"Wie die Auslandspresse schreibt"

Rezensiert von Michael Stürmer · 25.04.2010
Israels Präsident Shimon Peres ist einer der Gründervater des verhältnismäßig jungen Staates. Nun hat die Israelin Tamar Amar-Dahl das Leben des Mannes beleuchtet, der gleichzeitig Vater der israelischen Atomwaffe ist sowie Träger des Friedensnobelpreises.
Das Heilige Land ist nicht das Land der Heiligen. Das gilt auch für Shimon Peres. Er war einer der jungen Gründerväter des Staates Israel, damals vor 62 Jahren, heute ist er, an die 90 Jahre alt und immer noch im Dienst, Staatspräsident. Dazwischen liegt ein Leben, das immer wieder Teil der Geschichte des Staates, jedenfalls der Politik war: Vater der israelischen Atomwaffe, aber auch Träger, mit Itzhak Rabin, des Friedensnobelpreises.

Er träumte vom "Neuen Mittleren Osten" und musste doch mehrere Kriege führen. Er war Premierminister und davor Verteidigungsminister und Außenminister, und doch hat er niemals für die Arbeits-Partei, die klassische Partei des ashkenasischen Judentums in Israel, eine Wahl gewonnen. Es reichte allenfalls für mühselige Koalitionen, welche die Partei zerrieben und zerrissen, bis sie heute nur noch schwacher Juniorpartner des robusten "Bibi" Netanjahu geworden ist.

Eben jene Vieldeutigkeit, die die Wähler zugleich anzog und abstieß, hat Shimon Peres immer wieder auch zum Gegenstand von Büchern und kleineren Porträts gemacht, zuletzt das Buch der Israelin Tamar Amar-Dahl. Sie stellt die Fragen einer pragmatischen jüngeren Generation an die Väter und Großväter: Es sind die großen Fragen einer
ungewissen Zukunft:

"Peres ist zum einen der Mann, der nie auf dem Schlachtfeld gekämpft
hat, was in der israelischen Gesellschaft vielerorts als Defizit angesehen wird, und zum anderen der militärisch denkende Sicherheitspolitiker, der Krieg als Mittel der Konsolidierung nationalstaatlicher Unabhängigkeit versteht. Peres tritt auf als der moderne Mann, der sich der westlichen Welt zuwendet, die jüdische Nation auf den neuesten technologischen Stand bringen will, und gleichzeitig als Politiker, der sich nicht scheut, biblisch zu argumentieren. Er wird bewertet als rationaler und besonnener Staatsmann und weiser Stammesältester… gilt aber auch als verantwortlich für politische Sackgassen und eine gewisse Stagnation. In Israel unpopulär, im Ausland gern gesehen; ein Mann, der nie
als echter Israeli akzeptiert wurde, und dennoch den Israelismus wie kaum ein anderer prägte."


Ein Mann, mit andren Worten, von Widersprüchen, die allesamt die Widersprüche des Staates Israel sind, unauflösbar in Krieg und Frieden. An erster Stelle steht der Zionismus, für Peres ein nationalstaatlich-ideologisches, nahezu sakrales Projekt, die Utopie als selbst gestellter Auftrag. Aber es ist eine Utopie, die nicht nur der arabischen Welt zuwiderläuft, sondern auch in Israel selbst bei den Ultraorthodoxen auf Verweigerung trifft. An zweiter Stelle geht es um die israelische Demokratie und ihre Erstreckung:

"Demokratie, in welcher Form auch immer, gehört für Peres untrennbar
zum Zionismus, der eine westliche, moderne und somit fortschrittliche
Utopie sein soll. Demokratie soll Zugang sichern zu Moderne, Entwicklung und Prosperität. Auf diese Weise soll sich Israel von seinen arabischen Nachbarn unterscheiden."


