Weiblicher Widerstand

Im Schatten Sophie Scholls

 Feierstunde zum Attentat auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944
Feierstunde zum Attentat auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944 © dpa / picture alliance / Wolfgang Kumm
Von Mandy Schielke · 19.07.2014
Sieben kaum bekannte Biografien von Frauen, die gegen den Nazi-Terror opponierten hat Frauke Geyken in ihrem Buch zusammengetragen. Die eindrücklichen Geschichten zeugen von ungeheurem Mut und Selbstlosigkeit.
Eigentlich wollte Frauke Geyken eine Biografie über Annedore Leber schreiben, über die Ehefrau von Julius Leber. Der Sozialdemokrat und Reichstagsabgeordnete saß zwischen 1933 und 1937 im Gefängnis und Konzentrationslager. 1944 wurde er erneut festgenommen – noch vor dem Attentat des 20. Juli und später gemeinsam mit anderen Verschwörern hingerichtet.
Während dieser Haftzeiten kämpfte Annedore um die Freilassung ihres Mannes, betrieb derweil ein Modeatelier, sorgte allein für den Lebensunterhalt ihrer Familie. Im Nachkriegsberlin machte sie sich als Politikerin und Publizistin einen Namen. Inzwischen sei sie vergessen, bedauert Frauke Geyken.
Für eine Einzel-Biografie war die Quellenlage zu dünn, deshalb ging die Göttinger Historikerin schließlich dem Schicksal von sieben ganz unterschiedlichen Frauen nach, die sich – jede auf ihre Weise – gegen das Naziregime aufgelehnt haben.
Jüdische Familien betreut
Eine von ihnen: Antje Hasenclever, Ehefrau von Robert Havemann, die Kurierdienste für die Kommunistische Partei übernahm und selbst ins Visier der Gestapo geriet. Sie betreute auch jüdische Familien.
Hasenclever: "Ich hatte zum Beispiel eine Familie, die wohnte im Hinterhaus in der Bismarckstraße, für die habe ich eingekauft. Die Juden durften erst nachmittags um fünf einkaufen, da war ja nichts mehr in den Läden, da musste man sehen, dass man denen vorher was besorgte. Dann durften die Juden nicht mehr auf Bänken sitzen in Parks, nicht mehr ins Kino gehen. Da haben wir dann Filmvorführungen von Farbdias gemacht, die Havemann unterwegs auf unseren großen Reisen machte. Wir waren in Jugoslawien, in Sizilien, mit dem Motorrad überall. Und dann haben wir die Juden alle eingeladen."
Humanität zu zeigen in einer menschenverachtenden Gesellschaft ist mutig, aber es ist noch kein Widerstand. Wie bei den meisten Widerstandskämpfern und -kämpferinnen ist der Zeitpunkt, an dem sie beschließen, Widerstand zu leisten, nicht genau zu bestimmen, möglicherweise nicht einmal für sie selbst."
Frauke Geyken meint damit eben auch, dass wohl kaum eine der Frauen, die sie porträtiert – außer vielleicht Annedore Leber – sich selbst als Widerstandskämpferin bezeichnet hätte. Besonders eindrücklich: das kurze Leben von Cato Bontjes van Beek.
Dasselbe gemacht wie Sophie Scholl
Geyken: "Die Cato Bontjes van Beek, die stammt aus Fischerhude, ist ein Jahr älter als Sophie Scholl, hat im Grunde genommen dasselbe gemacht wie Sophie Scholl, aber nicht vor dem Hintergrund 'Weiße Rose', sondern vor dem Hintergrund 'Rote Kapelle'. Und auch Cato wurde im selben Jahr wie Sophie Scholl, 1943, hingerichtet. Und trotzdem ist die Cato überhaupt nicht bekannt. Das finde ich sehr interessant, dieses Phänomen. Daran kann man sehr schön nachvollziehen: Geschichte wird gemacht."
Dass ihr Schicksal höchstens in Fachkreisen bekannt ist, hängt mit dem Nachkriegsklassiker "Die Weiße Rose" zusammen, den Inge Aichinger-Scholl 1952 verfasst hat. Geschichte wird gemacht: In diesem Fall durch eine ehrgeizige Schwester, die eine Omnipräsenz von Sophie Scholl erreichte, die gemeinsam mit dem Bruder Hans hingerichtet worden war.
Völlig zu Unrecht, findet Frauke Geyken, wird vom Beitrag anderer Frauen zur Opposition gegen die Nationalsozialisten wenig berichtet – von Frauen wie Rosemarie Reichwein. Während des Krieges lebte sie mit ihrer Familie außerhalb Berlins. Sie erinnert sich, wie sie ihren Ehemann Adolf Reichwein begleitete, der dem Kreisauer Kreis nahe stand.
Reichwein: "Und wenn wir zusammen in die Stadt fuhren, dann musste ich oft stundenlang auf ihn warten. Abends zum Beispiel ging er mit ihnen um einen Platz herum, um sich auszusprechen, weil man sich ja nicht an bestimmten Stellen treffen konnte. Aber er hat mir keine Namen genannt, weil er mich nicht gefährden wollte. Wenn ich mal irgendwie verhört werden sollte, dann sollte ich keine Namen wissen."
Zärtliche Briefe aus dem Gefängnis
"Auch wenn der Kenntnisstand der Einzelnen unterschiedlich war und die meisten keine Details kannten, so wussten doch fast alle vom Widerstand ihrer Männer, sprachen mit ihnen darüber, waren für sie politisches Gegenüber oder manchmal auch nur Resonanzboden von Reflexionen."
In den oft zärtlichen Briefen, die Julius Leber seiner Frau aus dem Gefängnis schreibt, wird das deutlich.
"Und ich bin fest überzeugt, diese beiden Jahre werden später uns als glücklich erscheinen, weil wir uns in der Trennung näher standen, inniger verbunden waren als jemals vorher und auch als es jemals nachher wieder sein wird."
Fazit: Ohne ihre mutigen Frauen hätten die Männer nicht tun können, was sie taten. Der Widerstand gegen das Dritte Reich machte ihr Leben entbehrungsreich. Geopfert haben sie sich nicht.
Eine Würdigung der Frauen
Und ihr persönlicher Kampf ging nach dem Krieg weiter, denn der bürgerlichen Gesellschaft galt die aktive Opposition gegen Hitler lange als Landesverrat.
Jahrzehnte dauerte es beispielsweise, bis Marie Louise von Scheliha erreicht hatte, dass ihr Ehemann rehabilitiert wurde. Der Diplomat Rudolf von Scheliha war als Spion zum Tode verurteilt worden.
Marie Louise von Scheliha, Rosemarie Reichwein, Annedore Leber, Cato Bontjes van Beek oder Antje Hasenclever. Die Historikerin hat diese Frauen mit ihrem Buch gewürdigt.

Frauke Geyken: Wir standen nicht abseits. Frauen im Widerstand gegen Hitler
C.H. Beck Verlag, München Mai 2014
352 Seiten, 24,95 Euro

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