Wie das Reisen zu den Menschen kam
Baden-Baden hat neuerdings eine Museumsmeile: Direkt neben der Staatlichen Kunsthalle und dem Museum Frieder Burda steht jetzt ein Museum für Kunst und Technik des 19. Jahrhunderts, gestiftet von dem Baden-Badener Unternehmer Wolfgang Grenke. Die erste Ausstellung widmet sich dem Thema Reisen.
In einer Vitrine liegt der Schädel eines Löwen, in dessen Kiefer noch die Kugel steckt, die ihn zur Strecke brachte – was da ein deutscher Hauptmann als kapitale Trophäe von einem Militäreinsatz aus Tansania in die Heimat schleppte, zählt neben einem ausgestopften Äffchen, einem Känguru oder einem Gorilla zu den eher kuriosen Exponaten, mit denen diese Schau die Faszination der Ferne zu illustrieren sucht.
Bis weit in die Neuzeit hinein war das Reisen lästig und gefährlich, es diente Handel, Forschung und Eroberung, von Romantik keine Spur. Zur Bildungs- und Lustreise, wie sie dann im 19. Jahrhundert in Mode kam, wiesen die Künstler den Weg, sagt Kuratorin Barbara Wagner:
"Die Künstler waren die Ersten, die losgefahren sind in die Ferne und die Motive zurückgebracht haben in die Heimat, und dadurch einfach ein Sehnsuchtsmotiv entwickelt haben. Die haben inspiriert, und jeder wollte dann auf Goethes Spuren wandeln und ist dann gerne auf diesen Spuren weitergereist."
Mit Gemälden zunächst zeichnet die Schau die klassischen Reiserouten nach, den Rhein hinauf über die Alpen, nach Italien, Griechenland bis zu den Pyramiden und nach Palästina. Wie dabei einige Orte ikonisch werden, wie die Bilder antiker Ruinen das Fernweh wecken, verweist schon auf das Wechselspiel zwischen den Zielen der touristischen Sehnsucht und den produktiven Phantasien, die technischen Voraussetzungen zu entwickeln, um die fernen Orte auch erreichbar zu machen und das Erlebte zu dokumentieren.
Die Bilder erst einmal: 1834 beispielsweise hat der Maler Andreas Achenbach einen Blick geworfen vom Rolandsbogen auf das Rheintal hinüber zum Drachenfelsen. Es ist der Blick des Romantikers, der in die Ferne schweift, die dann touristisch auch erobert werden will, sagt Museumsleiter Matthias Winzen:
"Bevor ich die Reise antrete, also das zu erreichende Ziel, da ist Sehnsucht im Spiel. Und diese Energie, die seelische Energie, irgendwohin kommen zu wollen, hat natürlich sehr viel mit dem Bilderleben zu tun, wenn ich in eine romantisierte Ferne wie z.B. bei Andreas Achenbach, wunderbare Rheinlandschaft, wenn ich in ein solches Bild hineinschaue."
Kunst und Technik dann: Während der Rhein idealisiert und romantisiert wird, macht man sich gleichzeitig daran, sein Bett zu begradigen, den Strom zu industrialisieren, seine Ufer mit Schienensträngen zu säumen. Es war ja die Eisenbahn, welche die große Mobilmachung erst ermöglichte, und eine riesige Bahnhofsuhr steht für die Tatsache, dass verlässliche Fahrpläne eine Gleichschaltung der damals oft noch unterschiedlichen Ortszeiten erforderlich machten.
Dennoch blieb das Reisen noch lange ein Privileg der Reichen und Gebildeten. Der kleine Mann, dem Freizeit ohnehin ein Fremdwort war, unternahm Ausflüge ins Grüne oder in Vergnügungsparks und zoologische Gärten; im Panoptikum oder zu Hause konnte er das Reisen eben simulieren, auch schon in der Kinderstube:
"Mit Reisespielen, die dann auch schon richtig didaktisch aufgearbeitet sind, wo man dann anhand von Reiseführern noch mal diese Ferne erschließen kann in Vorbereitung, Nachbereitung oder als Ersatz."