Und, so kann man hinzufügen, sich die Sympathien Amerikas und
Europas erhalten. Israel soll nach dem Willen der großen Mehrheit der
Israelis jüdisch und demokratisch sein. Zu den Konsequenzen
gehört die Idee der Zweistaatenlösung. Denn die Israelis sehen vor sich eine demographische Lage, die sie entweder in die Scheidung zwingt von den Palästinensern, oder aber in den Apartheids-Staat. Doch sie wollen beides bleiben, jüdisch und demokratisch, und sie brauchen den Westen, und deshalb muss die Trennung sein, je früher desto besser. Doch bis zu ernsthaften Verhandlungen und schmerzhaften Kompromissen ist noch ein weiter Weg. Vorerst geht es mehr um Gewalt, innerstaatlich und zwischenstaatlich.

Am deutlichsten wird das in dem Atomprojekt, das Peres in den 1950er-
und 60er-Jahren als Minister vorantrieb und zugleich mit dem umgab, was die Israelis "planvolle Doppeldeutigkeit" nennen. Die einfachste Form ist die, von Atomwaffen zu sprechen und den Satz hinzuzufügen:

"Wie die Auslandspresse schreibt". Damit wird offen gelassen, ob
Israel über atomare Waffen verfügt oder nicht verfügt. Peres ist der
Mann, der zwischen Gedanke und Tat, zwischen Analyse und Strategie
Entscheidendes immer offen lässt.
"Darin liegt wohl das Geheimnis seiner ausgeprägten politischen
Überlebenskunst. Damit wird der Eindruck vermittelt, er setze sich mit der jeweiligen politischen Frage auseinander. Doch ein näherer Blick offenbart die Unfähigkeit des Verfassers zur politischen Auseinandersetzung. Sein Ziel ist Entpolitisierung der sehr wohl politischen Themen, die Bestätigung der herrschenden Ordnung, nicht deren politische Erörterung. Diese Dialektik des entpolitisierten Schreibens macht aus Peres einen Anwesenden, der dennoch in gewissem Sinne von der Debatte abwesend bleibt. Er ist immer da, in irgendeiner Machtposition, seine jeweilige Politik und seine Meinung aber bleiben dezidiert unausgesprochen."


Dies ist das scharfsinnige Buch einer zornigen jungen Frau, das man lesen muss, um Kritik und Krise zwischen den Generationen im heutigen Israel zu verstehen. Peres ist längst eine historische Figur, er steht für das Establishment des jüdischen Staates und hat alle Kapitel in dessen Geschichte mitgeschrieben.

Er kam aus dem weißrussischen jüdischen "Schtetl" und wurde, zionistischer Nationalist, ein Mann von Weltrang. Er war immer dabei in einer Mischung aus Patriotismus und Opportunismus. Aber die junge Autorin will vom Politiker, Buchautor und Staatspräsidenten wissen, wohin es denn geht, wie die Lage morgen und übermorgen ist, zur Zeit der Kinder und Enkel. Dabei hat sie keinen Zweifel - und spricht das auch mit der Unbefangenheit einer Folgegeneration aus - dass Peres der letzte ist aus der alten Garde, die den Staat gründete gegen alle Widrigkeiten und Israel zur High-Tech- und Wohlstandsinsel in einem Ozean von Hass und Misswirtschaft gemacht hat. Aber es bleiben nervöse Energie und Ungeduld angesichts der Lage: Frau Amar-Dahl spricht von "zivilem Militarismus" und "Selbstghettoisierung" Israels.

Es ist der traurige Schluss eines klugen Buches. Hätte es eine
Alternative gegeben? Die Frage, die über Krieg und Frieden im Nahen
Osten entscheidet, muss offen bleiben.

"Das Ziel der jüdischen Nationalbewegung vom Ende des 19. Jahrhunderts ist nicht erreicht: Den Juden eine sichere Heimat zu
gewährleisten und das jüdische Leben zu normalisieren."


Tamar Amar-Dahl: Shimon Peres. Friedenspolitiker und Nationalist
Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2010
Cover: "Tamar Amar-Dahl: Shimon Peres"
Cover: "Tamar Amar-Dahl: Shimon Peres"© Verlag Ferdinand Schöningh