Wickert: Boulevardthemen sind eher unwichtig

Moderation: Liane von Billerbeck |
Der Herausgeber von zoomer.de, Ex-Tagesthemen-Moderator Ulrich Wickert, sieht keine Gefahr, dass Boulevardthemen die politischen Themen auf dem Nachrichtenportal verdrängen könnten. Zwar können die User bei zoomer.de über die Gewichtung der Themen abstimmen, aber Umfragen zeigten, dass an Boulevard nur wenig Interesse besteht.
Liane von Billerbeck: Der Branchenprimus ist hierzulande "Spiegel Online", aber von dem Kuchen, mit dem man mit Nachrichten im Internet Geld verdienen kann, da wollen auch andere was abhaben. Jetzt hat der Holtzbrinck-Verlag ein solchen Nachrichtenportal gestartet, www.zoomer.de heißt das. Zwar richtet sich das an ganz Junge, aber ein alter Hase ist auch dabei: Uli Wickert, einst Mister Tagesthemen, und ihn werden wir über www.zoomer.de ausfragen. (…) Das Feuilletonpressegespräch heute mit Uli Wickert vom Internetportal www.zoomer.de. Tag, Herr Wickert!

Ulrich Wickert: Hallo, Tag, Frau von Billerbeck!

von Billerbeck: Der einstige "Mister Tagesthemen" der ARD auf einem Internetportal und mit einem eigenen Videokommentar. Ist das so "das Zirkuspferd muss tanzen, wenn es die Kapelle hört" - also, ging es doch nicht ganz ohne Fernsehen, wenn es auch im Internet ist?

Wickert: Das Internet ist ja eine ganz spannende Sache, und Leute, die wie ich immer wieder recherchieren müssen, ob das nun bei den Tagesthemen war, weil man plötzlich irgendetwas wissen wollte, was zu einer Moderation gehörte, ob es zu den Krimis gehört, die ich schreibe, man ist dauernd im Internet und es ist abenteuerlich, was man da finden kann. Da ist sehr viel Müll, gar keine Frage, schrecklicher Müll, aber man kann auch sehr gute Sachen finden, sehr präzise Sachen finden. Und ich gehöre zu den Leuten, die dann neben Radiohören tagsüber auch immer wieder mal auf "tagesschau.de" gehen oder auf "Spiegel Online" gehen, um zu gucken, was hat sich entwickelt? Zum Beispiel in diesen Tagen - wer ist jetzt wieder festgenommen worden wegen Steuerhinterziehung?

Und als Stefan von Holtzbrinck, der Verleger des Holtzbrinck-Verlages, mich gefragt hat, ob ich da mitmachen würde, habe ich mir erst einmal die Redaktion angeguckt und auch das Konzept. Und dann habe ich festgestellt, hier wird sehr seriös gearbeitet, hier geht es um das, was man in unseren Kreisen Qualitätsjournalismus nennt, was bei Holtzbrinck ja auch nicht verwundert, denn Holtzbrinck gibt "Die Zeit" heraus und gibt den "Tagesspiegel" in Berlin heraus und das "Handelsblatt", und da habe ich gesagt: In dem neuen Medium mal mitzumachen, das macht Spaß.

von Billerbeck: Dann wollen wir das neue Medium www.zoomer.de erst mal unseren Hörern vorstellen, die das noch nicht kennen, und das tut
Michael Maier: Nachrichten zum Abstimmen - Zoomer.de lässt User Themen gewichten.

"Wollen wir doch mal Klartext sprechen: Da regt sich die politische Klasse über Steuerflüchtlinge auf. Das ist doch nichts Neues: Jeder, der sich ein bisschen auskennt, der weiß, nicht einige Hundert, sondern zehntausende Deutsche hinterziehen Steuern in Liechtenstein, in der Schweiz und in Luxemburg. ( ... ) Dabei duldet die politische Klasse in Europa dieses kriminelle System des Fürsten von Liechtenstein und anderer Gauner. Da müssen wir anfangen."

von Billerbeck: Das war Ulrich Wickert im Internet und zwar auf dem Newsportal www.zoomer.de, und wir haben ihn jetzt am Telefon und sprechen mit ihm. Herr Wickert, dieses Motto von zoomer.de - wir bieten euch die Möglichkeit, euch am Nachrichten machen zu beteiligen -, das hat so ein bisschen was von einem Shakespeare Stücktitel, also: Nachrichten, wie es euch gefällt. Wie dürfen wir uns das vorstellen?

Wickert: Ja, das ist aber ganz interessant. Wir haben gestern schon über zwei 200.000 Page Impressions gehabt, was wirklich sehr, sehr viel ist. Und dann kommt das Interessante, ich habe das ja gerade eben gehört in Ihrem Bericht, werden die Boulevard-Themen nicht nach vorne geholt? Ich sage Ihnen mal, was gestern bei uns die am meisten angeklickten Themen waren: Unter den Top Zehn stehen zwei Mal der Steuerskandal.

von Billerbeck: Na gut, das bedient die menschliche Neugier und die Schadenfreude.

