihn als Steinmal auf und goss Öl darauf. Dann gab er dem Ort den Namen Bet-El, Haus Gottes.

Jakob hat eine Kirche gebaut. Mit einem einzigen Stein und dem kostbaren Öl, das er bei sich trug. Dort, wo Gott dem Menschen begegnet, ist heiliger Boden – zu Hause, in der Kirche, draußen im Wald – überall. Aber der Stein, den Jakob gesetzt hat, soll an das Ereignis erinnern und die Menschen bewegen, dorthin zurückzukehren.

Das Fundament des Kölner Doms geht 17 Meter in die Tiefe. Mächtig und stabil hat dieses Bauwerk selbst den verheerenden Zweiten Weltkrieg überstanden. Nicht jedes Gotteshaus hat die Ausmaße, die Geschichte und die Anziehungskraft des Kölner Doms. Aber jede Kirche steht am Ende einer Himmelsleiter – also dort, wo Menschen Gott begegnet sind. Sie sind heiliger Boden.

Im Glaubensleben der meisten Kinder und auch Erwachsenen spielt der Gottesdienst, die Kirche, eine untergeordnete Rolle. Viele Eltern haben ihre Schwierigkeiten mit der Institution Kirche, und das spüren auch die Kinder. Und doch ist es wichtig, ihnen die Möglichkeit zu öffnen, die Kirche – in ihrem ursprünglichen Sinne – kennenzulernen. Nicht nur als Stein, als Fundament, sondern als ein Schiff, das sich bewegt, das nicht stehen bleibt, das die Menschen auf ihrem Weg zur Erkenntnis tragen soll.

Immer wieder liest und hört man die Geschichte von jungen Menschen, die allein die Welt umsegeln wollen. Ihr Wille ist eisern, und der Wunsch, selbstständig und ohne Begleitung die Meere zu überqueren so stark, dass sie auch wirklich an ihr Ziel kommen. Ihre Vision zieht sie über das Wasser, aber sie bleiben eine Ausnahme. Die meisten Menschen kommen nicht übers Meer, ohne ein Schiff zu besteigen, das von einem Kapitän und seiner Crew geführt wird und auf dem viele verschiedene Menschen mitfahren. Ein altes Lied erzählt davon:

"Es kommt ein Schiff, geladen
Bis an den höchsten Bord,
Trägt Gottes Sohn voll Gnaden,
Des Vaters ewig's Wort.

Das Schiff geht still im Triebe,
Trägt eine teure Last;
Das Segel ist die Liebe,
Der Heilig Geist der Mast.

Der Anker haft' auf Erden
Da ist das Schiff am Land.
Das Wort soll Fleisch uns werden,
Der Sohn ist uns gesandt."

Jeder Mensch kennt die Sehnsucht nach Weite, nach Unendlichkeit, nach Verstehen. Der Ozean ist ein Bild für die Geheimnisse Gottes. Alle Kinderfragen zielen geradewegs in diesen Ozean hinein. Eltern, die sich bemühen, diese Fragen zu beantworten, führen ihre Kinder schon ans Wasser heran. Und sie zeigen ihnen, dass es mehrere Wege gibt, das Meer zu entdecken und zu erobern.

Alleine reisen ist möglich. Natürlich. Aber die Gemeinschaft bietet Erfahrungen, die der einsame Sucher nicht machen kann. Denn Gemeinschaft ist die Voraussetzung für den Austausch von Erfahrungen, für Gespräche, für fröhliche Feste und für den Zusammenhalt in der Not. Warum also nicht in das Schiff einsteigen, das schon lange im Hafen liegt und jedem offen steht?

Mann: "Entschuldigen Sie, ist hier denn noch ein Platz frei für die Überfahrt?"

Frau: "Natürlich, jeder kann rein – da vorne links ist noch ein Platz frei. Und Sie?"

Ehefrau: "Nein, danke, ich bleibe hier."

