Wie der Staat menschliches Handeln beeinflusst

Rezensiert von Simone Schmollack · 21.04.2013
Der australische Politologe Kenneth Minogue setzt sich in seinem Buch mit der Frage auseinander, was staatliches Handeln und menschliche Moral miteinander zu tun haben. Seiner Ansicht nach raubt der Staat den Menschen die Freiheit und macht sie zu unmündigen Bürgern.
Nehmen wir nur mal die Familienpolitik. Der Großteil der Menschen in Deutschland kritisiert, was Politiker für Familien tun. Aber nur rund die Hälfte der jungen Eltern hierzulande weiß überhaupt, was die Parteien zu den Sorgen von Müttern, Vätern und Kindern zu sagen haben. Es interessiert sie schlichtweg nicht.

Gleichzeitig fordern die Menschen, der Staat solle etwas für sie tun. Ist das vermessen? Grotesk? Plemplem? Es ist der beste Weg in einen Totalitarismus. Behauptet zumindest Kenneth Minogue.

Der australische Professor für politische Wissenschaft beschäftigt sich ausführlich mit der Frage, was staatliches Handeln und menschliche Moral miteinander zu tun haben. Er vertritt die Ansicht, dass der Staat den Menschen die Freiheit raubt und sie zu unmündigen und - salopp gesagt - faulen Bürgern macht. Eine steile These.

Denn er meint nicht etwa Terrorregime oder Diktaturen, in denen Unterdrückung und das Verbot freier Meinungsäußerung an der Tagesordnung sind. Nein, er rückt den demokratischen Staat in den Fokus seiner Analyse. Und dieser demokratische Staat, das jedenfalls glauben die meisten Menschen, gibt ihnen Freiheit und fordert von ihnen Eigeninitiative.

Natürlich gibt es Einschränkungen: Der Staat schreibt den Menschen durch Regeln und Gesetze vor, wie sie sich zu verhalten haben. Sie dürfen nicht bei Rot über die Straße gehen und kein Pferdefleisch als Rindfleisch verkaufen. Sie haben ihre Steuern zu bezahlen und wenn sie das nicht tun, müssen sie damit rechnen, bestraft zu werden. Diese Vorgaben akzeptieren die meisten, das entspricht ihrer Moral.

Leistungen machen Menschen zu Sklaven des Staates
Gleichzeitig bekommen die Menschen etwas vom Staat: Kindergeld, Sozialhilfe, Subventionen für die Oper und fürs Schwimmbad, manchmal sogar einen Kitaplatz. Einige Menschen kriegen noch was oben drauf: eine bezahlte Wohnung, wenn sie keinen Job haben, Geld dafür, dass sie ihr Kind zu Hause betreuen, und vor nicht allzu langer Zeit sogar eine Prämie, wenn sie sich ein neues Auto kaufen.

Diese Geschenke mögen prima sein. Aber sie machen, folgt man Minogues Gedanken, die Menschen abhängig vom Staat - und damit zu Sklaven des Staates. Und das zerstört ihre Moral und produziert - zugespitzt formuliert - Einheitsmenschen.

"Gesellschaft ist nicht länger eine Vereinigung unabhängiger selbsttätiger Personen, deren Notlagen und Leiden durch die Macht kuriert werden müssen. Das Konzept der ‚Hilfsbedürftigkeit‘ hat so an Umfang gewonnen, dass es mittlerweile nicht nur die Opfer von Unglücksfällen und Verbrechen umfasst, sondern auch die Verbrecher selbst." (Seite 29)

Das habe mit Egalität, so wie sie Philosophen einst vorschwebte, nicht mehr viel zu tun, meint der emeritierte Hochschullehrer. Denn Gleichheit heißt auch immer Ungerechtigkeit. Ungerechtigkeit aber widerspricht der heutigen Auffassung, die die Menschen von einem demokratischen Sozialstaat haben.

Der soll schließlich dafür sorgen, dass es denen, die keine guten Startbedingungen haben, krank, alt oder sonst wie benachteiligt sind, ähnlich gut geht wie denen, die die Gesellschaft tragen. Die Idee ist so schlecht nicht, meint auch Minogue. In seinen Augen aber ist der Staat mittlerweile so übermächtig, dass den Menschen der natürliche Instinkt abhandengekommen ist, aus sich heraus moralisch zu leben. Sie können nicht einmal mehr definieren, was Moral ist.

"Bin ich ein Dieb, wenn ich Shampoo-Päckchen aus dem Hotelzimmer mitnehme, oder ein Lügner, wenn ich so tue, als hätte mir etwas sehr gefallen, um nicht die Gefühle anderer zu verletzen? Auf dieser Ebene ist die moralische Lebensführung ein Sumpf." (Seite 179)

Gleichzeitig schreibt der Staat den Menschen bis ins Privatleben vor, was sie zu tun haben.

"Die meisten westlichen Regierungen sehen es gar nicht gern, dass ich rauche, mich falsch ernähre oder zu viel trinke - und das sind nur die öffentlich gemachten Missfallensäußerungen, solche, die zu Gesetzen oder öffentlichen Kampagnen führen." (Seite 9)

Cover: "Kenneth Minogue: Die demokratische Sklavenmentalität"
Cover - "Kenneth Minogue: Die demokratische Sklavenmentalität"© Manuskriptum Verlag
Der Staat macht aus Erwachsenen Kinder
Was würde der Autor, der als Australier eher dem unbändigen amerikanischen Freiheitsstreben folgt als einer strammen westeuropäischen Disziplin, wohl dazu sagen, zwänge man ihm einen Fahrradhelm auf? Schriebe man ihm vor, wie hoch die Hecke in seinem Garten zu sein hat? Verböte man ihm, abends nach zehn im Straßencafé zu sitzen?

Angesichts dieser Unsinnigkeiten, die in Deutschland überhand nehmen, möchte man Minogue zujubeln. Ja, auf diese Weise unterwirft der übereifrige Staat seine Bürgerinnen und Bürger, er macht aus Erwachsenen Kinder.

Aber Kinder müssen nicht nur umsorgt werden, sondern auch versorgt. Das übernimmt der Staat gern. Und das haben manche Menschen ganz genau verstanden. Warum arbeiten, wenn es doch Hartz IV gibt? Wieso für ein U-Bahn-Ticket bezahlen, wenn kaum Kontrolleure durch die Waggons gehen? Und weshalb die Haushaltshilfe anmelden, wenn jeder seine Putzfrau schwarz bezahlt?

Ja, es gibt Sozialschmarotzer, und Menschen, die sich auf andere verlassen und es vollkommen verlernt haben, für sich selbst Verantwortung zu übernehmen. Es gibt Betrüger, Kriminelle und Wahnsinnige.

Aber die sind nicht allein das Produkt des Sozialstaates. Die hat es schon im Mittelalter gegeben, im Frühkapitalismus und in verschiedenen Diktaturen. Die wird es immer geben. Menschen zu Göttern machen zu wollen, die einzig ihrem Gewissen folgen und stets das Richtige tun, ist eine schöne Utopie. Aber auch das hat Kenneth Minogue erkannt:

"Nur wenige Dinge sind zerstörerischer als politische Träume von Vollkommenheit." (Seite 16)


Kenneth Minogue: Die demokratische Sklavenmentalität. Wie der Überstaat die Alltagsmoral zerstört
Goldmann Verlag, Waltrop/Leipzig 2013
458 Seiten, 34,80 Euro
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