Werkschau von David Hockney in Hamburg

Puppenartige Wesen und klinisch-reine Fassaden

05:55 Minuten
David Hockney: Mr and Mrs Clark and Percy, 1970/71
Alles ist gezähmt: David Hockneys Gemälde "Mr and Mrs Clark and Percy" von 1970/71 wird in Hamburg gezeigt. © David Hockney, Foto: Tate
Von Anette Schneider |
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David Hockney ist einer der erfolgreichsten noch lebenden Maler. Das Hamburger Bucerius Kunst Forum gibt einen Überblick über sein Schaffen: Es zeigt gut 100 Zeichnungen, Gemälde und Grafiken des 82-jährigen Künstlers.
Man muss gar nicht wissen, dass sein Produktionsausstoß in den letzten Jahren geradezu maßlos anstieg, und seine Bilder immer noch größer und bunter werden. So wie David Hockney da leicht verschmitzt grinsend auf dem über 7,6 Meter breiten Atelierbild steht, mit dem die Ausstellung eröffnet - umrahmt von seinen jüngsten Landschaftsbildern, Interieurs und Porträts, glaubt man dem 82-Jährigen sofort, was er kürzlich in einem Ausstellungstrailer betonte: "Wenn ich male, fühle ich mich wie 30. Erst wenn ich damit aufhöre, fühle ich mein Alter."

Von Francis Bacon und R. B. Kitaj beeinflusst

Die chronologisch geordnete Ausstellung beginnt 1960. Hockney, Sohn einer sozialistischen Arbeiterfamilie aus dem englischen Bradford, war damals seit einem Jahr am Royal College of Art in London. Die dortige Begeisterung für das Abstrakte machte den naturalistisch malenden und offen schwul lebenden 23-Jährigen ratlos, bis er die Maler Francis Bacon und R. B. Kitaj traf, die hartnäckig am Menschenbild festhielten.
Dazu die Kuratorin der Ausstellung und Leiterin des Hamburger Bucerius Kunst Forums, Kathrin Baumstark: "Da war eben Kitaj auch wichtig. Er hat immer gesagt: Mal nach dem Leben! Mal, was dich interessiert! Und dann entwickelt er seinen ganz eigenen Stil. Es spielt so viel mit rein: Seine Suche als Künstler, aber auch seine Suche als Mensch, als homosexueller Mann in einer Zeit, als es noch verboten ist - und das alles verarbeitet er."
Ausstellungsansicht zu "David Hockney. Die Tate zu Gast" im Bucerius Kunst Forum in Hamburg.
"Ich lebe im Jetzt", sagt der Künstler David Hockney, dessen Werke im Bucerius Kunst Forum in Hamburg gezeigt werden.© Ulrich Perrey
Es entstehen wagemutige, collagenhafte Bilder. Auf unbearbeitete Leinwände setzt Hockney deformierte, puppenartige Wesen - die "doll boys" -, die er mit Code-Wörtern aus Gedichten des homosexuellen Dichters Walt Whitman versieht. Oder er malt einen fetten Spießer, auf dessen Hut "Idiot" steht, und der die vorherrschende gesellschaftliche Enge zu versinnbildlichen scheint.

Den Spiegel vorhalten

Damit war es 1966 vorbei und Hockney nach Los Angeles gezogen. Und nun wird alles hell, licht, leicht: Man sieht das leuchtende Blau und die Lichtreflexe in einem Swimming-Pool, einen duschenden Mann, die gleißend helle Fassade eines Bungalows. Mitten im Vietnamkrieg entstanden die Bilder, die Hockney schnell berühmt machten: glatte Ansichten klinisch-reiner Hausfassaden, Pools, Palmen und nackter Männer. "Alles ist gezähmt: gezähmte Natur, gezähmtes Wasser, so dass man wirklich denkt: Da ist nichts dahinter", sagt Baumstark. "Das ist schon auch ein bisschen, den Spiegel vorhalten. Und das ist eben dieses L. A.: Ist überhaupt etwas dahinter?"

Der Betrachter als zentrale Figur

1970 begann Hockney, naturalistische Porträts von Freunden zu malen. Die Ausstellung präsentiert gleich drei seiner wichtigen Doppelporträts, darunter "Mr. and Mrs. Clark und Percy". Unberührt vom Draußen posiert ein junges Paar in seinem noblen Wohnzimmer. Sie steht links in langem Kleid, er sitzt mit einer Katze auf dem Schoß in einem Freischwinger. Ihre nackten Füße versinken in einem weichen Teppich. Beide blicken den Betrachter direkt an.
"Wir gehen quasi eine Dreierbeziehung ein und sind Mittelpunkt ihrer Blicke, was ganz irritierend ist, und zieht uns mit rein", sagt die Kuratorin. "Ich glaube, das ist das, was Hockneys ganzes Werk ausmacht, dass der Betrachter für ihn eine zentrale Figur ist. Er denkt immer uns mit."
Hockney war und ist ein Arbeitstier. Er selbst nennt sich auch "Bilderproduzent", was am Ende der Ausstellung besonders deutlich wird: Dort reihen sich leuchtend farbige Interieurs, kubistisch anmutende Porträts und Stillleben aneinander.
Ausstellungsansicht: Eine Besucherin steht vor dem 60-teiligen Grand Canyon.
Ausstellungsansicht: Eine Besucherin steht vor dem 60-teiligen Grand Canyon.© Foto: Ulrich Perrey
Seit den 1980er-Jahren experimentiert Hockney mit unterschiedlichen Perspektiven in einem Bild, so auch in der über sieben Meter breiten, aus 60 Einzeltafeln zusammengesetzten glühend rot-orange-violetten Ansicht des Grand Canyons, mit der die Ausstellung schließt: "Der Grand Canyon ist der größte Abgrund der Welt. Und da am Rand zu stehen und runterzuschauen, ist Nervenkitzel pur. Der Blick ruht nicht, er wandert die ganze Zeit herum", sagt Hockney.

"Ich lebe im Jetzt. Das ist wirklich meine Philosophie"

Zwar fehlen in der Ausstellung ein Blick auf Hockneys Opernentwürfe und seine Experimente mit Kopierer, Fax und iPad, doch die versammelten Arbeiten aus 60 Jahren zeigen anschaulich, dass und wie Hockney immer wieder Neues ausprobierte. Und sie zeigen, wie er dabei nach dem Studium die gesellschaftliche Realität ignorierte: "Ich lebe im Jetzt. Das ist wirklich meine Philosophie."
Der Blick zurück, um daraus ein besseres Morgen zu entwickeln, interessierte Hockney nie. Unbeeinflusst von allen Katastrophen und den Protesten gegen sie, ließ er die unschöne Wirklichkeit konsequent außen vor, um seine privaten Fragen durchzudeklinieren. Doch je mehr er in den letzten 20 Jahren produzierte, je größer und immer noch penetrant-farbiger dabei etwa seine Landschaften wurden, desto mehr wirkt es, als sollten hier Ausmaß und Farben auch die inhaltliche Leere der Bilder überdecken.
(ckr)

Die Ausstellung "David Hockney: Die Tate zu Gast" ist bis zum 10. Mai 2020 im Bucerius Kunst Forum in Hamburg zu sehen.

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