"Wer ist Stella?"

Nikolaus Bernau im Gespräch mit Frank Meyer · 28.11.2008
Der Architekt Francesco Stella hat den Zuschlag für den Entwurf des Neuen Berliner Stadtschlosses bekommen. Das italienische Architekturbüro gilt als relativ unbekannt. Vermutlich habe der Entwurf jedoch aufgrund seiner vielen "Variationsmöglichkeiten" in Bezug auf weitere architektonische Änderungen überzeugt, so der Architekturkritiker Nikolaus Bernau.
Meyer: Es war die Architekturdebatte der letzten Jahre: Was soll dort gebaut werden, wo mal das Berliner Stadtschloss der Hohenzollern und später der Palast der Republik stand? Der Bundestag hat vor sechs Jahren beschlossen: Dort kommt ein Gebäude in den Ausmaßen des alten Schlosses hin, an drei Seiten bekommt das Gebäude Fassaden, die in etwa so aussehen wie die alten Schlossfassaden.

Mit dieser und weiteren Vorgaben mussten sich alle Teilnehmer an dem Architekturwettbewerb für das Humboldt-Forum arrangieren. Heute Nachmittag hat nun die Jury aus acht Architekten und sieben Politikern ihre Entscheidung verkündet. Der Architekturkritiker Nikolaus Bernau war für uns dabei und ist danach in unseren Ü-Wagen gestürzt. Niklaus Bernau - das italienische Architekturbüro Francesco Stella hat nun den Zuschlag bekommen, den ersten Preis. Bei uns ist allgemeine Ratlosigkeit ausgebrochen: Wer ist Francesco Stella? Können Sie uns was dazu sagen?

Nikolaus Bernau: Ja, mit der Ratlosigkeit befinden Sie sich in bester Gesellschaft. Das habe ich nämlich auch überall herumgefragt, ich kannte den Namen auch nicht, es kannte auch keiner der Kollegen ihn, und bei dieser doch sehr, sehr großen Pressekonferenz - es hat da wirklich heitere Szenen gegeben: Herr Tiefensee über das Modell gebeugt und dann schreien rundherum alle Kameraleute: "Nun gehen Sie doch mal aus dem Schatten!" et cetera. Keiner von den Kollegen kannte den Namen. Das ist schon sehr, sehr interessant, denn es dreht sich ja um ein Projekt, das schlappe 540 Millionen Euro kosten soll, das heißt, es muss auch ein Büro bewältigen, technisch bewältigen.

Frank Meyer: Man kann schon mal sagen: eine mutige Entscheidung, ein solches Projekt einem unbekannten Architekturbüro anzuvertrauen, oder?

Bernau: Gut, die Jury weiß ja vorher nicht genau, wen sie da ausgekürt hat, weil die Wettbewerbsarbeiten ja anonym sind und man macht, nachdem man dann den Entwurf gekürt hat, eben um zu verhindern, dass nur die ganz Großen gewinnen, dann macht man den Zettel auf oder den Briefumschlag und entdeckt, oh, Francesco Stella. Und dann fragt man sich wahrscheinlich auch in der Jury teilweise: Wer ist Francesco Stella?

Wer ihn offensichtlich gekannt hat ist der Jurypräsident Lampugnani, er sprach ihn zumindest sehr freundlich als "Franco" an und war sichtbar stolz darauf, dass ein italienischer Landsmann gewonnen hat, zudem übrigens einer - und das ist eine feine Ironie, das kann man anders nicht sagen -, einer aus Vicenza, das heißt, aus der Stadt, in der in zwei Tagen der 500. Geburtstag von Andrea Palladio, dem wohl wichtigsten Architekten der letzten 500 Jahre, gefeiert wird.

Meyer: Jetzt lassen Sie uns auf den Entwurf selbst schauen, den Siegerentwurf. Was für eine Sprache spricht er, wie ist sein Grundimpuls?

