"Wenn wir andere Planeten untersuchen, dann denken wir immer an die Erde"

Moderation: Gabi Wuttke |
Die Weltraumforscher erhoffen sich von der Venus-Mission auch Aufschlüsse über Entwicklungen auf der Erde vor rund 600 Millionen Jahren. Das sagte der stellvertretende Direktor des Instituts für Planetenforschung in Berlin-Adlershof, Ralf Jaumann, im Deutschlandradio Kultur. Jaumann geht davon aus, dass die Venussonde im Infrarot-Bereich Bilder von der Oberfläche des Planeten schießen kann.
Wuttke: Zwar machten sich die Amerikaner Anfang der 60er Jahre auf den Weg und 1970 landeten die Russen sogar auf der Venus. Aber viele Rätsel gab der Planet trotzdem nicht Preis, deshalb nun die europäische Venusmission. Ralf Jaumann ist der stellvertretende Direktor des Instituts für Planetenforschung in Berlin Adlershof, Guten Morgen, Herr Jaumann.

Jaumann: Guten Morgen Frau Wuttke.

Wuttke: Das erste Bild, Wolken über dem Südpol der Venus, das war an für sich schon eine kleine Sensation. Worin liegt sie für den Fachmann?

Jaumann: Einfach darin, dass wie sie, bisher den Südpol noch nicht gesehen haben. Alle Missionen, die die Venus bisher besucht haben, haben zwar vieles vom Venusäquator angeschaut, haben auch den Nordpol gesehen, aber der Südpol war bisher unbekannt. Und wir haben ihn zum ersten Mal jetzt fotografiert und beobachtet.

Wuttke: Beobachtet heißt, können Sie schon sagen, was Sie eigentlich für Schlüsse ziehen aus dem, was Sie da gesehen haben? Das sind ja so Formationen, die durchaus unterschiedlich dicht sind. Mal sehr dicht, mal weniger dicht und bilden so etwas wie eine Schnecke, wenn ich das mal so als Laie beschrieben darf.

Jaumann: Das ist richtig. Das heißt, am Südpol muss ein ganz, ganz gewaltiger Wirbel bestehen und das heißt natürlich, dass dort die Atmosphäre sehr dynamisch ist, das heißt also, dort müssen heftige Stürme toben. Zumindest zum jetzigen Zeitpunkt. Die große Frage ist jetzt natürlich, haben wir das jetzt einmal gesehen, oder sind diese Stürme stabil, ist das immer so am Südpol oder ändert sich das? Und das werden wir in den nächsten zwei Jahren rauskriegen.

Wuttke: In den nächsten zwei Jahren, so lange soll die Sonde um die Venus kreisen. Aber Anfang Mai kriegen Sie erst mal detailliertere Informationen. Wie sollen die aussehen und woher sollen sie dann kommen?

Jaumann: Das ist natürlich das Ergebnis der Instrumente an Bord dieser Sonde und die sind natürlich besonders dazu geeignet, die Atmosphäre ganz genau zu untersuchen. Das wir das erst Anfang Mai bekommen, hängt damit zusammen, jetzt ist man an der Venus, jetzt muss man erst mal gucken, dass alles funktioniert, jetzt muss man gucken, dass die Instrumente auch richtig messen, man möchte dazwischen auch mal ein paar Sterne angucken, die man genauer kennt, dass man auch wirklich weiß, dass die Information, die kommt, auch richtig ist, die Instrumente nach dem langen Flug auch noch genau das tun, was sie tun sollen.

Wuttke: Die Instrumente, die Sie jetzt benutzen, die waren ja teilweise auch bei der Marsmission ziemlich hilfreich. Aber im Gegensatz zur Marsmission, der Mars ist kalt, die Venus ist heiß, Sie haben Instrumente genommen und in den Express gepackt, ging das alles so reibungslos, was haben Sie da machen müssen?

Jaumann: Das ganze Raumschiff, das zur Venus fliegt, ist auch schon zum Mars geflogen, zumindest der Typ des Raumschiffs. Man musste natürlich durchaus einiges verändern und eben genau auf diese Temperaturen Rücksicht nehmen. Man darf jetzt natürlich nicht vergessen, dass wir die Venus nur umkreisen, wir landen nicht auf ihr, das heißt also, wir sind nur näher an der Sonne, aber wir sind nicht auf der Oberfläche, wir haben keine vierhundert Grad Celsius, sondern wir sind immer noch im Weltraum und dort ist es auch noch bei der Venus leidlich kalt.