Fotoalben, Souvenirs, Reisetagebücher, Landkarten, Postkarten und Plakate von Kreuzfahrtschiffen und den ersten Reiseunternehmen sind zu sehen, aber auch Fernschreiber, Fotoapparat und Phonograph als neue Kommunikationsmittel – eine spürbare Beschleunigung des Alltags, die nicht selten noch das Weltbild erschütterte, weiß Matthias Winzen:
"Da gibt es die doch häufige Begebenheit, dass Bauern, Landvolk, ins Gebüsch springt, weil da eine laut knatternde Kutsche ohne Pferde naht, d.h. das ist Teufelswerk, und es wird mit mittelalterlicher Weltdeutung die fortschrittlichste technische Entwicklung missverstanden. Also da treffen wirklich Welten aufeinander. Und das ist sehr farbig am 19. Jahrhundert."
Mobilität wird so als Mentalitätsgeschichte einer Epoche erfahrbar, und einige Vehikel aus dieser Pionierzeit sind natürlich ebenfalls ausgestellt: eine Draisine, der Vorläufer des Fahrrads, ein frühes Automobil ohne Verdeck, dafür mit Schirmständer, und ein geschichtsträchtiges Motorrad der Marke NSU:
"Mit diesem Motorrad wurde zum Beispiel Amerika einmal durchquert von einem waghalsigen Mobilisten, der in 28 Tagen von San Francisco nach New York unterwegs war."
Gleichwohl: die Schau kommt nicht so recht in Fahrt. Enzyklopädische Breite kann man nicht erwarten in diesem neuen Mini-Museum, das sich mit zwei halbmondförmigen Räumen auf zwei Etagen bescheiden muss, gerade mal 400 Quadratmeter groß, und das auf museale Animationseffekte fast komplett verzichtet.
Dennoch tourt man tapfer durch das komplexe Thema, versucht aus der Not eine Tugend zu machen und verlegt einen guten Teil der Schau in den lesenswerten Katalog. Doch der Koffer, sprich das Museum, ist halt viel zu klein, um alles reinzupacken, was da mitzunehmen wäre auf diese Zeitreise.
Die nächsten Ausstellungen werden vermutlich auch nicht viel rasanter; zumindest bei einer wird die Kulturgeschichte buchstäblich kurzgeschnitten. Ihr Thema: Die Erfindung des Rasenmähers.
Service:
Die Ausstellung "Reisen. Ein Jahrhundert in Bewegung" ist bis zum 6. September 2009 im Museum für Kunst und Technik des 19. Jahrhunderts in Baden-Baden zu sehen, danach in der Stiftung Schloss und Park Benrath in Düsseldorf.
Bis weit in die Neuzeit hinein war das Reisen lästig und gefährlich, es diente Handel, Forschung und Eroberung, von Romantik keine Spur. Zur Bildungs- und Lustreise, wie sie dann im 19. Jahrhundert in Mode kam, wiesen die Künstler den Weg, sagt Kuratorin Barbara Wagner:
"Die Künstler waren die Ersten, die losgefahren sind in die Ferne und die Motive zurückgebracht haben in die Heimat, und dadurch einfach ein Sehnsuchtsmotiv entwickelt haben. Die haben inspiriert, und jeder wollte dann auf Goethes Spuren wandeln und ist dann gerne auf diesen Spuren weitergereist."
Mit Gemälden zunächst zeichnet die Schau die klassischen Reiserouten nach, den Rhein hinauf über die Alpen, nach Italien, Griechenland bis zu den Pyramiden und nach Palästina. Wie dabei einige Orte ikonisch werden, wie die Bilder antiker Ruinen das Fernweh wecken, verweist schon auf das Wechselspiel zwischen den Zielen der touristischen Sehnsucht und den produktiven Phantasien, die technischen Voraussetzungen zu entwickeln, um die fernen Orte auch erreichbar zu machen und das Erlebte zu dokumentieren.
Die Bilder erst einmal: 1834 beispielsweise hat der Maler Andreas Achenbach einen Blick geworfen vom Rolandsbogen auf das Rheintal hinüber zum Drachenfelsen. Es ist der Blick des Romantikers, der in die Ferne schweift, die dann touristisch auch erobert werden will, sagt Museumsleiter Matthias Winzen:
"Bevor ich die Reise antrete, also das zu erreichende Ziel, da ist Sehnsucht im Spiel. Und diese Energie, die seelische Energie, irgendwohin kommen zu wollen, hat natürlich sehr viel mit dem Bilderleben zu tun, wenn ich in eine romantisierte Ferne wie z.B. bei Andreas Achenbach, wunderbare Rheinlandschaft, wenn ich in ein solches Bild hineinschaue."