Bernau: Das, was sehr, sehr faszinierend ist: Er schafft es - und das ist sehr, sehr schwierig gewesen -, die Monumentalität des alten Schlosses weiterzustricken und eben nicht zu sagen, oh, ich bin ganz klein und ich bin ganz versteckt. Natürlich rekonstruiert er die barocken Fassaden, das war eine Vorgabe, er rekonstruiert übrigens auch die Schlosskuppel, er strickt sogar die barocken Fassaden an der Lustgartenseite noch um vier Achsen weiter, und - was ein richtiger Geniestreich ist - er sagt: Okay, den großen Hof, den müssen wir überbauen, um ihn für die Museen und die Stadtbibliothek zu benutzen, die bedeutendste Volksbibliothek Europas.

Um das zu überbauen, lege ich einen Korridor quer durch das Schloss. Das ist hochinteressant. Ganz viele Motive in dem Entwurf erinnern an historische Museumsbauten wie zum Beispiel die Uffizien oder das Alte Museum oder die Eremitage in St. Petersburg.

Meyer: Und Sie sagen, diese drei Seiten werden nachgebaut, die drei Seiten, die ja der Bundestag praktisch vorgeschrieben hatte, dass sie ein historisches Erscheinungsbild haben sollen - da kommt ein Eins-zu-eins-Nachbau der historischen Fassaden?

Bernau: Das ist so geplant, das ist ja auch der Beschluss des Bundestages und der ist immerhin drei Mal wiederholt worden inzwischen, da muss man da wirklich mal ganz klar sagen: Das ist eine demokratische Entscheidung gewesen über drei Bundestage inzwischen, die eindeutig festgestellt ist.

Das Interessante ist die Ostfassade, da plant nämlich Stella eine große Loggia im Grunde genommen, viergeschossig, das erinnert von Ferne ein bisschen an den Papstpalast in Pienza und ist ein sehr reizvolles Motiv, weil man natürlich theoretisch auf eine dann wieder aufgebaute Berliner Innenstadt schauen kann. Derzeitig könnte man nur auf das Karl-Marx-Denkmal blicken. Das ist also noch sehr stark überarbeitungsbedürftig, wie überhaupt noch sehr vieles zu überarbeiten sein wird.

Meyer: Diese Ostseite, das sollte ja der Ort für die Moderne eigentlich in diesem Entwurf werden, weil die drei anderen Fassaden eben festgelegt waren, die Ostseite war frei interpretierbar. Es war auch die Rede davon, dort könnte vielleicht eine Erinnerung an den Palast der Republik, der ja gerade dort zu Ende abgerissen wird, untergebracht werden. Das gibt es also nicht?

Bernau: Nein, da ist überhaupt gar keine Erinnerung mehr an den Palast der Republik. Das Beste, was sozusagen vom Palast übrig geblieben ist, ist die öffentliche Nutzung des Geländes, aber darüber gab es ja niemals eine wirkliche Debatte. Es gab kurz mal zwischendurch in den 90er-Jahren die Idee, da ein Hotel hinzubauen, aber das ist ganz schnell über den Jordan gegangen.

Nein, die öffentliche Nutzung ist sozusagen die große Erinnerung an den Palast der Republik. Auch der Volkskammersaal, der vollständig demontiert wurde und eingelagert wurde - immerhin der Ort, an dem die deutsche Einigung beschlossen wurde und unterschrieben wurde, ein ... nicht unterschrieben, Entschuldigung, nur beschlossen von der damaligen Volkskammer -, dieser Saal wird nicht wieder eingebaut werden, das ist ganz eindeutig. Man muss auch sagen zu dieser Ostfassade von Stella: Das ist der schwächste Teil des Entwurfs, ganz deutlich. Das ist eine superrationalistische Architektur, wie man sie in den 80er-Jahren in Italien in der Nachfolge von Giorgio Grassi und Aldo Rossi sehr, sehr gerne gebaut hat, aber es ist eigentlich entsetzlich langweilig. Es sind Reihen von Pilastern und Pfeilern, die da stehen, und dann ist dahinter ein Geländer eingezogen - da wird man noch sehr, sehr heftig dran arbeiten müssen.