Wuttke: Sie haben gesagt, es ist zurzeit am Südpol ziemlich stürmisch. Um die Rätsel der Venus zu lüften, wollen Sie aber auch durch diese Wolkenformation durchsehen, um die Oberfläche zu inspizieren. Wie sind Sie dafür ausgestattet?

Jaumann: Da gibt es eine ganze Reihe von Experimenten, man nennt dies Spektrometer und die Atmosphäre der Venus ist ja nicht überall ganz dicht, im Sichtbaren ist sie komplett dicht, aber im infraroten Bereich, das heißt im langwelligen Lichtbereich, da ist sie durchaus durchlässig, und da kann man auch in manchen Wellenlängen dann wirklich bis zur Oberfläche schauen.

Wuttke: Was hoffen Sie denn da zu sehen? Immerhin, ich glaube, 500, 600 Millionen Jahre ist es her, dass sich die Oberfläche der Venus komplett umstrukturiert hat, also gibt es da Theorien, was Sie erwarten, oder sind Sie da erst mal völlig erwartungsfrei und gucken, was dann kommt?

Jaumann: Die Venusoberfläche ist relativ jung. Gut 600 Millionen Jahre, ...

Wuttke: ... für Sie ist das jung, ich würde sagen ein kleine Ewigkeit.

Jaumann: Ja, eine kleine, aber eben nur eine kleine Ewigkeit, verglichen mit dem Alter der Planeten, ist das relativ jung und wir wissen, dass die Oberfläche der Venus mehr Vulkane hat als jeder andere Planet. Das, was da passiert ist, ist wahrscheinlich, dass in relativ kurzer Zeit so viel Vulkanausbrüche auf der Venus waren, dass die ganze Oberfläche neu gestaltet wurde. Und das ist natürlich schon ein bisschen ein Rätsel, warum ist es genau zu diesem Zeitpunkt passiert und was ist dort mit der Venus passiert?

Und noch interessanter wird es, wenn man das mit der Erde vergleicht. Und wenn Sie die Erdoberfläche anschauen, dann ist die auch nicht älter als, in den größten Teilen, 600 Millionen Jahre. Das heißt, was haben diese beiden Planten gemacht zu dieser Zeit, dass sie da angefangen haben ihre ganze Kruste, ihre ganze Oberfläche, völlig neu zu gestalten. Das ist natürlich ein Rätsel, nicht nur bei der Venus, auch bei der Erde. Bei der Erde verstehen wir das ein bisschen besser, aber was genau zu diesem Zeitpunkt passiert ist, das wissen wir nicht.

Wuttke: Die Venus bewegt sich ja auch im Verhältnis zur Erde wahnsinnig langsam und anders herum als alle anderen Planeten, wenn ich das richtig nachgelesen habe. Gibt es denn auch dazu Theorien, warum das so ist, oder tappen Sie da im Dunkeln? Ich meine 244 Erdentage ein Venustag, auch das ist eine kleine Ewigkeit.

Jaumann: Das ist völlig richtig. Die Venus rotiert so langsam, dass man eigentlich annehmen muss, oder das ist fast so, dass sie sich einmal dreht, während sie die Sonne umkreist, das tut unser Mond auch. Der dreht sich einmal, während er die Erde umkreist. Was aber die Venus so extrem abgebremst hat - sicherlich die Schwerkraft der Sonne, aber jetzt ist die Venus doch nicht so weit von der Sonne, weniger weit von der Sonne entfernt als die Erde, warum ist das bei der Erde nicht passiert, warum ist das bei der Venus passiert? Das ist noch ein Rätsel.

Und dann natürlich das große Rätsel, warum steht die auf dem Kopf, oder anders ausgedrückt, warum dreht die sich anders herum? Hat es da früher eine gewaltige Kollision gegeben, hat da ein anderer Körper die Venus getroffen und hat sie einfach sozusagen auf den Kopf gestellt? Das sind natürlich alles Fragen, da sind selbst die Theorien noch so vage, dass man da eigentlich fast keine vernünftige Antwort wagt.

Wuttke: Geht es in dieser Mission eigentlich um die Venus an und für sich, oder wollen Sie auch Rückschlüsse ziehen, was die Erde anbelangt, gerade wenn Sie über die Atmosphäre sprechen. Mir fiel irgendwie ein, bei uns geht ja auch einiges nicht mehr so, wie es viele tausend Jahre lang ging. Wir haben inzwischen einen Treibhauseffekt, wo wir auch nicht wissen, wo das alles noch hinführt.