Wickert: Gut. Dann kommt Kosovo, dann kommt natürlich das Top-Thema Zoomer Lounge, unser Redaktionsblog Innenleben, und Obama. Kein einziges Boulevard-Thema! Das ist das Interessante, und das ist auch das, womit in den Vorbereitungen für zoomer die Redaktion sich sehr befasst hat: Was wollen junge Leute sehen? Und dann hat man festgestellt, dass - ich kann den Namen kaum aussprechen, weil ich das so schrecklich finde - diese Frau namens Paris Hilton, das steht am allerletzten auf der Skala, was die interessiert. Und das finde ich, das macht Mut, das zeigt, wir haben wahrscheinlich Vorurteile, wenn wir glauben, nur weil alle bei RTL diese Superstars-Sendung gucken - das sind wahrscheinlich gar nicht so junge Leute, sondern das sind wahrscheinlich auch noch Erwachsene, Alte, die dahingucken -, nur weil da viele gucken, müssen sie bei einem Nachrichtenportal nicht auf diese bunten Geschichten gehen.

von Billerbeck: Nur ist ja die Frage, wenn der Nutzer oder die Nutzerin entscheiden darf darüber, wie tief die Redaktion in die Recherche eines bestimmten Themas einsteigt, dann weiß die Redaktion ja vorher gar nicht, welches Thema das sein wird. Haben die denn dann für dieses Thema auch die richtigen Leute, die also wirklich da seriös recherchieren? Denn das haben Sie ja am Anfang sehr stark betont, dass es sich um seriösen Journalismus handelt.

Wickert: Es sind 40 ausgebildete, feste, bisher schon bei Zeitungen oder im Internet arbeitende Journalisten, die in der Redaktion sind und arbeiten. Das sind richtige Journalisten, die wissen, was sie tun. Und es sind ja nicht nur die User, die bestimmen, welches Thema bearbeitet wird, sondern die Redaktion stellt als erstes ein Thema auf die erste Seite, und eine halbe Stunde lang kann der User überhaupt nicht dieses Thema runterwählen, sondern es steht erst mal da. Und es gibt zwischen dem User und der Redaktion sozusagen eine Balance, auch die Redaktion kann eine gewisse Wertigkeit einem Thema geben, und dann dauert es eine ganze Weile, bis der User dieses Thema auf Platz zwei, Platz drei, Platz vier oder Platz fünf runterwählen kann.

von Billerbeck: Nun haben Sie erwähnt, dass es kein Boulevard-Thema - wenn man die Steuerfahndung, die auch so Momente davon hat, jetzt mal weglassen -, kein Boulevard-Thema ist, was da auf den ersten Plätzen steht bei zoomer.de, aber trotzdem die Frage: Wie weit wäre man dann bereit, im Liefern von Nachrichten oder Hintergrund auf diesen Publikumsgeschmack einzugehen?

Wickert: Erstens, ich bin ja Herausgeber dieses Portals, ich selber hasse diese Arten von Boulevard-Themen, die ja manchmal einfach nur noch den Kopf voll weiteren Müll füllen. Das ist unwichtig. Die Redaktion aber, und das kriege ich in den Redaktionskonferenzen mit, die Redaktion aber hat auch keine Lust auf diese Boulevard-Themen, die Redaktion geht erst mal davon aus, dass die Boulevard-Themen - wenn es nicht irgendwelche Dinge sind, die wirklich, wo man sagt, na ja, da kann man nicht dran vorbeigehen, wie diese berühmten Geschichten vom kleinen Eisbär -, die Redaktion hat erst mal auch keine Lust auf Boulevard-Themen, sondern die Redaktion geht sehr seriös mit den politischen Themen um. Und wenn Sie sich die Steuerfahndung angucken, oder wenn Sie sich angucken, was gemacht wird zum amerikanischen Wahlkampf oder zum Wahlkampf in Hamburg, dann finden Sie da nicht ein Thema, da finden Sie vier, fünf verschiedene Themen, bis hin zu Grafiken, bis hin zu Landkarten etc. Auch wenn Sie sich angucken, was zum Thema Kosovo gemacht worden ist, das ist schon sehr seriöser Journalismus.

von Billerbeck: Ein Satz, der immer inbrünstig von allem, was so neu auf dem Markt ist, auch im Internet, kolportiert wird, ist ja der, dass sie eine jugendliche Zielgruppe anstreben, haben oder haben wollen, insbesondere die 14- bis 29-Jährigen. Das klingt immer so ein bisschen, als sei Jugendlichkeit per se gut. Was sagt denn die Jugend über die Qualität der Nutzer von zoomer.de aus?

Wickert: Erstens mal, das soll nicht bis 29 gehen, sondern das ist schon eher ...

von Billerbeck: Ich habe das jetzt untertrieben.

Wickert: ... ja, so bis 35, 40. Und ich glaube, dass die Idee dahinter ist, dass man sich angeguckt hat, was für Portale gibt es schon? Und es gibt in Deutschland ganz hervorragende Nachrichtenportale. Als allererstes "Spiegel Online", gar keine Frage, "tagesschau.de" ist etwas, was ich mir auch ständig angucke, die "Süddeutsche Zeitung", "Tagesspiegel", alle haben Nachrichtenportale, und da sagt man sich, jetzt suchen wir uns mal etwas aus, was wir anders machen, was wir vielleicht so machen, wie es eher dem Internetbenutzer entspricht.

Es gibt ja gerade bei den jüngeren Generationen viele, die schon keine Lokalzeitung mehr lesen oder gar keine Zeitung mehr lesen, die sich nur noch über das Internet informieren, und die sind eigentlich gemeint, während einer, der auf das Nachrichtenportal von der "Süddeutschen Zeitung" geht, der geht auf ein Zeitungsportal. Und hier ist eben gemeint, hier ist keine Zeitung dahinter, sondern hier kommt es aus dem Internet selbst.
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