Meyer: Schauen wir uns mal das Innenleben dieses Gebäudes an. Die große Frage war auch: Gut, wir stellen da wieder eine barocke Fassade hin, wenigstens auf diesen drei Seiten, aber was machen wir dann eigentlich innen? Dort soll eine öffentliche Nutzung - Sie haben es angesprochen - durch Museen, durch Bibliotheken eingeplant werden. Müssen die ihre Räume jetzt an den barocken Fensterfluchten ausrichten? Was hat der Architekt da für eine Lösung gefunden?

Bernau: Ja, im Grunde genommen hat er genau diese Lösung gefunden, die Sie gerade gesagt haben. Er hat sich an den alten, barocken Fensterfluchten orientiert, hat die alten Fußbödenhöhen sozusagen wieder eingezogen und im Wesentlichen relativ kleine Kuben von Räumen eingebaut.

Es gibt vor allem - und das ist ein wirkliches Problem bei dem Entwurf - nirgendwo große Hallen. Gerade die werden aber ganz dringend benötigt, vor allem vom Museum für Völkerkunde, vom Ethnologischen Museum, das die bedeutendste Sammlung dieser Art in Europa - eigentlich auch weltweit - ist, wo es eine große Schiffssammlung zum Beispiel gibt oder eine Sammlung von Totems. Die Objekte sind einfach mal zwölf Meter hoch, die brauchen einen riesigen Saal.

Solche Säle sind bis jetzt nicht vorgesehen, aber die Direktoren der Museen haben gesagt, sie haben auch für den Entwurf gestimmt - es gab ein einstimmiges Votum der Jury -, die Direktoren der Museen haben gesagt: Das kriegen wir alles hin in der Überarbeitung.

Meyer: Ja, Sie sprechen gerade das Votum der Jury an: einstimmig. Es hat ja vorher ziemlich gekriselt, Jurymitglieder haben sich öffentlich geäußert kurz vor dieser Entscheidung und noch mal die Grundlagen eigentlich für diese Entscheidung in Zweifel gezogen und gesagt: Eigentlich müsste man doch da ein modernes Gebäude hinbauen. Haben Sie etwas gehört, wie man nun zu dieser Einstimmigkeit gekommen ist? Hat das große Kämpfe gekostet?

Bernau: Das, was Lampugnani erzählt hat - allerdings, Lampugnani ist natürlich selbstverständlich der Vorsitzende der Jury gewesen, das heißt, man muss seine Aussagen auch etwas vorsichtig nehmen -, aber Lampugnani hat gesagt, es hätte sehr, sehr heftigen Streit gegeben zwischen den Jurymitgliedern und interessanterweise wäre der Streit eben nicht entlang der Fronten gewesen, die in der Öffentlichkeit sichtbar waren, also zwischen Architekten und Sachpreisrichtern, sondern sie wären quer durchgegangen.

Die Architekten hätten mit den Sachpreisrichtern zusammengearbeitet bei dem einen Entwurf, bei dem anderen Entwurf hätten sie umgedreht gearbeitet. Man hat sich schließlich auf diesen Entwurf geeinigt, ich denke, ganz wesentlich auch deswegen, weil er am meisten Variationsmöglichkeiten bietet. Und wenn man sich die anderen Entwürfe anguckt, die dort ausgezeichnet wurden - es wurden vier dritte Preise vergeben, was eindeutig zeigt, was die Jury am besten findet, und zwei Ankäufe und noch ein Sonderpreis -, dann kann man nur sagen: Unter diesem Angebot war die Arbeit von Francesco Stella mit Lichtjahren Abstand die beste.

Meyer: Unter diesem Angebot, sagen Sie. Es gab auch Diskussionen im Vorfeld über die relativ schmale Beteiligung vor allem im internationalen Maßstab an diesem ja doch großen Wettbewerb, wenn man die Größe der Aufgabe anschaut. Sagen Sie, das schlägt sich nieder, auch im Ergebnis, diese schmale Beteiligung?

