Der Austausch
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Zwei junge tansanische Wissenschaftler arbeiten drei Monate lang im Museum für Naturkunde in Berlin. Dort lagern viele Knochen aus ihrer Heimat. Der Besuch fällt in eine Zeit, in der in Deutschland über die Rückgabe von Kulturgütern debattiert wird.
"Die Entstehung des Dinosauriers, das, was man heute im Naturkundemuseum sieht, ist ein Vorgang, der in Deutschland mit Hilfe der westlichen Wissenschaft seit 1906 kontinuierlich betrieben wird", sagt Johannes Vogel, Generaldirektor des Museums für Naturkunde in Berlin.
"Das heißt, die ganze Arbeit, das Präparieren eines Knochens, 450 Stunden pro Knochen, ist als kulturelle, als wissenschaftliche-kulturelle Leistung in Deutschland passiert. Dass man eine relativ gute Rekonstruktion, wie dieses Ding hätte aussehen können, jetzt im Berliner Naturkundemuseum sieht, sind alles Ausflüsse einer hauptsächlich vom Westen gemachten, in der westlichen Tradition stehenden naturwissenschaftlichen Forschung, die ich auch als Teil der Kultur Deutschlands annehmen würde."
Der Generaldirektor des Museums für Naturkunde in Berlin ist Hüter des Brachiosaurus Brancai, des wohl berühmtesten Dinosaurierskeletts auf der Welt, und seit Jahrzehnten Publikumsmagnet im Naturkundemuseum.
"Niemand bestreitet, wem die Knochen gehören"
Sein Kollege Audax Mabulla leitet ebenfalls ein Museum, es ist das Nationalmuseum von Tansania. Und das könnte so einen Star wie den Dino in Berlin gut gebrauchen. Mabulla hätte den Brachiosaurus gern:
"Niemand bestreitet Deutschlands Verdienste. Auf wissenschaftlichem Gebiet, die ökonomischen Bemühungen das Skelett zu erhalten, zu präparieren und aufzustellen – aber niemand bestreitet auch, wem die Knochen gehören, nämlich Tansania. Und wir alle wissen doch, dass alles, was einem Land gehört, diesem Land auch zusteht. Wir können da verschiedener Meinung sein – am Ende aber gehört dieses Weltkulturerbe dem Land, wo es herstammt, und das ist Tansania."
Was nun, Dino? Wohin gehört er denn nun? Nach Deutschland oder Tansania? Einer Antwort auf diese Frage möchte ich mich annähern – und da passt es gut, dass im Sommer 2019 zwei junge Tansanier als Trainees im Naturkundemuseum in Berlin sind, Erica und Frank.
Erica Mela ist 24, hat einen Bachelor in Denkmalpflege und Kulturmanagement. Seit 2017 arbeitet sie als Volunteer im Nationalmuseum von Tansania in Daressalam. Frank James Wajega hat schon ein Diplom als Kulturwirt und setzt jetzt noch einen Abschluss in Tourismusmanagement oben drauf. Er ist 33. Drei Monate lang gehen beide Tag für Tag im Lichthof des Berliner Museums an dem 13 Meter großen Dino vorbei, dessen Knochen aus ihrer Heimat stammen. Für Frank ein Traum:
"Ich habe schon vor langer Zeit sehr viel gelesen über das Museum für Naturkunde und habe davon geträumt, einmal hierher zu kommen. Weil es sehr viele Sammlungen aus Tansania gibt, die hier in Berlin gezeigt werden und weil es eines der größten und wichtigsten Museen in Europa ist."
Eine Wanderausstellung für Dar es Salaam
Frank will so viel wie möglich lernen, genauso wie Erica:
"Ich will wissen, wie sie hier Ausstellungen vorbereiten, welche Schwerpunkte sie setzen. Daneben interessiert mich vor allem die Arbeit der Paläontologen, wie sie die Fossilien präparieren, die direkt von der Ausgrabungsstätte kommen. Das sind die zwei Dinge, die mich am meisten interessieren und die ich zu Hause meinen Kollegen zeigen möchte, damit auch unser Museum davon profitiert."
Im Keller des Naturkundemuseums Berlin lagern noch tausende weitere Fossilien. Gefunden und ausgegraben in Ericas und Franks Heimat Tansania. Ich bin gespannt, ob die beiden sich mit der Debatte befassen, die der französische Präsident Emmanuel Macron 2017 angestoßen hat. Kulturgüter aus der Kolonialzeit sollten zurückgegeben werden, so sein Vorstoß. Gehören die Knochen des großen Dinos dazu? Sind Knochen überhaupt ein Kulturgut wie eine Bronzestatue, eine Maske oder ein Thron?
Ich treffe Erica und Frank das erste Mal kurz nach Franks Ankunft. Da sind beide Feuer und Flamme für ein konkretes Projekt. Sie wollen eine Wanderausstellung des Naturkundemuseums in Daressalam zeigen. Eine Ausstellung über Parasiten:
"Darin geht es in erster Linie um Aufklärung. Allein schon durch die Auswahl der Tiere können wir die Ausstellung attraktiv machen. Nehmen wir z.B. Schafe. Das interessiert die Leute, weil sie bei uns erfahren, welche Krankheiten Parasiten übertragen und wie sie ihre Tiere davor schützen können."
Kleinere, nicht klimatisierte Ausstellungsräume
Die Ausstellung lässt sich in kurzer Zeit auf- und abbauen, wurde schon bis nach Australien verschickt. Nun also Daressalam. Das zu organisieren sei viel schwieriger als man denkt, sagt Erica. Das Museum in Daressalam ist überall offen, die Räume sind kleiner und nicht klimatisiert:
"Die Objekte hier in Berlin werden größer präsentiert, attraktiver für den Besucher. Auch die technischen Möglichkeiten sind andere."
Zuerst müssen Texte von Muttersprachlern ins Suaheli übersetzt werden. Dann muss das Museum in Tansania die Übersetzungen prüfen. Danach erst wird verpackt, verschifft und verzollt. Erica und Frank sitzen in den nächsten Wochen ständig vor einer großen Excel-Tabelle, schieben Daten und Fristen hin und her. Frank wirkt dabei entspannt, Erica dagegen nervös. Sie weiß: wenn es irgendwo hakt und keine schnellen Antworten aus Afrika kommen, könnte es am Ende ganz schön eng werden. Wohin der nun Dino gehört, nach Berlin oder Tansania, über diese Frage machen sich die beiden gerade gar keinen Kopf.