Jaumann: Wenn wir andere Planeten untersuchen, dann denken wir immer an die Erde. Eins muss man sich klar machen, die Erde ist so was Einzigartiges und so was Besonderes im Vergleich zu allen anderen Planeten, die wir kennen, dass wir da eigentlich gar nicht richtig verstehen, wie hat die Erde das gemacht, wie ist es passiert, warum ist die Erde genau in so einer Position, dass sie alles so perfekt hinbringt, dass wir auf ihr leben können und warum tun das die andern Planten nicht. Und dieser Unterschied hängt natürlich immer mit der Frage zusammen, warum ist die Erde einzigartig.

Und die zweite Frage, ist das eine logisch konsequente Entwicklung, reicht es einfach in einem bestimmten Abstand zur Sonne zu sein und dann wird alles wunderbar, oder aber sind da viele andere Dinge passiert, die vielleicht zufällig waren, die also nicht in der logischen Reihe sitzen, heißt also, muss die Erde so sein, wie sie ist, oder sind da so viele Zufälle passiert, dass sie eigentlich gar nicht so sein sollte, sondern nur zufällig so ist. Das ist eine ganz große Frage, die wir bisher nicht beantworten können.

Das zweite, wir untersuchen natürlich die Venusatmosphäre und die zeigt uns etwas, was wir auf der Ede ohne das Leben wahrscheinlich auch hätten, und zwar in gleich starkem Maß. Die Venusatmosphäre ist sehr dicht, die hat hundert Mal so viel Druck an der Oberfläche, wie wir auf der Erde haben. Und der Grund dafür ist, es ist extrem viel CO2 in der Venusatmosphäre.

Wuttke: Also, das ist ein Druck, der entspricht ungefähr tausend Meter tief im Meer zu sein, oder?
Jaumann: Ungefähr, ja. Und wenn man das jetzt betrachtet und die Erde gleichzeitig daneben betrachtet, dann ist es eigentlich nicht so außergewöhnlich, denn die Erde hat auch sehr viel CO2, aber dieses CO2 ist eben nicht in der Atmosphäre, sondern das ist gebunden und zwar hauptsächlich durch Lebewesen. Muscheln, Korallen, die ja alle aus Kalk bestehen, und Kalk wird eben aus Kalzium und CO2 aufgebaut. Und dieser ganze Kalk ist aus der Atmosphäre draußen, wenn wir den in die Atmosphäre rein tun würden, dann hätten wir so eine dichte Atmosphäre wie bei der Venus. Wir wissen also, dass das Leben bei uns eine entscheidende Rolle gespielt hat, dass das Leben überhaupt funktioniert. Andererseits kann man auf der Venus natürlich genau studieren, was passiert, wenn wir die Atmosphäre wieder mit CO2 dicht machen.

Wuttke: Verstehe. Das heißt, Sie versuchen, Rätsel zu lösen, haben dabei Rätsel auf der Erde im Hinterkopf und müssen aber damit rechen, dass die Entschlüsselung einiger Rätsel auf der Venus vielleicht auch wieder neue Rätsel mit sich bringen?

Jaumann: Auf jeden Fall. Das ist immer so in der Wissenschaft. Aber das ist ja das Spannende.

Wuttke. Das ist das Spannende, aber worauf konzentrieren Sie sich jetzt? Also, Sie haben diese große Herausforderung, die Sie gerade skizziert haben, Atmosphäre, Tempo, Celsiusgrade, die wir uns gar nicht vorstellen können, denken Sie manchmal schon: Und was ist dann dahinter?

Jaumann: Natürlich, das ist ja immer die große Frage. Aber Wissenschaftler versuchen erstmal zu messen, dann versuchen Sie zu verstehen, was sie gemessen haben, dann versuchen sie das zu interpretieren, so dass es auch schlüssig ist und dann kommen sie meistens an den Punkt, wo sie sagen, okay, ich habe vieles verstanden, aber warum passiert es so. Und das ist natürlich keine Frage mehr, die einfach nur durch die Wissenschaft zu erklären ist.

Wuttke: Die Rätsel der Venus. Der europäische Venusexpress ist ihnen auf der Spur. Vielen Dank an Ralf Jaumann vom Deutschen Luftfahrtzentrum in Berlin-Adlershof.
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