Bernau: Ganz deutlich. Wir haben heute jetzt endlich auch eine Liste der Teilnehmer gehabt, sowohl in der ersten Runde des Wettbewerbs, wo ja noch 150 Teilnehmer waren, und auch eine Liste für die zweite Runde mit 30 Teilnehmern. Es handelt sich im Wesentlichen um Berliner und deutsche Lokalkräfte, es sind keine großen, internationalen Büros drin, ganz auffällig. Es sind einige Namen, die man kennt - wie Stephan Braunfels, der ja ganz früh schon rausgeflogen ist, wie Gerkan, Mark und Partner, die sind auch ganz früh schon rausgeflogen, Schulte, der Architekt vom Bundeskanzleramt, ist auch nicht dringeblieben - aber insgesamt muss man sagen: Das Angebot, über das die Jury zu urteilen hatte, war nicht besonders toll. In dem Rahmen ist der Entwurf, der ausgewählt wurde, richtig gut und man kann viel mit ihm machen.

Meyer: Und verrät er auch schon etwas über die Realisierbarkeit dieses Neubaus? Es gibt ja den Streit: Wird das Geld ausreichen, 550 Millionen Euro? 2010 soll der Bau beginnen, 2013 soll er fertig sein. Nach diesem Entwurf - ist das noch realistisch?

Bernau: Die Daten sind so und so vollkommen Hekuba, das kann man anders überhaupt nicht sagen, denn auch Bundesbauminister Tiefensee hat jetzt wieder gesagt, ja, 2010 fangen wir an zu bauen und 2013 sind wir fertig und das Geld ist garantiert, et cetera. Wenn wir uns zum Beispiel die Kostensteigerung jetzt bei der Hamburger Philharmonie angucken, dann kann das alles noch ganz, ganz anders gegessen werden als es jetzt gekocht wurde.

Und was wir mit Sicherheit annehmen können: 2010 wird nicht begonnen zu bauen, es sei denn, es wird ein Grundstein gelegt. Das ist eine andere Frage. Aber innerhalb von anderthalb Jahren ein solches Riesenprojekt mit so vielen Problemen, die jetzt noch in dem Entwurf drinstecken, neu zu planen - das ist vollkommen ausgeschlossen.

Meyer: Über 15 Jahre hat nun der Streit getobt zwischen denen, die das alte Stadtschloss eigentlich wiederhaben wollten, so originalgetreu wie möglich, und denen, die einen Neubau an dieser Stelle wollten. Dieser Siegerentwurf - ist das so etwas wie eine salomonische Lösung, die diesen Streit befriedet?

Bernau: Ja, denke ich auf jeden Fall, weil Francesco Stella erst mal allen Schlossfans ihre Schlossfassaden wieder zurückgibt, und zwar so richtig und was sie haben wollen. Jedes Ding ist da, er hat sogar einige Räume eingeplant, bei denen man sich jetzt schon vorstellen kann, aha, da kommen dann irgendwann mal die barocken Dekors wieder rein. Auch das Treppenhaus, das berühmte, große Treppenhaus, das erste große Barocktreppenhaus nördlich der Alpen, das ist als Raumkubatur im Grunde genommen für eine Rekonstruktion wieder verfügbar.

Und gleichzeitig hat er doch mit seinem ganz straffen Rationalismus, der dahinter steckt - und es ist sehr deutlich ein Architekt der 80er-Jahre -, hat er eine große Variationsfreiheit geschaffen. Ob diese Variationsfreiheit genutzt werden kann, damit man beispielsweise die ästhetische Qualität erreichen kann, die ein Museum wie in Doha hat oder wie das Metropolitan Museum oder die Museen in Washington, das werden wir erst in zwei, wahrscheinlich drei Jahren wissen.

Meyer: Die Jury hat gesprochen, das italienische Architekturbüro Francesco Stella wird das Humboldt-Forum auf dem Berliner Schlossplatz bauen. Der Architekturkritiker Nikolaus Bernau hat für uns diese Entscheidung kommentiert, herzlichen Dank.
Mehr zum Thema