Kunst und Technik dann: Während der Rhein idealisiert und romantisiert wird, macht man sich gleichzeitig daran, sein Bett zu begradigen, den Strom zu industrialisieren, seine Ufer mit Schienensträngen zu säumen. Es war ja die Eisenbahn, welche die große Mobilmachung erst ermöglichte, und eine riesige Bahnhofsuhr steht für die Tatsache, dass verlässliche Fahrpläne eine Gleichschaltung der damals oft noch unterschiedlichen Ortszeiten erforderlich machten.
Dennoch blieb das Reisen noch lange ein Privileg der Reichen und Gebildeten. Der kleine Mann, dem Freizeit ohnehin ein Fremdwort war, unternahm Ausflüge ins Grüne oder in Vergnügungsparks und zoologische Gärten; im Panoptikum oder zu Hause konnte er das Reisen eben simulieren, auch schon in der Kinderstube:
"Mit Reisespielen, die dann auch schon richtig didaktisch aufgearbeitet sind, wo man dann anhand von Reiseführern noch mal diese Ferne erschließen kann in Vorbereitung, Nachbereitung oder als Ersatz."
Fotoalben, Souvenirs, Reisetagebücher, Landkarten, Postkarten und Plakate von Kreuzfahrtschiffen und den ersten Reiseunternehmen sind zu sehen, aber auch Fernschreiber, Fotoapparat und Phonograph als neue Kommunikationsmittel – eine spürbare Beschleunigung des Alltags, die nicht selten noch das Weltbild erschütterte, weiß Matthias Winzen:
"Da gibt es die doch häufige Begebenheit, dass Bauern, Landvolk, ins Gebüsch springt, weil da eine laut knatternde Kutsche ohne Pferde naht, d.h. das ist Teufelswerk, und es wird mit mittelalterlicher Weltdeutung die fortschrittlichste technische Entwicklung missverstanden. Also da treffen wirklich Welten aufeinander. Und das ist sehr farbig am 19. Jahrhundert."
Mobilität wird so als Mentalitätsgeschichte einer Epoche erfahrbar, und einige Vehikel aus dieser Pionierzeit sind natürlich ebenfalls ausgestellt: eine Draisine, der Vorläufer des Fahrrads, ein frühes Automobil ohne Verdeck, dafür mit Schirmständer, und ein geschichtsträchtiges Motorrad der Marke NSU:
"Mit diesem Motorrad wurde zum Beispiel Amerika einmal durchquert von einem waghalsigen Mobilisten, der in 28 Tagen von San Francisco nach New York unterwegs war."
Gleichwohl: die Schau kommt nicht so recht in Fahrt. Enzyklopädische Breite kann man nicht erwarten in diesem neuen Mini-Museum, das sich mit zwei halbmondförmigen Räumen auf zwei Etagen bescheiden muss, gerade mal 400 Quadratmeter groß, und das auf museale Animationseffekte fast komplett verzichtet.
Dennoch tourt man tapfer durch das komplexe Thema, versucht aus der Not eine Tugend zu machen und verlegt einen guten Teil der Schau in den lesenswerten Katalog. Doch der Koffer, sprich das Museum, ist halt viel zu klein, um alles reinzupacken, was da mitzunehmen wäre auf diese Zeitreise.
Die nächsten Ausstellungen werden vermutlich auch nicht viel rasanter; zumindest bei einer wird die Kulturgeschichte buchstäblich kurzgeschnitten. Ihr Thema: Die Erfindung des Rasenmähers.
Service:
Die Ausstellung "Reisen. Ein Jahrhundert in Bewegung" ist bis zum 6. September 2009 im Museum für Kunst und Technik des 19. Jahrhunderts in Baden-Baden zu sehen, danach in der Stiftung Schloss und Park Benrath in Düsseldorf.

Blick in den ersten Stock des Neubaus© Wolfgang Breyer