Mann: "Ach, Entschuldigung, aber (flüstert)... das ist ausgerechnet mein Nachbar. Mit dem versteh' ich mich überhaupt nicht. Kann ich nicht woanders sitzen?"

Frau: "Tut mir leid – das hier ist Ihr Platz."

Mann: "Wie? Hier gibt es feste Plätze?"

Frau: "Sagen wir so – Sie werden erwartet, und das ist der Platz, der für Sie freigehalten wurde."

Mann: "Aha, na dann ..."

Ehefrau: "Siehst du, jetzt weißt du, warum das nichts für mich ist."

Frau: "Wohin möchten Sie denn eigentlich fahren?"

Mann: "Ehrlich gesagt – das weiß ich nicht genau. Aber ich hab gehört, das Schiff bringt einen näher zur Erkenntnis, näher zu Gott. Und ich wollte es mal ausprobieren. Man sagt, das Segel sei die Liebe und der Heilige Geist der Mast."

Frau: "Und Sie möchten wirklich nicht mit?"

Ehefrau: "Nein, danke. "

Frau: "Haben Sie denn keine Sehnsucht nach dem großen Meer? "

Ehefrau: "Doch, aber ich kann auch für mich selbst die Weite suchen. Ich kann am Strand entlanggehen, die Füße ins Wasser hängen und ein bisschen schwimmen. Das reicht mir. "

Mann: "Ach, komm doch mit. Mit Dir zusammen wäre die Fahrt viel schöner. Und stell Dir vor, die Kinder wären auch noch dabei. Wir würden neue Länder und Menschen kennenlernen, viel Neues sehen und hören. "

Ehefrau: "Aber man hört so viel Schlechtes. Der Steuermann soll sich schon mal verfahren haben. Bei den Matrosen gibt es auch ganz üble Gestalten. Mit denen will ich nichts zu tun haben. Und dann all die Regeln und Rituale – warum soll ich das alles mitmachen? "

Frau: "Das ist schon richtig. Auf dem Schiff sind nur Menschen, mit Fehlern und Schwächen. Aber manche haben schon wichtige Erfahrungen und Erkenntnisse gemacht: Der eine hat viele Reisen hinter sich und kann davon erzählen. Ein Anderer kann das Wetter voraussagen und ist besonders begabt im Segelsetzen. Ein Dritter kocht ganz fantastisch. Sicherlich hätten Sie auch etwas zu bieten für die anderen. "

Mann: "Ja – sie kann singen! "

Ehefrau: "Was soll das denn bringen? "

Frau: "Ach, kommen Sie doch mit! Die Stimmung ist manchmal etwas traurig an Bord, da wäre es wunderbar, wenn jemand mit Liedern wieder Schwung ins Boot bringt. "

Mann: "Ja, komm doch mit! Vielleicht findest du ja doch etwas, was du nie vermutet hättest."

Wer Gott im Wald sucht, im stillen Kämmerchen oder am Ufer eines Sees – der kann ihn dort durchaus finden. In der Stille, im Schweigen, in der Natur ist Gott oft besonders spürbar – manchmal vielleicht deutlicher als in einem für Kinder oft langweiligen Gottesdienst.

Die einsame Gottessuche kann die Gemeinschaft jedoch nicht ersetzen. Wenn die Kinder die Kirche als einen Ort kennenlernen, an dem sie willkommen sind, an dem gesungen und wirklich gefeiert wird, dann werden sie das Heilige an diesem Ort nicht mit Langeweile und Steifheit gleichsetzen.

Alles, was zwei von euch auf Erden gemeinsam erbitten, werden sie von meinem himmlischen Vater erhalten. Denn wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.

Dieses Versprechen aus dem Matthäus-Evangelium hat seine Gültigkeit nicht verloren. Das Gebet in Gemeinschaft hat ganz eine besondere Kraft. Den Kindern von heute diese Erfahrung weiterzugeben, ist die Aufgabe der Kirche.
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